Reiner Engelmann: Der Buchhalter von Auschwitz. Die Schuld des Oskar Gröning, München 2018
Die Zahl der Neuerscheinungen, die sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und hier insbesondere mit dem Holocaust befassen, nimmt auch im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur nicht ab. Allerdings ist ein wichtiger Perspektivwechsel zu konstatieren: Standen früher vor allem die Opfer im Mittelpunkt, widmen sich in jüngster Zeit immer mehr Bücher den Tätern. Dies gilt auch für Reiner Engelmanns neues Jugendsachbuch „Der Buchhalter von Auschwitz. Die Schuld des Oskar Gröning“, Engelmanns drittes Jugendbuch zum Thema Auschwitz.
Im Mittelpunkt von Engelmanns Buch steht der ehemalige SS-Mann Oskar Gröning, der von 1942 bis 1944 im Vernichtungslager Auschwitz arbeitete und erst 2015 im Alter von mehr als 90 Jahren nach einem in den Medien aufmerksam verfolgten Prozess wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 300.000 Fällen zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Der Autor gliedert sein Werk in drei Abschnitte: Zunächst berichtet er über Grönings Herkunft und seine Tätigkeit in Auschwitz. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn Engelmann die Selbstaussagen Grönings kritischer analysiert hätte, statt sie vor allem moralisch zu bewerten. Im zweiten Teil werden am Beispiel des Schicksals der ungarischen Jüdin Éva Fahidi auf knapp 50 Seiten in Form eines Exkurses die Verfolgung und Vernichtung der Juden in Auschwitz eindrucksvoll beleuchtet. Abschließend werden Prozess und Urteil gegen Gröning dargestellt. Ausführlich, jedoch ohne dies präziser zu analysieren beschreibt Engelmann, dass Gröning bis zu seinem Tode der Überzeugung war, im strafrechtlichen Sinne unschuldig zu sein, da er in Auschwitz doch nicht direkt an Mordaktionen beteiligt gewesen sei. Der Autor verbindet diese Schilderungen wiederholt mit deutlichen moralischen Wertungen. Ebenso kommentiert er kritisch die Tatsache, dass Gröning sich erst 70 Jahre nach Kriegsende in einem Strafprozess verantworten musste und schließlich verurteilt wurde.
Auch wenn man wie der Rezensent diese Bewertungen teilt, sind sie in dieser Form nicht sinnvoll: Statt die jugendlichen Leserinnen und Leser durch explizite Wertungen zu lenken und zur Übernahme der eigenen moralischen Empörung zu drängen, hätte der Autor die historischen, politischen und juristischen Hintergründe dieses Prozesses wie der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen insgesamt darstellen sollen. Anstelle der moralischen Überwältigung hätte Engelmanns Buch – auch durch die Darstellung kontroverser Positionen – dann die jugendlichen Leserinnen und Leser befähigen können, sich ein fundiertes eigenes Urteil zu bilden.
Autor: Tomas Unglaube