Der Kurzfilm von Regisseur Jochen Alexander Freydank, der in diesem Jahr den Oscar für den besten Kurzfilm erhielt, besticht vor allem durch das Verschmelzen von aktueller und vergangener Handlung. Durch den raschen Wechsel von Rückblenden und aktuellen Handlungssträngen erhält der Zuschauer ein Gefühl von Dramatik und Gefahr, in dem die Akteure des Films schweben.
Der Film spielt in Berlin während des Zweiten Weltkrieges und vermittelt durch graue, beinahe düstere Bilder eine monotone und bedrückende Stimmung. Der deutsche Junge Heinrich und sein gleichaltriger Nachbar David sind Freunde und lernen von Davids Vater das Klavierspiel, welches sie zusammen üben. Die erste Szene des Films zeigt vier junge Hände, die zusammen ein Musikstück auf dem Klavier spielen. Dieses Motiv zieht sich durch den gesamten Film hindurch. Die jüdische Familie weiß, dass sie vermutlich in Kürze deportiert wird, und auch Heinrichs Mutter ahnt dies, jedoch versucht sie, die Wahrheit vor ihrem jungen Sohn zu verbergen, der von David erfahren hat, dass er mit seiner Familie bald wegziehen wird. Heinrich möchte seinen besten Freund nicht verlieren und fragt die Mutter, wohin David ziehen wird, die darauf antwortet, dass David ins Spielzeugland ziehen wird. Heimlich packt Heinrich seinen Koffer, um David zu begleiten.
Die nächsten Szenen sind voller Dramatik, da die jüdische Familie von der SS daheim abgeholt und zum Bahnhof gebracht wird, während Heinrich verschwunden ist und seine Mutter ihn sucht. Sie vermutet, dass er zusammen mit Davids Familie deportiert wurde, und ist außer sich vor Angst. Für den Zuschauer ist die gesamte Zeit über nicht klar, was nun wirklich passiert ist, und die Dramatik der Handlung wird durch schnelle Szenenwechsel und schnelle Klaviermusik im Hintergrund stets gesteigert. Erst als Heinrichs Mutter an dem Zug ankommt, in den Davids Familie getrieben wurde, endet das hektische Musikstück. Deportierte Juden stehen dicht gedrängt in dem Zugwaggon und Heinrichs Mutter ruft seinen Namen. Selbst ein SS-Mann, der zuvor brüllend und herzlos dargestellt wurde, lockt den vermeintlichen Heinrich mit sanften Liebkosungen.
Der Moment am Zug ist sehr bewegend, da Heinrichs Mutter vor einer folgenschweren Entscheidung steht. Nicht Heinrich, sondern David steht bei seinen Eltern und hält deren Hände. Die Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit der deportierten Menschen wird durch völlige Stille der Umstehenden vermittelt. Heinrichs Mutter entscheidet sich dafür, David als ihren Sohn Heinrich auszugeben und wenigstens den Jungen vor der Deportation zu retten, obgleich sie nicht wissen kann, ob sich nicht Heinrich in einem anderen Waggon befindet. Davids Eltern gehen anscheinend die gleichen Gedanken durch den Kopf, da sie ihren Sohn schweigend loslassen und ihm den Davidstern, der ihn verraten würde, unbemerkt von der Jacke abreißen. Heinrichs Mutter verlässt mit David den Bahnhof, während der Zuschauer nicht wirklich weiß, was nun mit dem echten Heinrich passiert ist.
In der letzten Szene befinden sich die Mutter, Heinrich, der unbeschadet zurückgekehrt ist, und David zusammen in einer Küche. Heinrichs Mutter stellt sich der neuen Situation und wirft den Kindern aufmunternde Blicke zu, während die beiden Jungen sich zusammen an den Küchentisch setzen und auf diesem „provisorischen“ Klavier zu spielen beginnen. Die Anfangsmelodie setzt wieder ein und die letzte Szene zeigt vier ältere Männerhände, die ein Musikstück auf einem Flügel spielen, bevor man mehrere alte Photographien in antiken Bilderrahmen sieht, die sowohl Heinrich als Kind mit seiner Mutter als auch David als Kind mit seinen Eltern zeigen.
Das Symbol der vier Hände, die zusammen Klavier spielen, umfasst den Anfang und das Ende des Films. Dieses friedliche Bild der jungen und später alten Hände, die ein ebenso friedliches Klavierstück spielen, steht im völligen Kontrast zu der gewaltsamen und erschreckenden Realität, in der sich die jüdische Familie befindet. Das Thema der Freundschaft zwischen den beiden Jungen steht dabei besonders im Vordergrund. Obgleich David ein jüdischer Junge ist, der ständig mit antisemitischen Ausschreitungen und Diskriminierungen konfrontiert wird, und Heinrich als deutscher Junge auf der „anderen Seite“ steht, sind beide die besten Freunde und verbringen ihre ganze Zeit miteinander. Die Aussicht auf das Spielzeugland und darauf, mit David weiterhin zusammen zu sein, veranlasst Heinrich, David zu folgen, als dieser mit seinen Eltern deportiert werden soll. Er rennt hinter David her und schert sich nicht einmal darum, dass er dabei seinen geliebten Teddybären verliert, sondern lässt diesen liegen. Diese Freundschaft überdauert den Krieg und das Erwachsenenaltern beider, da sie noch als alte Männer zusammen Klavier spielen.
Auch die Entscheidung der Mutter, den Nachbarsjungen David zu retten und damit die Gefahr einzugehen, den eigenen Sohn verlieren zu können, ist von besonderer Bedeutung. Sie zeigt die Zivilcourage einer einzelnen Person, die angesichts von Gefahr und der Möglichkeit des eigenem Verlusts moralisch richtig handelt.
Autorin: Carolin Bendel
Spielzeugland, 13:50 Minuten
Regie: Jochen Alexander Freydank
Mephistofilm GbR 2007