Die Kraft der Wahrheit
Wie beweist man, dass es den Holocaust wirklich gegeben hat? Eine im ersten Moment absurd erscheinende Frage – angesichts der vielfältigen und erdrückenden Belege für den von Deutschen im Zweiten Weltkrieg verübten Massenmord. Und doch musste sich im Jahr 2000 die US-Historikerin Deborah E. Lipstadt in einem Gerichtsverfahren dieser Frage stellen.
Die renommierte Professorin für Holocaust-Studien war von dem britischen Geschichtsautor und Holocaust-Leugner David Irving wegen Aussagen in ihrem 1993 erschienenen Buch „Denying the Holocaust“ (unter dem Titel „Betrifft: Leugnen des Holocaust“ 1994 auf Deutsch erschienen) verklagt worden. Irving fühlte sich diffamiert, weil Lipstadt seine kruden Argumente auseinander genommen und widerlegt hatte. Das Verfahren zog sich vier Jahre hin, bis der Verleumdungs-Prozess letztlich in London vor dem High Court landete. Dort sah sich die US-Amerikanerin wegen der Besonderheiten der britischen Rechtsprechung plötzlich in der unangenehmen Situation, die Korrektheit ihrer Behauptungen beweisen zu müssen. Doch in der Verhandlung entwickelte sich daraus eine fundamentale Auseinandersetzung um Geschichte, die Rolle von Justiz und Moral, um die Kraft der Wahrheit.
Der britische Regisseur Mick Jackson („Bodyguard“) hat dieses eindrucksvolle Ringen im Jahr 2016 unter dem Titel „Denial“ verfilmt. In Deutschland kam die britisch-amerikanische Produktion 2017 als „Verleugnung“ in die Kinos (112 Minuten, freigegeben ab zwölf Jahren). Oscar-Preisträgerin Rachel Weisz ist in der Rolle von Professorin Lipstadt zu sehen. Ihr zur Seite steht Tom Wilkinson, der die Rolle des brillanten Anwalts Richard Rampton verkörpert. Timothy Spall spielt den arroganten und siegesgewissen Irving, der sich vor Gericht selbst vertritt.
Der Brite ist sich seiner Sache sehr sicher und sonnt sich in der großen medialen Aufmerksamkeit. So behauptet er an einem Prozesstag: Es könne keine Massentötungen in Auschwitz gegeben haben, weil man im Krematorium 2 keine Löcher auf dem Dach gefunden habe. Somit sei ausgeschlossen, dass dort Zyklon-B-Kristalle eingeleitet wurden. Irvings Schlussfolgerung: Es gab keine Gaskammern. Eine Schlagzeile in einer Zeitung am nächsten Tag lautete: „No Holes, No Holocaust“.
Im Film besuchen Lipstadt und ihr Anwaltsteam zur Prozess-Vorbereitung die Gedenkstätte in Auschwitz. Fahle Winterbilder stehen für das unsagbare Grauen, das sich zwischen den Mauern des ehemaligen Konzentrationslagers abspielte. Doch was würde geschehen, wenn Irving vor Gericht Recht bekommt? Welche Folgen hätte ein solches Urteil? Die Last ist gewaltig, die auf Lipstadts Schultern ruht.
Auf eindrucksvolle Weise ist dann inszeniert, wie der Geschichtsverdreher Irving seinen Meister findet. Das ist keineswegs die Jüdin Lipstadt, die darauf drängt, in einem flammenden Plädoyer Irvings Klage ad absurdum zu führen. Es ist vielmehr Anwalt Rampton, der nicht nur die sehr engagierte Professorin während der gesamten Verhandlung zum Schweigen verdammt. Er setzt auch durch, dass sich kein einziger Überlebender des Holocaust als Zeuge vor Gericht von Irving vorführen lassen muss. Rampton entwickelt stattdessen mit detektivischer Gründlichkeit eine Gegenstrategie. Ein Holocaust-Experte listet detailliert die vielen Lügen und Ungereimtheiten in den Aussagen Irvings auf. Dann lässt Rampton das völlig wirre Gedankengebäude des Klägers im knallharten Kreuzverhör krachend einstürzen. Logik statt Moral: Diese Strategie geht auf.
Es ist für die Zuschauer ein Genuss, dem Mienenspiel Spalls zu folgen, dessen Selbstgefälligkeit nach und nach verloren geht. Am Ende weicht die Körperspannung aus ihm und er fällt in sich zusammen wie ein nasser Sack. Richter Charles Gray attestiert Irving, ein betrügerischer Leugner des Holocaust zu sein – und weist die Klage ab. Man dürfe ihn öffentlich als Antisemiten, Geschichtsfälscher, Lügner, Rassisten und Scharlatan titulieren. In diesem Moment entfaltet „Verleugnung“ seine größte emotionale Wucht. Lipstadt ist die große Siegerin, obwohl es doch nur ihre schriftlichen Studien waren, die Zeugnis ablegten, sie selbst vor Gericht aber schwieg. Jacksons Werk wurde 2017 als bester britischer Film für den „British Academy Film Award“ nominiert.
Die Kosten des Prozesses in Höhe von rund 2,5 Millionen Pfund (heute wären das mehr als vier Millionen Euro) musste Irving übernehmen. Als auch das Berufungsverfahren ein Jahr später scheiterte, war er ruiniert. Das hielt und hält den heute 81-Jährigen nicht davon ab, weiterhin den Holocaust zu leugnen. Er wurde dafür in mehreren Ländern strafrechtlich verurteilt und mit Einreiseverboten belegt. Zudem saß er einige Monate im Gefängnis.
Dass es Irving mit der Wahrheit offenbar nicht so genau nahm, wurde schon 1963 deutlich, als er ein Buch über den Luftangriff auf Dresden im Februar 1945 schrieb. Er verwendete damals ein Dokument, wonach die Zahl der getöteten Zivilisten viel höher gewesen sei als bekannt. Das Schriftstück erwies sich als Fälschung, was Irving nicht davon abhielt, in Nachauflagen die falsche Zahl weiter zu verbreiten. Selbst im Jahr 2020, 75 Jahre nach dem Luftangriff, gehen „Zweifler“ immer noch von einer zehnmal höheren Zahl an Todesopfern aus, als von Historikern dokumentiert, und sie berufen sich dabei unter anderem auf Irving.
1978 reüssierte der Brite mit einer Biografie über Erwin Rommel, die ihm in Fachkreisen Anerkennung einbrachte. Bis 1988 galt Irving zwar als provokativ und unkonventionell in seinen Aussagen, gleichwohl aber als ernsthafter Forscher und diskussionswürdig. Erst seit 1988 bestreitet Irving öffentlich den Holocaust, was ihn sein Ansehen als seriöser Sachbuchautor kostete.
Auch wenn das Leugnen des deutschen Massenmords in den meisten Ländern unter Strafe steht, gibt es auch heute noch Unbelehrbare, die die Wahrheit anzweifeln und mit pseudowissenschaftlichen Argumenten „untermauern“ wollen. Dazu gehören Teile der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“ (AfD), die Antisemiten und Holocaustleugner wie den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon in ihren Reihen duldet, um nur ein Beispiel zu nennen.
Dabei hat der Prozess Irving vs. Lipstadt klar gemacht, dass der millionenfache Mord eine historische Wahrheit ist, die nicht geleugnet werden kann. Der Holocaust ist keine Ansichtssache, die sich willkürlich zurechtbiegen lässt. Wer das nicht glaubt, sollte „Verleugnung“ anschauen.