Der Name der Stadt Ludwigsburg wird häufig mit der Tätigkeit der dort seit 1958 beheimateten „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärungen von NS-Verbrechen“ (ZSt) verbunden. Er oder sie stehen damit gleichsam auch als Synonyme für die vielfältigen Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland, in der Nachkriegszeit das nationalsozialistische Unrecht juristisch aufzuarbeiten. Die bei der ZSt in den langen Jahren ihrer Tätigkeit gewonnenen subtilen Kenntnisse zu diesem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte und der Binnenstruktur nationalsozialistischer Herrschaft schufen damit zugleich ebenfalls eine ganz besondere Quellenbasis z.B. zur Erforschung des Holocaust. Um dies zu verstehen, ist es notwendig, zunächst einen Blick auf die Entstehung, Aufgabenstellung und Arbeitsweise dieser „Zentralen Stelle“ zu werfen, denn das Archivgut einer Behörde ist ja gleichsam das Kondensat ihrer früheren dienstlichen Tätigkeit.
A. Zur Aufgabenstellung der „Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen“ Ludwigsburg [2] :
a) Möglichkeiten zur Strafverfolgung bis 1958:
Nach der schwerpunktmäßigen Verfolgung der Nazi-Verbrechen zunächst durch die alliierten Siegermächte („Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozess“, „Einsatzgruppen-Prozess“ usw.) und nachfolgend durch die Besatzungsmächte sowie unmittelbar betroffene Staaten wie z.B. Polen, Jugoslawien oder auch die Niederlande und Belgien wurde es deutschen Gerichten in der Nachkriegszeit erst nach und nach gestattet, auch selbstständig NS-Prozesse durchzuführen. Anfänglich bestand diese Möglichkeit nur für solche Taten, bei denen beiderseits deutsche Staatsbürger involviert waren, dann – sich ausweitend – über die „Displaced Persons“ bis hin zur Rückübertragung der vollen Gerichtshoheit an die Bundesrepublik 1955.
Auf Grund der einengenden Vorgaben der deutschen Strafprozessordnung – gleichsam punktuelle Zuständigkeitsregelungen für die Staatsanwaltschaften (Tatort bzw. Wohnort des Täters) – konnte damit jedoch noch keine systematische juristische Aufklärung des NS-Unrechts in Deutschland beginnen. Seine Verfolgung blieb häufig genug auf den „Kommissar Zufall“ angewiesen. Diese Schwachstelle war damals durchaus schon bekannt, aber für den erfolgreichen Abschluss des bereits seit längerem gärenden Umdenkungsprozesses bedurfte es erst noch eines weiteren, die deutsche Justiz und die Öffentlichkeit wach rüttelnden Ereignisses, des „Ulmer-Einsatzgruppen-Prozess“.
Praktisch unmittelbar beginnend mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion Ende Juni 1941 hatte eine Einsatzgruppe aus Tilsit in einem ca. 25km breiten Grenzstreifen vom Memelland entlang der ostpreußisch-litauischen Grenze mehrere tausend Juden und andere, insbesondere auch des Kommunismus verdächtige Personen in den ersten drei Monaten erschossen. 1958 verurteilte das Landgericht Ulm daraufhin den nur zufällig der Justiz bekannt gewordenen Hauptangeklagten wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord zu einer langjährigen Freiheitsstrafe. [3] Dieser Prozess und seine Begleitumstände bildeten dann den äußeren Anlass zur Gründung der „Zentralen Stelle“ 1958 in Ludwigsburg, waren gleichsam ihre „Geburtswehen“.
b) Die Gründung und Aufgabenstellung der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen“:
Nach dem Willen der durch eine Verwaltungsvereinbarung der Justizminister bzw. –senatoren der deutschen Bundesländer mit Dienstsitz in Ludwigsburg ins Leben gerufenen Zentralen Stelle (ZSt) erstreckte sich deren Tätigkeit zunächst „vorwiegend auf solche Verbrechen, für die im Bundesgebiet ein Gerichtsstand des Tatortes nicht gegeben ist, [und] die
- a) im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen gegenüber Zivilpersonen außerhalb der eigentlichen Kriegshandlungen, insbesondere bei der Tätigkeit der sogenannten Einsatzkommandos,
- b) außerhalb des Bundesgebietes in Konzentrationslagern und ähnlichen Lagern
begangen worden sind.“
Diese Zuständigkeit hat die ZSt – mit wenigen Änderungen – noch heute. Dazu sollte sie „[…] das erreichbare Material sammeln, sichten und auswerten. Dabei wird sie insbesondere nach Ort, Zeit und Täterkreis begrenzte Tatkomplexe herausarbeiten und feststellen, welche an den Tatkomplexen beteiligten Personen noch verfolgt werden können“. [4]
Wie die Landesjustizminister-Konferenz schon ein Jahr später, also 1959, zur Vermeidung von Mißverständnissen erläutern zu müssen glaubte, sollte es sich bei der Tätigkeit der Zentralen Stelle „nicht um eine neue Entnazifizierung“ handeln, „sondern um die Aufklärung umfangreicher, bisher ungesühnter schwerer Verbrechen, die sowohl nach damaligem als auch nach heutigem Recht unter schwere Strafdrohung gestellt waren und sind. […] Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen befasst sich dagegen nicht mit der Untersuchung von solchen strafbaren Handlungen, die im Zusammenhang mit dem eigentlichen Kriegsgeschehen von Militärpersonen begangen wurden [Kriegsverbrechen im engeren Sinne]“. [5]
Ausgeklammert blieben auch die Tatkomplexe „Reichsicherheitshauptamt“ und „Volksgerichtshof“, bei denen der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht Berlin [Tatortzuständigkeit] die Ermittlungen weiterhin führte.
Mithin gehörte es nicht zu den Aufgaben der ZSt, jeglichem NS-Unrecht nachzugehen, sondern wegen der Verjährungsproblematik nur solchem wie Mord und Totschlag, das zwar auch schon bis 1945 unter schwerer Strafandrohung gestanden hatte, aber aus politischopportunistischen Gründen nicht verfolgt worden war. Dass aber „der von einer kriminellen Staatsführung befohlene Mord ein Mord bleibt, für den der einzelne nach den zur Zeit seiner Tat geltenden Gesetzen einzustehen hat“, das sollte mit der Gründung der ZSt und der Verwendung des Begriffes „NS-Verbrechen“ klargestellt werden. [6]
Mit dieser bis heute gültigen Aufgabenstellung für die ZSt wurde ab 1958 die sonst bei deutschen Strafverfahren übliche Vorgehensweise für die Aufklärung von NS-Verbrechen gleichsam umgekehrt. „Die Untersuchungen setzten nun nicht mehr erst auf eine Anzeige gegen einen Tatverdächtigen hin ein, wie es bisher die Regel war; vielmehr lösen wie auch immer geartete Hinweise auf eine strafrechtlich noch verfolgbare Tat die Ermittlungen nach den noch unbekannten oder noch nicht ausfindig gemachten Tatbeteiligten aus. [Durch diesen systematischen Ansatz stellte sich auch die, Erg. L.B.] […] Frage nach der Zuständigkeit einer Staatsanwaltschaft […] nun nicht mehr zu Beginn der Untersuchungen, sondern [erst, L.B.] zu einem Zeitpunkt, an dem der Sachverhalt zumindest in großen Zügen aufgeklärt und wenigstens ein Tatverdächtiger ermittelt“ war. [7] Erst dann nämlich wurden die von der Zentralen Stelle als einer den Staatsanwaltschaften vorgeschaltete Ermittlungsbehörde zusammengetragenen Unterlagen der zuständigen Staatsanwaltschaft zur Prüfung und gegebenenfalls Aufnahme eigener Ermittlungen zu übergeben.
c) Die von der „Zentralen Stelle“ gesammelten oder auf Grund ihrer Tätigkeit angelegten Unterlagen:
1) Die Dokumentenzentrale:
Da mit freiwilligen Geständnissen von NS-Tätern kaum mehr gerechnet werden konnte, musste zunächst nach Belegen für das NS-Unrecht gesucht werden. Alles in allem hat die Zentrale Stelle bis heute (Stand 31.12.2000) immerhin ca. 557.000 Blatt, d.h. ca. 270 lfdm., Kopien solcher Art von Dokumenten gesammelt. Hierbei handelt es sich sowohl um erbeutete Dokumente deutscher Provenienz, die im Ausland verwahrt werden bzw. wurden, als auch um solche dort angelegten, aber aus der Nachkriegszeit stammenden wie Untersuchungsberichte, Zeugenbefragungen oder Gerichtsprotokolle. Auf die Anfertigung von Kopien aus inländischen Archivunterlagen wurde – abgesehen von nicht vermeidbaren Überschneidungen gerade im Bereich der deutschen gesamtstaatlichen Überlieferung, mithin der nunmehr überwiegend im Bundesarchiv befindlichen Überlieferung [8] – dagegen weitgehend verzichtet, da diese ja den deutschen Strafverfolgungsbehörden frei zugänglich waren.
2) Die „AR-Z“ – und „AR“ – Unterlagen der Zentralen Stelle:
1. Die „AR-Z“-Sachen:
Der Auftrag an die ZSt lautete aber nicht nur, „alle erreichbaren einschlägigen Unterlagen über die von ihr aufzuklärenden Straftaten zu sammeln“, sondern – weiterführend – diese auch „zu sichten, voneinander abgrenzbare Tatkomplexe herauszuarbeiten und den Verbleib der Täter festzustellen“, also Ermittlungen anzustellen. Allerdings war und ist die ZSt keine Staatsanwaltschaft, konnte auch nicht selbst gerichtliche Untersuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse erwirken, einen Haftbefehl beantragen oder gar Anklage erheben. Dafür bedurfte es in jedem Fall der Einschaltung einer zuständigen Staatsanwaltschaft. Die ZSt stellte vielmehr lediglich „Vorermittlungen“ an, unterstützt durch die örtlichen Dienststellen der Kriminalpolizei und insbesondere durch die bei den einzelnen Landeskriminalpolizeiämtern eingerichteten Sonderkommissionen.
Die dabei entstandenen Vorgänge, also bei denen, aus denen sich der Verdacht einer noch verfolgbaren strafbaren Handlung ergab, wurden bei der ZSt als „Akten in Ermittlungssachen (AR-Z-Sachen)“ bezeichnet, nach laufender Nummer und Jahreszahl registriert und mit durchlaufenden Blattzahlen versehen. Die „Erstschrift“ wurde schließlich an die für den Wohn- bzw. Aufenthaltsort des (Haupt-)Täters zuständige Staatsanwaltschaft zur Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens abgegeben, während eine durch „Legscheine“ von unwesentlichen Schriftstücken verschlankte Mehrfertigung bei der ZSt verbliebt. Zu letzterer sollten endlich auch die dann bei einer Staatsanwaltschaft in ihrem Verfahren anfallenden wesentlichen Erkenntnisse und abschließenden Vermerke genommen werden wie auch die dazu ergehenden gerichtlichen Maßnahmen und Entscheidungen. [9]
Es handelt sich hierbei also um – nicht immer vollständige – Mehrfertigungen, während die authentische Überlieferung bei den zuständigen Staatsanwaltschaften bzw. Gerichten, letztlich bei dem für den jeweiligen Sprengel zuständigen Staatsarchiv zu suchen ist.
Die Zahl der auf diese Weise durch die ZSt bis Ende 2000 eingeleiteten Vorermittlungsverfahren beläuft sich auf nahezu 7250 mit etwa 400 lfdm Unterlagen.
2. Die „AR“-Sachen:
Alle anderen Vorgänge wurden, soweit sie nicht zu den General- und Dienstakten gehörten, im allgemeinen Register (AR) als „AR“-Sachen geführt und wiederum nach laufender Nummer und Jahreszahl registriert. Davon konnten ganz unterschiedliche Unterlagen betroffen sein, angefangen von Anfragen zu bestimmten Sachverhalten mit ihrer Beantwortung bis hin zur Übersendung von umfangreichen Dokumentationen zu Gerichtsverfahren, die ihren Ursprung nicht bei der ZSt genommen hatten, z.B. des „Auschwitz“-Prozesses. Die bis Ende 2000 angefallenen 105.290 AR-Vorgänge, ca. ebenfalls 400 lfdm., sind also von ganz unterschiedlicher Aussagekraft.
Beide Bestände, AR- und ARZ-Unterlagen, im Kern nur durch ihre unterschiedliche Herkunft unterschieden, bilden die zweite Säule des in Ludwigsburg verwahrten Archivguts. Sie enthalten vor allem Hinweise auf mutmaßliche Täter und zusammenfassende Sachverhaltsfeststellungen, gestützt auf ergänzend herangezogene weitere Beweismittel und insbesondere richterliche Vernehmungen sowie sonstige Zeugenaussagen. Trotz aller gebotenen Vorsicht und Notwendigkeit zu einem quellenkritischen Umgang mit dieser besonderen Art von Quellengattung sind sie wegen ihrer „relativen“ zeitlichen Nähe zum dokumentierten Tatgeschehen und ihrer stellenweise hohen Detailliertheit unverzichtbar für die Erforschung von NS-Verbrechen.
3) Die Erschließungsmittel (Karteien):
a) Verfahrensübersicht (VÜS) und Verfahrenskartei:
Bei den Zuständigkeitsregelungen innerhalb der Justiz war es für die Arbeit der ZSt von großer Bedeutung, Kenntnisse über den genauen Stand der in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten NS-Verfahren und die jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften sowie erkennenden Gerichte zu gewinnen und möglichst auf dem Laufenden zu erhalten. Dazu wurde als Verfahrensübersicht eine Verfahrenskartei angelegt, die den Gerichtsort, Namen des Hauptbeschuldigten bzw. der Angeklagten, den Verfahrensgegenstand und Tatort, den Stand bzw. Ausgang des Verfahrens sowie das Aktenzeichen der ZSt resp. der zuständigen Staatsanwaltschaft enthielt.
Zusätzlich existiert eine Sammlung der Anklageschriften und Gerichtsurteile. Insgesamt ermöglicht die VÜS einen Überblick über den Stand der justiziellen Aufarbeitung des NS-Unrechts in Deutschland ab 1958 mit teilweisen Rückblicken auf die Zeit davor.
b) Die Zentralkartei (Namen-, Orts- und Einheitenkartei):
Bei der Zentralkartei handelt es sich um eine Namenskartei, die durch 3-fache Ablage als alphabetische Kartei, Ortskartei und Einheiten (Dienststellen) – Kartei geführt wird. Dabei wurden neben den Personalien – sofern möglich – auf den Karteikarten der Dienstgrad, die Dienststellung und Einheit mit dem Zeitraum der Zugehörigkeit zu dieser und der Einsatzort vermerkt. Ferner wurden auch die zu dieser Person anfallenden Aktenzeichen bei den unterschiedlichen Verfahren sowohl der ZSt als auch bei den Staatsanwaltschaften, Hinweise auf Fundstellen in den Dokumenten, Angaben zu Nennungen oder Vernehmungen sowie der Ausgang der Verfahren festgehalten. Diese Kartei enthielt zum Stichtag 31.12.2000 rund 1.635.000 Karten.
Diese Zentralkartei erschließt die in Ludwigsburg verwahrten Unterlagen (Dokumente, AR-Z und AR-Sachen sowie Sammlungen) auf der Ebene der Personennamen, untergliedert sie teilweise nach Dienststellen (Einheiten) und (Tat-) Orten, und verknüpft sie – im Grunde unauflösbar – über die vielfältigen Signaturen und Blattangaben mit den anderen Unterlagen.
d) Zur Einschätzung der von der ZSt gesammelten oder angelegten Unterlagen als Quellen zur Geschichte des Dritten Reiches:
Die Unterlagen sind aus der Aufgabenstellung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen entstanden, sind also nicht für historische, sondern primär für justizielle Zwecke gesammelt und angelegt worden.
Gleichwohl ergaben sich durch die Notwendigkeit zur Durchführung der NS-Strafverfahren, durch den Zwang zur rechtlich gebotenen Ausforschung der Straftaten Möglichkeiten zu einer Sichtung und Sammlung von Materialien und Dokumenten zu diesem Komplex, wie sie von zeitgeschichtlichen Forschungseinrichtungen in dieser Menge und Vielfalt schwerlich hätten zusammengetragen oder durchgeführt werden können. [10] Dies gilt insbesondere für die zahlreichen erst durch staatsanwaltschaftliche Befragungen gewonnenen Zeugenaussagen, die eine Art in Schriftform geronnene „oral history“ darstellen. Wegen ihrer Zeitnähe zu den Ereignissen kommt ihnen eine große Bedeutung zu, zumal die „historische und zeitgeschichtliche Forschung in der Bundesrepublik […] die systematische Befragung der Zeitzeugen des Dritten Reiches weitestgehend vernachlässigt“ hatte. [11]
Selbstverständlich müssen auch diese Aussagen ebenso wie die Dokumente mit den Methoden der historischen Quellenkritik überprüft werden. Die Erkenntnisse aus diesen Ermittlungsverfahren bieten der Zeitgeschichtsforschung jedenfalls wertvolle Hilfestellungen, so „dass kein Wissenschaftler diese Erkenntnisquelle ohne Not ungenutzt lassen sollte“. [12] So war und ist zusammenfassend die ZSt zwar nicht die zentrale Sammelstelle von Unterlagen zur Erforschung des NS-Unrechts geworden, wie es sich manche Wissenschaftler gewünscht hätten, wohl aber eine der bedeutendsten des In- und Auslandes. [13] Ihre Informationsmöglichkeiten und das dadurch erworbene internationale Ansehen ließen sogar den Wunsch entstehen, die ZSt zu einer, wenn nicht gar der zentralen Erinnerungs- und Forschungsstätte in Deutschland für die Geschichte des Holocaust auszubauen. In der Tat bieten die dort gesammelten Dokumente und Unterlagen in Verbindung mit den Findmitteln und tief gegliederten Karteien anerkanntermaßen einen relativ leichten Zugang zu den darin enthaltenen, insbesondere personenbezogenen Informationen. [14]
B. Die Übernahme der Unterlagen der ZSt durch das Bundesarchiv und die Errichtung der Außenstelle Ludwigsburg des Bundesarchivs:
Die zuständigen Gremien in der Bundesrepublik Deutschland sind dem soeben erwähnten Ansinnen nach Überführung der Unterlagen der ZSt in eine zentrale Erinnerungsstätte nicht gefolgt. Nach längeren Verhandlungen schloss vielmehr im Jahr 2000 die Bundesregierung mit den Regierungen aller 16 beteiligten Bundesländer ein Verwaltungsabkommen ab, das rückwirkend zum 1. Januar 2000 in Kraft trat. Danach bleibt die ZSt bestehen und arbeitet in ihrem Kernbereich solange weiter, wie noch mit einiger Aussicht auf Erfolg mutmaßliche NS-Täter juristisch verfolgt werden können. Die Unterlagen der ZSt, die jedoch nicht mehr für aktuelle Zwecke der Strafverfolgung benötigt werden, wurden dem Bundesarchiv übergeben, das diese entsprechend dem Bundesarchivgesetz dauerhaft zu sichern, sie nutzbar zu machen und wissenschaftlich zu verwerten hat. Dieses errichtete hierzu am Sitz der Zentralen Stelle in Ludwigsburg eine Außenstelle. In der zum 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung wurde hinsichtlich der Nutzung dieses Archivgutes u.a. folgendes vereinbart:
„[…] 3. Nach Übernahme durch das Bundesarchiv findet das Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz – BArchG) vom 06. Januar 1988 […. in der gültigen Fassung, L.B.] auf das Archivgut mit der Maßgabe Anwendung, dass die Schutzfristen nach § 5 Abs. 1 und 2 BArchG für wissenschaftliche Forschungsvorhaben oder zur Wahrnehmung berechtigter persönlicher Belange zu verkürzen sind, sofern und soweit § 5 Abs. 6 BArchG dem nicht entgegensteht. 4. Sofern und soweit Archivgut für Zwecke der Strafverfolgung benötigt wird, kann die Zentrale Stelle jederzeit vorrangig vor anderen Benutzern auf das Archivgut zurückgreifen und es für die Zwecke nutzen, für die das Archivgut vor Abgabe an das Bundesarchiv verwendet werden durfte“. |
Autor: Dr. Heinz-Ludger Borgert
Adresse der Zentralstelle: Bundesarchiv-Außenstelle Ludwigsburg, Schorndorfer Str. 58, 71638 Ludwigsburg. Bundesarchiv Online
Anmerkungen
[1] Bundesarchiv-Außenstelle Ludwigsburg, Schorndorfer Str. 58, 71638 Ludwigsburg.
[2] Zur Aufgabe und Arbeitsweise der ZSt vgl. u.a. Adalbert Rückerl: Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen 1945 – 1978. Eine Dokumentation, Heidelberg 1979; auch ders.: NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, Müller: Heidelberg 1982. .
[3] Vgl. C. F. Rüter u.a.: Justiz und NS-Verbrechen, Bd. XV, lfd. Nr. 465, Amsterdam 1976, S. 11 -265.
[4] „Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung einer Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in der Fassung vom 24.1.1967, die bezüglich der zitierten Passagen inhaltsgleich mit der vom 6.11.1958 ist, vgl. dazu Rüdiger Kuhlmann: Die Ludwigsburger Zentrale Stelle und ihr gesellschaftliches und justizielles Umfeld. Magisterarbeit im Fach Geschichte an der Universität Hannover, November 2000, S. 37, FN. 114. Allerdings nennt K. dort das falsche Datum 6.11.1959. Die Änderungen bei der Zuständigkeit betrafen die Ausdehnung auf das Gebiet der Bundesrepublik (1964) unter Einschluss der dort gelegenen Konzentrationslagern und Anstalten sowie bei Beteiligung Oberster Reichsbehörden, z.B. bei der ‚Aussonderung‘ und anschließenden Ermordung von sowjetischen Kriegsgefangenen, und für Dienststellen der NSDAP (1965), vgl. auch Nicole Wittig: Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, MA-Hausarbeit Sozialwissenschaften Mainz 1994, S. 6.
[5] Presseerklärung, zitiert bei Reinhard Henkys: Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Geschichte und Gericht, hrsg. Von Dietrich Goldschmidt, Kreuz-Verlag: Stuttgart ²1965, S. 353.
[6] Heinz Artzt: Zur Abgrenzung von Kriegsverbrechen und NS-Verbrechen, in: NS-Prozesse. Nach 25 Jahren Strafverfolgung: Möglichkeiten – Grenzen – Ergebnisse, Hrsg. Von Adalbert Rückerl, Müller: Karlsruhe ²1972, S. 163 – 194, hier S. 194; vgl. dazu Henry Friedlander/Sybil Milton(Ed.): Archives of the Holocaust. An international Collection of selected Documents. Vol. 22: Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen, Ludwigsburg, New York 1993, S. XIV, Fuß2: „The use of the terms ,war crimes‘ and ,war criminals‘ by Allied courts, and the continued use of these terms by the press, has complicated discussions about Nazi criminality. The German courts have always used the terms ,Nazi crimes‘ and ,Nazi criminals‘, dropping the adjective ,war‘, because the overwhelming majority of Nazi crimes were legally unrelated to wartime conditions. The war was used by the Nazi leaders only as an excuse, and by their apologists today as a rationalization, to hide the ideological basis of their crimes“. .
[7] Vgl. Adalbert Rückerl: NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, Müller: Heidelberg 1982, S. 144/145.
[8] Zur seinerzeitigen Überlieferungssituation vgl. u.a. Josef Henke: Das Schicksal deutscher zeitgeschichtlicher Quellen in Kriegs- und Nachkriegszeit. Beschlagnahme – Rückführung – Verbleib. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, H. 4, 1982, S. 557 – 620.
[9] Vgl. Adalbert Rückerl: NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, Müller: Heidelberg 1982, S. 144.
[10] Vgl. Peter Steinbach: NS-Prozesse und historische Forschung, in: Heiner Lichtenstein/ Otto R. Romberg (Hrsg.): Täter – Opfer – Folgen. Der Holocaust in Geschichte und Gegenwart. Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 335, Wetzlar, ²1997, S. 136 – 153, hier S. 144.
[11] Vgl. Johannes Tuchel: Die NS-Prozesse als Materialgrundlage für die historische Forschung. Thesen zu Möglichkeiten und Grenzen interdisziplinärer Zusammenarbeit, in: Jürgen Weber/Peter Steinbach (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung durch Strafverfahren? NS-Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland, Günter Olzog, München 1984, S. 134 – 144, hier S. 134.
[12] Willi Dreßen: Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, in: Erinnern oder Verweigern – Das schwierige Thema Nationalsozialismus. Dachauer Hefte, H.6, Dachau 1990, S. 85 – 93, hier S. 91.
[13] Vgl. u.a. Johannes Tuchel: Die NS-Prozesse als Materialgrundlage für die historische Forschung. Thesen zu Möglichkeiten und Grenzen interdisziplinärer Zusammenarbeit, in: Jürgen Weber/Peter Steinbach (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung durch Strafverfahren? NS-Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland, Günter Olzog, München 1984, S. 134 – 144, hier S. 143.
[14] Vgl. Serge Klarsfeld (Ed.): Introductions to: Documents concerning the destruction of the Jews of Grodno 1941 – 1944. The Beate Klarsfeld Foundation, Vol. I, S. I – IV. Auch Henry Friedlander/Sybil Milton(Ed.): Archives of the Holocaust. An international Collection of selected Documents. Vol. 22: Introduction to „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen, Ludwigsburg“, New York 1993.