Hannelore Brenner-Wonschick, Die Mädchen von Zimmer 28, Freundschaft, Hoffnung und Überleben in Theresienstadt, Droemer Verlag, München 2004
Hannelore Brenner-Wonschick erzählt in ihrem Buch „Die Mädchen von Zimmer 28 – Freundschaft, Hoffnung und Überleben in Theresienstadt“ vom Alltag und Schicksal einer Gruppe jüdischer, vorwiegend tschechischer Mädchen im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren, die zwischen 1942 und 1944 im Zimmer 28 des Mädchenheims L410 des „Vorzeige-Konzentrationslager“ Theresienstadt lebten. Der Medienmarkt scheint das Buch als belletristische Erinnerungsliteratur wahrzunehmen und ihm daher wenig Beachtung zu schenken. Dabei geht es hier nicht nur um seriöse, gemeinsame deutsch-jüdische Aufarbeitung der Shoa, sondern auch um ein Stück dicht erzählter Zeitgeschichte, wie sie in dieser Form neu ist.
Das Neue wurzelt in dem besonderen Ansatz dieses Buches. 1997 griff die Autorin den Wunsch zweier der „Mädchen von Zimmer 28“ auf, ein „Gedenkbuch“ zur Erinnerung an die in Auschwitz ermordeten Kameradinnen zu verfassen, auch gedacht als Würdigung der enormen Leistung der Theresienstädter „Jugendfürsorge“. Die Beschäftigung mit dem Thema und die Begegnungen mit weiteren zehn der Überlebenden vom Zimmer 28, die in aller Welt zerstreut leben, entfalteten schnell eine eigene Kraft und Dynamik, so daß schließlich aus dem „kleinen“ Buch ein „großes“ – und ungewöhnliches – Buch wurde. Ein Buch, das verschiedene Aspekte, Biographien, authentische Zeugnisse vereint und so geschickt im Kontext der historischen Ereignisse verwebt, daß daraus e i n e Geschichte wurde – die Geschichte des Ghettos Theresienstadt, gespiegelt im Mikrokosmos Zimmer 28. Oder, in anderen Worten: Das Schicksal dieser „Mädchen von Zimmer 28“ vermittelt pars pro toto das Schicksal der Kinder von Theresienstadt.
Daß dies überhaupt möglich war, ist einem wertvollen Dokument zu danken: dem Tagebuch von Helga Pollak. Ohne dieses Tagebuch, ergänzt durch das Kalendertagebuch ihres Vaters Otto Pollak, wäre diese literarische Nahaufnahme des KZ Theresienstadt nicht entstanden. Das Tagebuch der Wienerin Helga Pollak – sie hat Auschwitz überlebt – darf zweifellos im gleichen Atemzug genannt werden wie das Tagebuch der Anne Frank.
Doch auch weitere Dokumente – ein Poesiealbum, Briefe, ein Notizbüchlein, Kinderzeichnungen, Fotos – tragen zum Reichtum des Buches bei. In enger Zusammenarbeit mit den Überlebenden sind diese Dokumente und die Erinnerungen der Überlebenden über Jahre zusammengetragen worden (– nach dem Motto Professor Yehuda Bauers, Yad Vashem: „Ihr könnt die Erinnerungsarbeit nicht ohne uns bewältigen.“) Es entstand ein Buch über eine solidarische Gegenwelt im nationalsozialistischen Endlösungsterror, die dem Geist der Betreuerinnen der Mädchen wie Ella Pollak oder Eva Weiss, entspricht und sich im Sinnspruch der Mädchen dieser Jahre widerspiegelt:
„Du glaubst mir, ich glaube Dir
Du weiß, was ich weiß
Was immer kommen mag
Du verrätst mich nicht
Ich verrate Dich nicht.“
Die Einzigartigkeit dieses Bandes liegt aber auch darin, den Zusammenhang von Kultur als wesentliche Voraussetzung des Willens zum Überleben und inneren Widerstand gegen eine mörderische Umwelt am Beispiel der Kinderoper Brundibár des Prager Komponisten Hans Krasa vermittelt zu haben. Am Ende der Oper wird der böse Leierkastenmann Brundibár von den Kindern besiegt. Eine Kinderoper mit versteckten Anspielungen auf Hitler in einem KZ zu präsentieren, war nicht ungefährlich, entsprach aber der Haltung, die die Überlebende Ela Stein – selbst eine der Darstellerinnen der Kinderoper, wie folgt zusammenfasst: „Wenn wir sangen, vergaßen wir den Hunger, wir vergaßen auch, wo wir waren. Auf der Bühne vergaßen wir alles um uns herum: Und wenn wir am Ende das Siegeslied anstimmten, stellten wir uns vor, wir hätten Hitler besiegt. Es war so viel Kraft in der Musik. – Ein liebevolles Gedenkbuch also? Ja. Aber doch sehr viel mehr. Und wer zwischen den Zeilen liest und den Anhang, in dem Brenner-Wonschick die Lebensgeschichten der fünfzehn überlebenden Mädchen von einst bis heute nachzeichnet, wird sich bewusst, dass es hier nicht nur um schmerzliche Erinnerungsarbeit geht und feststellen, dass Theresienstädter Geist im Leben dieser Frauen heute noch nachwirkt: als Solidarität und Widerstand gegen jede Form totalitären Machtmissbrauchs. Und das betrifft auch kommende Generationen. Man wünscht diesem Buch viele Leser – besonders im großen Europa nach dem 1.Mai dieses Jahres.
Autor: Dr. Gottfried Wagner für Spektrum/Presse – Wien
Hannelore Brenner-Wonschick: Die Mädchen von Zimmer 28, Freundschaft, Hoffnung und Überleben in Theresienstadt, Droemer Verlag, München 2004, 400 Seiten – Droemer/Knaur, 19,90 Euro.