Der Weg in den Nationalsozialismus 1933/34. Neue Wege der Forschung. Hrsg. v. Michael Kißener. Wissenschaftliche Buchgesellschaft WBG, Darmstadt 2009.
Der Sammelband verspricht laut Untertitel „Neue Wege der Forschung“ zum Nationalsozialismus vorzustellen. Und in der Tat lassen die Namen bekannter und ausgewiesener Fachleute auf dem Klappentext, die als Autoren genannt werden, dem Leser ein Einlösen dieses Versprechens wahrscheinlich erscheinen.
Die Ernüchterung erfolgt jedoch umgehend beim Aufschlagen der einzelnen Beiträge. Unter ihnen ist kein einziger originärer Aufsatz. Es handelt sich ausschließlich um Zweitabdrucke aus früheren Sammelbänden und Fachzeitschriften. Dabei sind nur die Artikel von Peter Longerich (2003) zu Vorgeschichte und Verlauf des 30. Juni 1934, Peter Steinbach (2002) zur Zerstörung der Weimarer Republik, Irene Strenge (2002) zur „Reichstagsbrandverordnung“ und Andreas Wirsching (2001), der Hitlers Rede vor den Spitzen der Reichswehr am 3. Februar 1933 thematisiert, jüngeren Datums. Sie entsprechen dem gegenwärtigen Forschungsstand.
Die anderen sieben Beiträge liegen alle zwei Jahrzehnte oder noch länger zurück. Horst Möllers und Norbert Freis jeweilige Perspektiven zur „Machtergreifung“ stammen aus dem Jahr 1983, Karl-Dietrich Brachers Schilderung der „Stufen totalitärer Gleichschaltung“ (1956) sind gar 53 Jahre alt. Ein kleiner Klassiker der Geschichtsschreibung und als solcher nicht ohne Wert, aber mitnichten ein Beispiel, das „neue Wege der Forschung“ beschreiben würde. Ulrich von Hehl beleuchtet die Kontroverse um den Reichstagsbrand vom Jahr 1988 aus – wichtige Untersuchungsakten der Ermittlungsbehörden wurden erst danach zugänglich. Hans Adolphs Aufsatz zur Reichstagswahl vom 5. März 1933 wurde schon 1971 publiziert, Rolf Morseys Einlassungen zum Ermächtigungsgesetz 1977. Konrad Repgens Sicht zur Frage eines KPD-Verbotes 1933 aus dem Jahre 1988 bildet somit den „fünftjüngsten“ der insgesamt elf Einzelbeiträge. Aus der Sicht des Rezensenten eher eine Sammlung von Oldtimern der Forschung statt Vorstellung neuer innovativer „Wege der Forschung“, wie der Untertitel fälschlich verspricht.
Leider bietet auch die äußerst knappe, gerade siebenseitige Einführung des Herausgebers kaum Informationen zum Forschungsstand. Einlassungen zur angeblich „totalitären Revolution“ erscheinen wenig zielführend. Und ob der zwei Jahrzehnte alte Beitrag Ulrich von Hehls zum Reichstagsbrand als „ in seltener Sachlichkeit analysierender Aufsatz“ (S. 10) zu rühmen ist, wie der Herausgeber dies tut, wagt der Rezensent zu bezweifeln. Diese Sachlichkeit betrifft bestenfalls die Diktion Ulrich von Hehls, sicher nicht den Inhalt. Denn wenn von Hehl zur Täterfrage beim Reichstagsbrand schreibt, „eine Tatbeteiligung oder –ausführung durch ein NS-Brandstiftungskommando“ sei „lediglich als vage (Denk-)Möglichkeit“ (S. 105) zu akzeptieren, missachtet er die schon vor 1988 vorliegenden Indizien, die für diese These und gegen die Behauptung vom Alleintäter van der Lubbe sprechen.
Autor: Wigbert Benz
Der Weg in den Nationalsozialismus 1933/34. Neue Wege der Forschung. Hrsg. v. Michael Kißener. Wissenschaftliche Buchgesellschaft WBG, Darmstadt 2009, 246 Seiten, 39.90 Euro