Eine besondere Rolle in der Verfolgungspolitik des NS-Regimes gegenüber den Juden spielte die Zionistische Vereinigung für Deutschland (ZVfD). Jene versuchten die Nazis für ihre Absicht, Deutschland „judenrein“ zu machen, zu instrumentalisieren. Grundlage dafür war das zionistische Konzept von Dissimilation und Emigration als „Lösung der Judenfrage“. Der Zionismus betrachtete die Emanzipation und Assimilation der Juden als Ursache des Antisemitismus. Im Gegensatz zur großen Mehrheit der Juden lehnte er deren Bekenntnis zu ihrem jeweiligen Heimatland ab und forderte stattdessen die Anerkennung der Existenz einer jüdischen Nation. Er rief die Juden dazu auf, sich ihrer eigenen Wurzeln bewußt zu werden: jüdische Tradition, Geschichte, Kultur und die jüdische Heimat in Palästina. Im Gegensatz zu den Organisationen der assimilierten Juden hatten die Zionisten während der Jahre der Weimarer Republik nur wenig Interesse an einem Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus gezeigt. Sie betrachteten den Kampf gegen den Antisemitismus als sinnlos und richteten ihre Arbeit fast vollständig auf den Aufbau einer jüdischen Heimstätte in Palästina aus. Für die ZVfD lag die „Lösung der Judenfrage“ in der „Entwurzelung“ der Juden aus der deutschen Gesellschaft. Deshalb propagierte sie die Dissimilation der Juden in Form einer Anerkennung als nationale Minderheit bzw. einer kulturellen Autonomie. Dieser Status sollte dazu genutzt werden, auswanderungswillige Juden auf die Emigration nach Palästina vorzubereiten.
Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erwies sich diese Strategie der Situation angemessener als das Festhalten an der Assimilation. Dies zeigte sich u.a. daran, daß die ZVfD unter den deutschen Juden auf größere Resonanz stieß und von einer Minderheitenströmung zu einer der größten und einflussreichsten Organisationen des deutschen Judentums aufstieg. Zusammen mit dem „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ und anderen jüdischen Organisationen engagierte sich die ZVfD im Aufbau der Selbstorganisation des jüdischen Lebens in NS-Deutschland. In der Reichsvertretung der deutschen Juden arbeiteten diese Gruppen gemeinsam für einen autonomen jüdischen Bereich, in welchem ein eigenes Bildungswesen, eigene Wohlfahrtsinstitutionen und ein eigenständiges kulturelles Leben organisiert wurden. Die Zionisten betonten in dieser Arbeit besonders die Herausbildung eines jüdischen Nationalbewußtseins in der Absicht, die Juden auf ein Leben in Palästina vorzubereiten. Sie schlossen mit dem NS-Regime das Haavara-Transfer-Abkommen, das auswanderungswilligen Juden die Emigration nach Palästina erleichtern sollte und unterhielten Hachscharah-Zentren, in denen vor allem Jugendliche auf das Leben in palästinensischen Kibbuzim vorbereitet wurden. Während die ZVfD nach anfänglichen ideologischen Auseinandersetzungen mit den Organisationen der assimilierten Juden zusammenarbeitete, mußte sie sich in den Jahren zwischen 1934 und 1937 eines gefährlichen innerzionistischen Gegners erwehren. Die revisionistische Staatszionistische Organisation mit ihrem Vorsitzenden Georg Kareski führte einen Kampf gegen die ZVfD, die Assimilierten und die Reichsvertretung. Sie lehnte das pluralistische System der jüdischen Selbstorganisation ab, propagierte das „Führerprinzip“ und bot sich dem Regime zur Zwangsverwaltung des deutschen Judentums an. Die Gestapo versuchte tatsächlich Kareski in eine zentrale Führungsposition zu hieven, scheiterte aber am Widerstand der jüdischen Gemeinschaft.
Die nationalsozialistische Behörde, die sich intensiv mit der zionistischen Arbeit in Deutschland befasste, war der Sicherheitsdienst (SD) der SS. Bis 1937 unterstützte er die Tätigkeit der ZVfD hinsichtlich der Hachscharah und der Emigration, während er gleichzeitig die assimilierten Organisationen behinderte. Vor allem der erste Leiter des SD-„Judenreferates“ (Abteilung II/112), Leopold von Mildenstein, betrachtete die Förderung der Zionisten als probates Mittel zur „Lösung der Judenfrage“ in Deutschland. Nach seinem Rückzug aus dem SD im Jahr 1936 wandte sich der Sicherheitsdienst schrittweise von der „zionistischen Option“ ab. Es setzte sich die Haltung durch, daß die Unterstützung der Emigration nach Palästina den Aufbau eines mächtigen jüdischen Staates dort förderte, welcher zu einem gefährlichen Gegner NS-Deutschlands heranwachsen könnte. Auch an einer Fortführung des Haavara-Abkommens verlor man das Interesse. Als dem SD bewußt wurde, daß die Palästinawanderung nicht in dem erhofften Ausmaß stattfand und zudem nicht die erwarteten wirtschaftlichen Vorteile erbrachte, ging er dazu über, die geordnete jüdische Auswanderung durch eine Politik der Vertreibung zu ersetzen.
Auch wenn die ZVfD in den Jahren bis 1937 von den Nazis gegenüber anderen jüdischen Gruppierungen bevorzugt behandelt wurde, litt ihre Arbeit unter der antijüdischen Politik. Je mehr sich assimilierte Juden für den Verbleib in Deutschland aussprachen, desto mehr Druck übte das Regime auf die zionistischen Organisationen aus, um die Auswanderung zu beschleunigen. Immer wieder wurden zionistische Funktionäre verhaftet und das Erscheinen der zionistischen „Jüdischen Rundschau“ untersagt. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde die ZVfD schließlich verboten und ihr Auswanderungsbüro, das „Palästinaamt“, in die Zwangsorganisation der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert.
Autor: Axel Meier
Literatur
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Robert Weltsch, Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck. Eine Aufsatzreihe der „Jüdischen Rundschau“ zur Lage der deutschen Juden, Nördlingen 1988