Thomas Rohkrämer: Die fatale Attraktion des Nationalsozialismus. Zur Popularität eines Unrechtsregimes, Paderborn 2013.
Unter allen möglichen Aspekten wurden Entstehung, Entwicklung und historischer Verlauf der nationalsozialistischen Bewegung, ihre Ursachen und (Nach-) Wirkungen, ideologisch, wissenschaftlich und publizistisch zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Heute gedeutet. Kann uns Thomas Rohkrämer neue Sichtweisen offerieren?
Der Autor geht seiner Kernfrage nach, weshalb „die Hälfte der Bevölkerung noch nach 1945 für Jahrzehnte daran festhielt, der Nationalsozialismus sei im Prinzip eine gute Idee gewesen, die aber schlecht umgesetzt worden sei“. Wer sich fragt, warum nach all den Entbehrungen im Krieg und der Nachkriegszeit nostalgische Erinnerungen offen geäußert wurden, muß sich vergegenwärtigen, daß es nicht nur Menschen, die am herrschenden System partizipierten, sondern auch jene, die in der neuen Gesellschaft „angekommen“ waren.
Auf breiter Materialgrundlage analysiert Rohkrämer Stimmungsberichte als Zeitdokument oder nachträgliche Betrachtungen, beschreibt seine Suche nach Erklärungen für zeitweilige oder nachwirkende Überzeugungen. Chronologisch angelegt, durchschreitet er anhand der Texte die Jahre kurz vor dem Ende der Weimarer Republik bis zur bedingungslosen Kapitulation des Reiches – und den Nachklang.
Stellvertretend für all die aufgeführten Auszüge aus Briefen, Tagebüchern und Interviews sollen die Bekenntnisse des jüdischen Romanisten Victor Klemperer und von Margit, der Ehefrau des Historikers Fritz Fischer, dessen „Griff nach der Weltmacht“ in den Sechzigern ein Bestseller war und dessen Thesen noch in der Gegenwart unser Deutschland-Bild dominieren (sollen), bezeugen. Während Klemperer sich 1941 fragt, „wer von den ‚arischen’ Deutschen ist wirklich unberührt vom Nationalsozialismus? Die Seuche wütet in allen.“ bestätigt Margit Fischer Jahrzehnte später die Einschätzung. Nach der Machtübergabe an Hitler fühlte sie sich als Fünfzehnjährige wohl. „Das ganze Volk hat sich wohl gefühlt. Es war für die meisten Menschen ein arbeitsreiches und im Grunde fröhliches Leben, denn die Stimmung, der Zeitgeist waren ja positiv. Sie zeigt sich enttäuscht, „daß dieser Idealismus von uns allen im Grunde doch schändlich missbraucht“ wurde.
Thomas Rohkrämer notiert weitgehend objektiv, einfühlsam und verständnisvoll, dem Menschen zugewandt, kollektive Vorstellungen über Gemeinschaftsglauben, ästhetischer Dramatisierung der Politik und die heterogenen Entwicklungen im NS-Staat als Folge einer immens krisengeschüttelten Gesellschaft. Aber er bezieht gleichfalls Resignation und Empörung, Durchhaltewillen und Fanatismus in seine Betrachtungen ein: Die Vielfalt der Lebensentwürfe.
Autor: Uwe Ullrich
Rohkrämer, Thomas: Die fatale Attraktion des Nationalsozialismus. Zur Popularität eines Unrechtsregimes; Paderborn: Schöningh 2013, 402 S., 34,90 Euro