Deutsch-italienische Beziehung 1933 bis 1936
Die Deutsch-italienische Beziehung war nach der Machtergreifung Hitlers zunächst sehr gut gewesen. Hitler hatte am 31. Januar 1933 über den italienischen Major Renzetti eine Grußbotschaft an Mussolini schicken lassen, in der er auf die Ähnlichkeit von italienischem Faschismus und Nationalsozialismus verwies und darauf, „dass Mussolini die ‚Weltanschauung‘ geschaffen hat, die beide Bewegungen verbindet. Ohne jene Schöpfung hätte ich (Hitler) vielleicht diese Stellung nicht erreichen können…“ [1]
Trotz dieses positiven Auftaktes stellte sich bald heraus, dass Deutschland unter Hitler und das faschistische Italien durchaus verschiedene Interessen hatten. Dies war in erster Linie die Frage des Anschlusses Österreichs an Deutschland, der von Seiten Deutschlands Programm war, den Italien jedoch unbedingt verhindern wollte. Italien fürchtete zum einen, die Vorherrschaft auf dem Balkan an Deutschland zu verlieren, zum anderen auch, dass Deutschland nach dem Anschluss Österreichs auch Anspruch auf Südtirol erheben werde, obwohl Hitler immer wieder erklärt hatte, zum Verzicht auf Südtirol bereit zu sein, um dadurch eine Zusammenarbeit mit Italien zu ermöglichen. Zu Beginn des Abessinienkonfliktes mit dem italienisch-abessinischen Grenzzwischenfall von Wal-Wal im Dezember 1934 steckten die deutsch-italienischen Beziehungen in einer tiefen Krise. Hauptgrund hierfür war der gescheiterte Putsch der österreichischen Nationalsozialisten vom 25. 7. 1934, bei dem der österreichische Kanzler Dollfuß, dessen Familie sich bei Mussolini in Italien aufhielt, ermordet wurde. Mussolini machte Hitler für den Putschversuch verantwortlich und begann durch gezielte Anweisungen an die italienische Presse ein „dirigiertes Hetzkonzert“ [2] mit persönlichen Angriffen gegen Hitler, Göring, Goebbels und Rosenberg. Die italienische Pressekampagne, die bald von einer deutschen Pressekampagne erwidert wurde, war so schwerwiegend, dass die ‚Neue Zürcher Zeitung‘ am 30. Juli 1934 schrieb, es werde den persönlich angegriffenen deutschen Politikern schwer fallen, „je wieder zu politischen Verhandlungen in Italien zu erscheinen.“ [3] Das Ende der deutsch-italienischen Freundschaft schien gekommen.
Am 2. Mai 1935 suchte der italienische Botschafter in Berlin, Cerruti, den Reichsminister des Auswärtigen, Freiherr von Neurath, auf und teilte ihm mit, er habe während seines Aufenthaltes in Rom zweimal mit Mussolini gesprochen. Dieser wünsche „dringend die Wiederherstellung guter Beziehungen.“ [4] Dabei sollte das Problem Österreich vorläufig aus den deutsch-italienischen Beziehungen ausgeklammert werden. Auf von Neuraths Hinweis darauf, dass die Anschlussfrage im Moment sowieso „nicht akut sei,“ [5] erwiderte Cerruti, „Mussolini schwebe eine Regelung in der Art vor, wie wir sie mit Polen getroffen hätten.“ [6] Er kam damit auf das Angebot von Hassells vom 5. Dezember 1934 zurück, der Mussolini versichert hatte, dass, „wenn er Pressekonkordat nach Art des deutsch-polnischen wünsche, so würde das sicher an uns nicht scheitern.“ [7] Der Grund für diesen Vorstoß Mussolinis war der sich zuspitzende Abessinienkonflikt. Seit Jahresbeginn 1935 hatte Italien fortwährend Truppen und Kriegsgerät nach Abessinien geschickt. Auf der Stresa-Konferenz vom April waren die Vertreter Großbritanniens wider Erwarten nicht auf das Thema Abessinien zu sprechen gekommen, so dass Mussolini meinte, von dieser Seite keine Einwände befürchten zu müssen. Mussolini wollte nun sicherstellen, dass auch Deutschland, das im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien keine unmittelbaren Interessen in Abessinien hatte, ihm bei seinem Kriegsvorhaben in Abessinien nicht in den Rücken fiel. Mussolini versuchte, die internationale öffentliche Meinung für seinen geplanten Abessinienkrieg zu gewinnen und so Gegenmaßnahmen des Völkerbundes zu verhindern. Kritische deutsche Pressestimmen waren dabei unerwünscht.
Am 13. 5. traf sich der deutsche Botschafter in Rom, von Hassell, mit Mussolini. Dieser „bedauerte die Haltung der deutschen Presse, die bezüglich der italienischen Unternehmung in Afrika ganz besonders feindselig ist.“ [8] Das Protokoll über dieses Gespräch hält weiter fest, von Hassell werde sich in den nächsten Tagen in Berlin aufhalten und sich dort bemühen, „einen Wechsel des Tons in der deutschen Presse zu erreichen, im Gegenzug zu einer entsprechenden Haltung der italienischen Presse.“ [9] Von Hassell bemerkt in seinem Telegramm an das Auswärtige Amt: „Mussolini enthielt sich zum ersten Mal seit langer Zeit der Vorwürfe gegen die deutsche Presse, meinte, wir müssten doch bald zu einem gegenseitigen Pressewaffenstillstand kommen, und betonte dann, dass für Italien empfindlicher Punkt augenblicklich Abessinien sei.“ [10] Mit diesem Gespräch zwischen Mussolini und von Hassell war der deutsch-italienische Pressewaffenstillstand geschlossen worden. Laut den Herausgebern der ‚Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik‘ konnten „Unterlagen über eine derartige Vereinbarung nicht ermittelt werden.“ [11] Aus den italienischen Unterlagen geht jedoch klar hervor, dass Mussolini dieses Gespräch bereits als Abschluss eines Pressewaffenstillstands ansah. Am 21. 5. 1935 telegraphierte er Cerruti: „In meinem letzten Gespräch mit von Hassell hatte man sich auf die Zweckmäßigkeit einer Einstellung der italienisch-deutschen Pressepolemiken geeinigt.“ [12] Dass dies auch von deutscher Seite als wirksamer, wenn auch formlos abgeschlossener Pressewaffenstillstand angesehen wurde, zeigt die Tatsache, dass schon am 15. Mai 1935 die erste eindeutig proitalienische Anweisung an die Presse erging. Sie bezog sich auf eine Rede Mussolinis vom Vortag, die besonders in Frankreich und Großbritannien Besorgnis ausgelöst hatte. Die Rede war indirekt an diese beiden Länder, die Führungsmächte des Völkerbundes gerichtet. In seiner Rede stellte Mussolini unmissverständlich klar, dass für ihn der italienisch-abessinische Konflikt eine rein italienische Angelegenheit war und dass er keine Einmischung dritter dulden würde. Die Presseanweisung ordnete an, diese Rede nicht zu kritisieren. Man wolle wegen ihr „keinerlei Auseinandersetzung mit Italien oder Mussolini.“ [13]
Auch in den nächsten Tagen hielt sich die deutsche Presse stark zurück. Dies war nicht nur auf den neu geschlossenen Pressewaffenstillstand zurückzuführen, sondern auch auf die für den 21. Mai angekündigte Rede Hitlers im Reichstag, der für diesen Termin einberufen worden war. Am 16. Mai 1935 meldete Cerruti nach Rom: „Ich erinnere mich, seit ich in Berlin bin, nicht an eine Zeit größerer Ruhe als jene der letzten Tage. Wahrscheinlich sind der Presse Anweisungen gegeben worden, die Ereignisse in Erwartung der politischen Rede, die der Kanzler am 21. des Monats halten wird, nicht zu kommentieren.“ [14] Damit hatte Cerruti recht. Am 15. Mai war die Presse angewiesen worden, keine Mutmaßungen über die Reichstagssitzung, deren einziger Tagesordnungspunkt Hitlers Rede war, anzustellen [15] .
Die deutsche Presse hielt sich jedoch nicht in der von Mussolini gewünschten Form an den Pressewaffenstillstand. Cerruti wurde daraufhin am 23. 5. beim Auswärtigen Amt vorstellig und erinnerte von Neurath an die Zusage, die ihm Hitler persönlich am 16. März bezüglich der Presse gegeben habe. Von Neurath versicherte ihm, Hitler habe in seiner Gegenwart dem Propagandaminister „kategorische Instruktionen erteilt. […] Er versprach mir (Cerruti) in aller Form, noch einmal mit dem Reichskanzler und anderen zuständigen Stellen zu sprechen …“ [16] Noch am selben Tag unterhielt sich Cerruti auch mit dem Botschafter von Hassell, der sich in Berlin aufhielt und in der italienischen Botschaft zu Mittag aß. Von Hassell sagte Cerruti, er habe seinerseits mit von Neurath gesprochen und sicherte Cerruti zu, „sich morgen mit Minister Goebbels über die Angelegenheit zu unterhalten.“ [17] Cerrutis neuem Drängen hätte es vermutlich gar nicht bedurft. Am selben Tag, an dem er im Auswärtigen Amt vorstellig wurde, dem 23. Mai 1935, erging eine weitere Anweisung an die Presse. In ihr wurde „noch einmal gesagt, dass Deutschland keinerlei Anlass zu einseitiger Parteinahme für Abessinien habe. Deutschland habe dort keinerlei Interessen und infolgedessen bestehe kein Grund, Italien oder Mussolini wegen irgendwelcher Dinge, die mit Abessinien zusammenhängen, zu verärgern oder zu beleidigen.“ [18]
Am 24. 5. 1935 traf sich von Hassell mit Goebbels und sprach mit ihm, wie er es Cerruti zugesagt hatte, noch einmal über den Pressewaffenstillstand. Am folgenden Tag gab Goebbels auf der Pressekonferenz in von Hassells Gegenwart der Presse „strengste Anweisung, jede Kampagne gegen Italien und insbesondere gegen die Aktion in Ostafrika einzustellen.“ [19] Die überlieferte Presseanweisung ist mit „Besonders wichtig!“ gekennzeichnet:
„Es wird noch einmal mit Nachdruck darauf verwiesen, dass mit sofortiger Wirkung alle Angriffe auf Italien ohne Ausnahme einzustellen sind. Das bezieht sich nicht nur auf die abessinische Frage, sondern auf die gesamte italienische Politik überhaupt. Dieses Verbot ist auch in Anwendung zu bringen soweit durch österreichische Fragen die italienische Politik berührt wird.“ [20]
Diese Presseanweisung verleitete Petersen zu dem Fehlschluss, der deutsch-italienische Pressewaffenstillstand sei erst am 24. 5. von italienischer Seite angeregt und am 25. 5. abgeschlossen worden [21] . Die Presse wurde über die Existenz eines deutsch-italienischen Pressewaffenstillstands nicht informiert, sondern nur durch gezielte Anweisungen dementsprechend gelenkt [22] .
Deutsche und italienische Propagandamaschinerie begannen nun damit, einander gegenüber strikte Neutralität an den Tag zu legen. Für die Westmächte England und Frankreich zeichnete sich nun bereits ein Alptraum ab, der 1936 als „Achse Rom-Berlin“ Wirklichkeit werden sollte: ein Bündnis zwischen den bisher verfeindeten Diktaturen Italien und Deutschland. Um ein solches Bündnis zu verhindern, bestanden England und Frankreich aus prinzipiellen Gründen auf Völkerbundssanktionen gegen Italien, verzichteten aber aus realpolitischen Gründen auf ein Ölembargo gegen Italien, das zwar einen Krieg Italiens in Abessinien unmöglich gemacht hätte, andererseits aber – so die damalige Einschätzung – Italien zu einem Bündnis mit Deutschland getrieben hätte. Die Taktik der Westmächte schlug doppelt fehl. Die Sanktionen hinderten Italien nicht daran, im Mai 1935 die abessinische Hauptstadt zu erobern und Abessinien seinem Kolonialreich einzuverleiben. Auf der anderen Seite hatten die halbherzigen Sanktionen Deutschland und Italien zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit förmlich genötigt. Im März 1936 konnte Hitler Truppen in das entmilitarisierte Rheinland einmarschieren lassen – die Weltöffentlichkeit nahm dies wegen des Abessinienkrieges kaum zur Kenntnis. Gemeinsam hatten Hitler und Mussolini ihnen wichtige Ziele verwirklichen können.
Im Gegensatz zu anderen Staaten fiel es Deutschland auch leicht, die Annexion Abessiniens durch Italien anzuerkennen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang ein Gespräch von Bülows mit Attolico vom 28. 5. 1936. Von Bülow „bedauerte sogar, dass Deutschland (lies Führer) vielleicht das eigene Spiel in der Sache aufgedeckt habe durch die viel zu klar für Italien günstige Haltung in Bezug auf die Sanktionen.“ [23] Dies hieß nichts anderes, als das Deutschland Italien unterstützt hatte, um bei einer zukünftigen ähnlichen Aktion – die Eroberung von „Lebensraum“ war schließlich ein Grundelement der langfristigen NS-Außenpolitik – nicht mit Völkerbundssanktionen rechnen zu müssen.
Autor: Michael Rademacher
Literatur
Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945. Serie C: das Dritte Reich: Die ersten Jahre.
– Band II, Teil 2. Hrsg. von Hans Rothfels (Hauptherausgeber) u. a. Göttingen, 1973.
– Band III, Teil 1 und 2. Hrsg. von Hans Rothfels (Hauptherausgeber) u. a. Götti gen, 1973.
– Band IV, Teil 1 und 2. Hrsg. von Hans Rothfels (Hauptherausgeber) u. a. Göttingen, 1975.
– Band V, Teil 1 und 2. Hrsg. von Walter Bußmann (Hauptherausgeber) u. a. Göttingen, 1977.
I Documenti Diplomatici Italiani. Hrsg. vom Ministero degli affari esteri. Bearbeitet von der ‚Commissione per la pubblicazione dei documenti diplomatici‘ unter Leitung von Pietro Pastorelli.
Settima Serie: 1922 – 1935.
– Volume XVI. Roma, 1990.
Ottava Serie: 1935 – 1939.
– Volume I. Roma, 1990.
– Volume IV. Roma, 1993.
NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit. Edition und Dokumentation. Hrsg. von Hans Bohrmann, Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund. Bearbeitet von Gabriele Töpser-Ziegert.
Band 3, Teil I und II: 1935. München, 1987.
Band 4, Teil I bis IV: 1935. München, 1993.
Petersen, Jens: Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933 – 1936. Tübingen, 1973.
Sänger, Fritz: Politik der Täuschungen. Mißbrauch der Presse im Dritten Reich. Weisungen, Informationen, Notizen 1933 – 1939. Wien, 1975.
Anmerkungen
[1] Zitiert nach Petersen, S. 113. ‚Weltanschauung‘ im italienischen Original deutsch.
[2] Petersen, S. 364.
[3] Zitiert nach Petersen, S. 364.
[4] Aufzeichnung von Neuraths vom 2. Mai 1935. Akten zur deutschen auswärtigen Politik (im Folgenden ADAP), Reihe C, Band IV,2. Dokument 63. S. 113.
[5] Ebda., S. 113.
[6] Ebda.
[7] Politischer Bericht von Hassells an das Auswärtige Amt vom 6. 12. 1934. ADAP C III,2. Dok. 381. S. 704.
[8] Protokoll über das Gespräch zwischen Mussolini und von Hassell vom 13. 5. 1935. Documenti Diplomatici Italiani (Im Folgenden DDI), Serie 8, Volume 1. Dok. 190. S. 209.
[9] Ebda.
[10] ADAP C IV,1, Dok. 87, S. 151.
[11] ADAP C IV,1. Anm. 3 zu Dok. 124, S. 235.
[12] Telegramm Mussolinis an Cerruti vom 21. Mai 1935. DDI 8,1. Dok. 259. S. 279.
[13] NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit (im Folgenden NSP) Band 3, Teil 1. S. 292.
[14] DDI 8, 1. Dok. 232. S. 246.
[15] NSP 3,1, S. 292.
[16] Telegramm Cerrutis an Mussolini vom 23. Mai 1935. DDI 8,1. Dok. 270. S. 291.
[17] Ebda. S. 292.
[18] NSP 3,1, S. 310f.
[19] Protokoll über das Gespräch zwischen von Hassell und Suvich vom 29. 5. 1935. DDI 8,1. Dok. 306. S. 318.
[20] Ebda.
[21] Vgl. Petersen, S. 413.
[22] So findet sich bei Sänger, der zu dieser Zeit für die „Frankfurter Zeitung“ tätig war, zwar ein ganzes Kapitel über den Abessinienkrieg, aber kein einziger Hinweis auf einen deutsch- italienischen Pressewaffenstillstand. Vgl. Sänger, das Kapitel „Mussolini greift nach Abessinien, S. 72-76.
[23] Telegramm Attolicos an Mussolini vom 28. 5. 1936. DDI 8,4. Dok. 125. S. 160.