Die Institution des Konzentrationslagers war darauf abgerichtet, Menschen zu selektieren, sie durch Arbeit auszubeuten, zu erniedrigen und letztendlich umzubringen. Die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager waren architektonisch betrachtet riesige Anlagen, meistens abgeschottet von der Öffentlichkeit, in unmittelbarer Nähe zu Industrie und Fabriken, sie bestanden aus Baracken ohne ausreichende sanitäre Anlagen und waren rein funktional für die Vernichtung der europäischen Juden erbaut worden. Das nationalsozialistische Regime hatte kaum Zeit investiert, um die Lager zu entwerfen oder zu bauen, sondern stampfte sie aus dem Boden, um möglichst wenig Zeit zu verlieren. Die Lager bestachen auch nicht durch besonders großzügig angelegte Anlagen oder schöne Bauwerke, sondern durch die grobe „Schlichtheit“ der Unterkünfte für die Häftlinge. Es mag als ein psychologischer Schachzug der Nationalsozialisten gelten, dass die Lager nicht allein durch das Geschehen innerhalb der Zäune, sondern bereits durch die riesigen und kalten Gebäude eine einschüchternde und beängstigende Wirkung auf die Häftlinge hatten. Neben den unpersönlichen und fabrikähnlichen Lagergebäuden wurde diese Wirkung durch mangelnde Einrichtung in den Unterkünften verstärkt, die nur aus grob gezimmerten Hochbetten bestand, in die sich die Häftlinge zusammen quetschen mussten. Häftlinge konnten in den Lagern, in denen sie oftmals mehrere Jahre verbringen mussten und Angehörige sterben sahen, kein Zuhause sehen – nicht einmal eine normale Unterkunft – sondern betrachteten die Lager als Ort ständiger Todesangst, Ausbeutung und Vernichtung. Ganz anders verhielt es sich mit dem Lagerpersonal.
Das nationalsozialistische Lagerpersonal, das aus männlichen Aufsehern und zum Teil aus Aufseherinnen für die weiblichen Häftlinge bestand, wurde ebenfalls in den Lagern einquartiert und verbrachte neben seiner Arbeitszeit auch die Freizeit dort. Jedoch wurden die Quartiere für das Personal meistens großzügig und beinahe luxuriös ausgestattet, um den SS-Männern und SS-Frauen eine angenehme Unterkunft angesichts der schwierigen „Arbeitsbedingungen“ innerhalb der Lager zu bieten. Indem das SS-Personal durch ungewöhnlich hübsche Wohnmöglichkeiten und ereignisreiche Freizeitaktivitäten verwöhnt wurde, sollte es den schrecklichen Anblick der Lagergeschehnisse vergessen, wenn nicht gar abgestumpft werden, und sich lediglich auf die Privilegien konzentrieren, die ihm während seines Dienstes gewährt wurden.
Da das Personal der Konzentrationslager in der unmittelbaren Umgebung des Lagers untergebracht war, hatte es auch nach seinem täglichen Dienst das Geschehen des Lagers direkt vor Augen.[1] Die SS vermochte es, den Arbeitsalltag mit der Freizeit des Aufsichtspersonals zu verknüpfen, indem sie Freizeitangebote auf dem Gelände der Lager schuf und das Personal auf diese Weise an die Konzentrationslager band. Zugleich erhoffte sich die SS dadurch, das Personal davon abzuhalten, den Großteil der Freizeit außerhalb zu verbringen und dadurch die Möglichkeit zu haben, vertrauliche Informationen über das Geschehen innerhalb der Lager preiszugeben.[2]
Im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück beispielsweise gab es insgesamt acht Aufseherinnenhäuser, die zusammen mit der gesamten Wohnsiedlung für das Personal zwischen 1939 und 1941 errichtet wurden.[3] Die innere Bewachung der Häftlingsfrauen oblag in Ravensbrück allein den Aufseherinnen, während männliche Wachtruppen lediglich für die äußere Bewachung zuständig waren. Aus diesem Grund wurden dort vor allem weibliche Aufseherinnen benötigt. Ein weiterer Grund für den Bau der Siedlung in Ravensbrück war die minimale Unterbringungskapazität in der Nähe des Konzentrationslagers gewesen, die es nötig machte, für die benötigten Wachmannschaften und das übrige Personal geeignete Unterkünfte zu errichten.[4] Im Gegensatz zu anderen nationalsozialistischen Konzentrationslagern waren die Unterkünfte in Ravensbrück nicht nur großzügig gebaut worden, sondern erschienen durch den Landhausstil auch heimisch und luxuriös.[5] Auf diese Weise vermittelten sie weniger militärischen Charakter und ließen den grausamen Lageralltag hinter den komfortablen und luxuriösen Verhältnissen für die Aufseherinnen verblassen.[6]
Während die wenigen verheirateten Aufseherinnen oder jene Aufseherinnen, die bereits Kinder hatten, auch außerhalb des Lagers privat untergebracht werden konnten, bewohnten meist zwei oder drei Aufseherinnen eine Wohnung in den Aufseherinnenhäusern. Lediglich die Aufseherinnen, die dienstverpflichtet wurden und aus Zwang in Ravensbrück tätig waren, wurden in barackenähnlichen Unterkünften untergebracht, die zu einem späteren Zeitpunkt erbaut worden waren, als die Aufseherinnenhäuser keinen Platz mehr für weitere Aufseherinnen boten.[7] Hieran lässt sich erkennen, auf welche Weise das nationalsozialistische Regime diejenigen bestrafte, die sich ihrer totalitären Auffassung nicht völlig fügten.
Für die relativ kleinbürgerlichen Verhältnisse, aus denen die meisten Aufseher und Aufseherinnen stammten, stellten die Behausungen in den Lagern eine luxuriöse Abwechslung dar, da diese aus Wohnzimmer, Schlafzimmer mit eingebautem Kleiderschrank und einer Waschgelegenheit bestanden. Gleichzeitig befanden sich auf jeder Etage eine Teeküche als auch eine Toilette, zudem gab es großzügige Balkone und im Keller eine Waschküche für die Aufseherinnen.[8]
Zerstreuung für die Aufseherinnen und Aufseher – Freizeitvergnügen der SS
Die SS versuchte, das Leben der Wachmannschaften in den Konzentrationslagern so angenehm wie möglich zu gestalten, sodass auch für Zerstreuungen aller Art gesorgt wurde. Neben der reichhaltigen Truppenverpflegung, der komfortablen Unterbringung, Sonderurlaub, der kostenlosen Bekleidung, Weihnachtszuwendungen und der Austeilung von Zigaretten gab es vielfältige andere Arten von Freizeitaktivitäten. Das Personal hatte lediglich einen Tagessatz von 1,20 Reichsmark für die Truppenverpflegung und 15 Reichsmark für die monatliche Miete zu entrichten, gleichzeitig wurden ihnen sehr viele andere Privilegien unentgeltlich gewährt, die beispielsweise Aufseherinnen als Arbeiterinnen in Fabriken nicht erfahren hätten.[9] Vor allem nach so genannten „Sonderaktionen“ erhielt das KZ-Personal als Entschädigung Sonderrationen Alkohol und Zigaretten, so dass nach Selektionen oder Tötungen das zuständige Personal betrunken war, „betrunkene SS-Angehörige im Dienst bildeten keine Ausnahmen.“[10]
Solche Privilegien bestanden darin, dass das Personal nach seinem täglichen Dienst viele Freizeitangebote wahrnehmen konnte, die ihm Erholung vom Dienstalltag bescheren sollten, aber gleichzeitig das Lager als normalen Wohnsitz nahe bringen konnten. Aus diesem Grund wurden beispielsweise in Ravensbrück ein Tennisplatz, ein Sportplatz mit Aschenbahn und ein Fußballfeld auf dem Gelände des Konzentrationslagers errichtet, auf denen die SS-Angehörigen während ihrer Freizeit sportlichen Aktivitäten nachgehen konnten.[11] Auf dem Schwedtsee, der direkt vor den Häusern der Aufseherinnen und vor dem Eingang zum Lager lag, konnten die Aufseherinnen rudern, sie badeten im Sommer darin und fuhren im Winter Schlittschuh darauf.[12] Zudem unternahmen sie oft in Begleitung ihrer Diensthunde Spaziergänge rund um das Lagergelände.
Nicht nur in Ravensbrück, sondern in den meisten Konzentrationslagern war man darauf bedacht, das Personal ständig zu unterhalten, sodass beispielsweise der SS in Auschwitz neben einem Kasino, einem Fußballstadion, einer Saunaanlage, einer Bibliothek und einem Schwimmbecken auch ein Theater, ein Symphonieorchester, das aus Häftlingen bestand, und ein Lagerbordell zur Verfügung standen.[13] Zudem gab es oftmals Geschäfte, Friseurläden und weitere Einkaufsmöglichkeiten, die von der SS der Lager häufig frequentiert wurden. Es lässt sich sagen, dass vor allem die größeren Konzentrationslager einem Mikrokosmos gleichkamen und dem Personal damit die Möglichkeit gaben, sich auf dem Gelände des Lagers heimisch zu fühlen und nichts an Komfort zu vermissen.
In Ravensbrück war man vor allem auf die weiblichen Bedürfnisse bedacht, da es ein reines Frauenkonzentrationslager war, als Ausbildungsstätte aller SS-Aufseherinnen des Dritten Reiches diente und somit viel weibliches Personal beherbergte, das anderen Interessen nachging als das männliche Wachpersonal in anderen Konzentrationslagern. Zwar gab es auch in Ravensbrück ein Kasino und eine Bibliothek, dennoch verbrachten viele Aufseherinnen ihre Freizeit in der Frisierstube oder suchten sich Kleidungsstücke aus der Schneiderei aus, bevor sie meistens in den nahe gelegenen Ort Fürstenberg gingen und sich dort mit Soldaten trafen. Auch die dort ansässigen Gaststätten oder Schützenfeste stellten einen enormen Anziehungspunkt dar, denn sie sicherten den Aufsehern und Aufseherinnen Anschluss an die Gemeinde und gaben ihnen somit die Gelegenheit, private Kontakte zu schließen.[14]
Zudem schien das KZ-Personal gern gesehene Gäste in Gaststätten, Kinos oder auf Festen der Gemeinden gewesen zu sein, die keineswegs ausgeschlossen wurden, da die Lager als attraktive Nachbarn betrachtet wurden, die den Anwohnern und Landwirten viele Aufträge gesichert und so deren wirtschaftliches Überleben in den harten Kriegsjahren ermöglicht hatten. Die SS und die SS-Aufseherinnen erschienen daher interessant und wurden eingeladen, um an Festlichkeiten teilzuhaben, beziehungsweise kamen beispielsweise auch Anwohner nach Ravensbrück, um dort mit dem Personal des Lagers auf dem eigenen Fußballfeld Turniere abzuhalten.[15]
Die Tatsache, dass die Aufseherinnen ihre Freizeit ebenfalls in Ravensbrück verbrachten, zeugt von dem Selbstverständnis der Aufseherinnen, das Konzentrationslager als völlig normalen Arbeitsplatz zu sehen, der gleichzeitig zu ihrem Zuhause wurde. Auch die Familien von Lagerkommandanten lebten in unmittelbarer Umgebung und wurden Zeugen der Vernichtung innerhalb der Lager. Diese Familien bereicherten sich ebenfalls an der Zwangsarbeit, indem Häftlinge im Haushalt beschäftigt waren oder sich die Ehefrauen der ranghohen SS an den Besitztümern der Häftlinge bedienten. Während die Häftlinge in den Lagern täglich ums Überleben kämpften, feierten Kommandanten, deren Familien und SS-Angehörige rauschende Feste in den opulenten Häusern der Lagerkommandanten.[16] Obgleich sie durch das Konzentrationslager mit Gewalt und Tod konfrontiert waren, schien sie dies nicht sonderlich zu tangieren, denn sie wohnten dort nicht nur und verbrachten auch ihre Freizeit auf dem Gelände, sondern nahmen teilweise ihre Kinder mit zu ihrer Arbeitsstelle, die dort ebenfalls wohnten und Zeugen von den Verbrechen in den Konzentrationslagern wurden. Diese Normalität wurde später als „Rückzugsmöglichkeit“ uminterpretiert, als ehemaliges KZ-Personal vor Gericht erklärte, dass die Freizeit es entlasten könnte, schließlich hätte es sich durch einen normalen Alltag nach Dienstschluss von den Geschehen in den Lagern distanzieren und befreien können.
Autorin: Carolin Bendel
Anmerkungen
[1] Vgl., Eschebach, Insa: Das Aufseherinnenhaus. Überlegungen zu einer Ausstellung über SS-Aufseherinnen in der Gedenkstätte Ravensbrück, in: GedenkstättenRundbrief 3/97, S. 1f.
[2] Vgl., Toussaint, Jeanette: Nach Dienstschluss, in: Erpel, Simone (Hrsg): Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück, Berlin 2007, S. 93.
[3] Vgl., Eschebach (1997), S. 1.
[4] Vgl., Plewe, Reinhard/Köhler, Jan Thomas: Die SS-Wohnsiedlung in Ravensbrück, in: Jacobeit, Sigrid (Hrsg.): Forschungsschwerpunkt Ravensbrück. Beiträge zur Geschichte des Frauen-Konzentrationslagers, Berlin 1997, S. 17.
[5] Vgl., Eschebach (1997), S. 4.
[6] Vgl., Toussaint (2007), S. 90.
[7] Vgl., Heike, Irmtraud: „… da es sich lediglich um die Bewachung der Häftlinge handelt …“ Lagerverwaltung und Bewachungspersonal, in: Füllberg-Stolberg, Claus (Hrsg.): Frauen in Konzentrationslagern, Bremen 1994, S. 225.
[8] Vgl., Toussaint (2007), S. 91.
[9] Vgl., Strebel, Bernhard: Das KZ Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes, Paderborn 2003, S. 67.
[10] Vgl., Langbein, Hermann: Menschen in Auschwitz, Wien 1995, S. 440.
[11] Vgl., Plewe (1997), S. 22.
[12] Vgl., Toussaint (2007), S. 92.
[13] Vgl., Schwarz, Gudrun: Frauen in Konzentrationslagern, in: Herbert, Ulrich (Hrsg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 2, Göttingen 1988, S. 801.; Friedländer, Saul: Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden, Zweiter Band 1939-1945, München 2006, S. 537.
[14] Vgl., Toussaint (2007), S. 93.
[15] Vgl., Schwarz, Gudrun: Eine Frau an seiner Seite. Ehefrauen in der SS-Sippengemeinschaft, Berlin 2001, S. 172.
[16] Vgl., Langbein (1995), S. 457-460.