Robert Schwentkes Historienfilm „Der Hauptmann“ handelt von den Verbrechen des Willi Herold, auch bekannt als „der Henker vom Emsland“, in der Zeit, als sich der Zweite Weltkrieg bereits seinem Ende entgegen neigte. Die deutsch-polnisch-französische Filmbiografie, ganz in schwarz-weiß gedreht, feierte am 7. September 2017 im Rahmen des Toronto International Film Festival ihre Weltpremiere.
Im Fokus der fiktiven Erzählung steht der deutsche Gefreite Willi Herold, gespielt von Max Hubacher, der zu Beginn des Films als Deserteur von Feldjägern gejagt wird. Zwei Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, in ständiger Angst und Verzweiflung entdeckt zu werden, stößt er während seiner Flucht auf einen Wehrmachts-Geländewagen, in dem sich die Uniform eines Hauptmanns der Luftwaffe befindet. Aus Spaß streift er sich diese über und stellt sich vor, er selbst wäre Offizier. Dabei wird er von dem versprengten Soldaten Freytag entdeckt, der ihn allerdings für einen richtigen Hauptmann hält. Freytag, verkörpert durch Milan Peschel, bietet so gleich seine Hilfe an, da er glaubt, der vermeintliche Offizier hätte eine Panne gehabt und bittet diesen darum, sich ihm anschließen zu dürfen. Ab diesem Zeitpunkt wird Herold bewusst, welche enorme Macht ihm die Uniform verleiht und beschließt die „Kampfgruppe Herold“ zu gründen, versprengte deutsche Soldaten einzusammeln und sich als Berichterstatter Adolf Hitlers auszugeben. Schwer bewaffnet und unter dem Vorwand agierend, auf Befehl des Führers Adolf Hitler zu handeln, begehen sie gemeinsam Verbrechen an unzähligen Menschen. Sogar die Leitung des Emslandlagers Aschendorfermoor gelingt es dem falschen Hauptmann zu übernehmen, wo er sogar Massenerschießungen anordnet und auch selbst durchführt. Als Freytag erkennt, dass Herold nicht der ist, der er vorgibt zu sein, spielt er das falsche Spiel dennoch bewusst mit. Nachdem das Lager durch feindliche Flugzeuge zerstört wird, tötet die Gruppe wahllos Personen in den umliegenden Ortschaften, schlicht unter dem Vorwand, die Wehrkraft aufgelöst zu haben. Mit voranschreitendem Größenwahn lässt Herold sogar einen seiner eigenen Männer erschießen. Als der Hochstapler Herold schlussendlich gefasst und vor ein deutsches Militärgericht gestellt wird, rechtfertigt er seine Gräueltaten damit, Verräter bekämpft zu haben, woraufhin er freigesprochen wird. Der Zuschauer erfährt erst im Abspann, dass Willi Herold und einige Mitglieder seiner Gruppe später von alliierten Einheiten gefangen und zum Tode verurteilt wurden.
Moral und Verantwortung sind zentrale Themen in Robert Schwentkes Historiendrama, das auf wahren Begebenheiten beruht und von einem selbstgemachten Henker handelt, der dem Blutrausch verfallen ist. Der Fokus liegt dabei voll und ganz darauf, die Ereignisse aus der Sicht des 19-jährigen Täters zu schildern. Dabei schafft es Schwentke durch die Eröffnungsszene, in der Herold von Feldjägern verfolgt und gejagt wird, diesen als Opfer darzustellen, dem gegenüber der Zuschauer unwillkürlich Mitleid und Verbundenheit empfindet. Dabei gelingt dem Hauptdarsteller Max Hubacher scheinbar mühelos der Balanceakt zwischen der jugendlichen Unschuld des vermeintlichen Hauptmanns und der grausamen Härte eines Menschen, der zum Massenmörder wird. Doch auch alle anderen Beteiligten lassen in Sachen Spiel und Ausdruck keine Wünsche offen. Frederick Lau als grausamer Soldat im Blutrausch etwa, der nur darauf wartet, alle, die sich ihm in den Weg stellen, zu bestrafen und gar zu töten. Ebenso beeindrucken Wolfram Koch und Samuel Finzi als Häftlinge, die unter anderem abends eine Vorführung absolvieren müssen und sprichwörtlich um ihr Leben spielen. Dabei steht ihnen Milan Peschel in seiner Darbietung als Freytag in nichts nach. Blind vor Treue schließt sich dieser Herold an und weicht ihm keinen Schritt von der Seite, obwohl er nach einiger Zeit ganz genau weiß, welches perfide Spiel der falsche Hauptmann spielt. Beeindruckende Schwarz-Weiß-Bilder von Florian Ballhaus unterstreichen die unfassbaren Gräueltaten und Grausamkeiten der „Kampfgruppe Herold“ in perfekter Kombination mit dem Soundkonzept von Martin Todsharow. Zum Schluss gelingt Schwentke ein erfolgreicher Brückenschlag in die Gegenwart, der den Zuschauer zum Nachdenken und Hinterfragen der eigenen Werte bringt. „Der Hauptmann“ durchleuchtet die dynamische Struktur des Nationalsozialismus und zeigt eindrucksvoll und herausragend gespielt, dass es viele Menschen braucht, um eine solche im Grunde vermeidbare Tragödie erst geschehen lassen zu können. Ganz bewusst abstrakt gedreht, schafft es der Regisseur durch dieses spezielle visuelle Konzept einerseits in die Vergangenheit zu blicken und andererseits gleichzeitig deutlich zu machen, dass der Film klar im Heute gedreht wurde. Zwar spielt dieser im Zweiten Weltkrieg oder dem Jahr 1945, dennoch beschäftigt er sich auch mit dem allgemeinen Zustand der Gesellschaft in der heutigen Zeit.