
Friedrich II., Gemälde von Anton Graff, 1781.
Menschen – die Spuren im Sand der Geschichte hinterlassen und die kräftig am Rad der Geschichte gedreht haben, müssen sich von der Nachwelt oft gefallen lassen, dass sie weiter Gegenstand von Debatten sind. Häufig bleiben sie als Streitobjekt unterschiedlicher, nicht immer redlicher Interessen erhalten. Wirklich problematisch dürften dabei Versuche der Instrumentalisierung und des Missbrauchs durch die jeweiligen „Sieger der Geschichte“ sein. Dieses Schicksal hat auch den berühmtesten Preußen-König Friedrich II. ereilt. Er – der sich stets als „erster Diener des Staates“ verstand, geriet somit auf Geheiß und Betreiben nachgeborener Majestäten, brauner Herrenmenschen, roter Parteibürokraten und konservativer Restauratoren zu ihrem Untertan.
Auch die kleine kurzlebige DDR beteiligte sich an diesem Spiel von Deutungen und Interpretationen. Was hat sie Friedrich II. und Preußen nicht alles vorgeworfen und später teils wieder zurückgenommen? Eingangs sei auf zwei exemplarische Wegmarken jenes wechselhaften Umgangs mit diesem Thema verwiesen. Diese Verweise gelten dem „Der Irrweg einer Nation“ (Aufbau-Verlag, 1946) aus der Feder des späteren DDR-Kulturministers Alexander Abusch und der von Ingrid Mittenzwei vorgelegten Biographie „Friedrich der II. von Preußen“ (Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1979). Dazwischen lag einiges. Vor allem waren dies Vereinfachungen, Stigmatisierungen und Pauschalurteile. Bei doktrinärer Raum-Gestaltung in parteihöriger Umgebung ist halt kein Platz für Differenzierungen und faktenorientierten Tiefgang.
Wohl zu einfach machte es sich Abusch mit seinem schon im mexikanischen Exil verfassten Buch „Der Irrweg einer Nation“. Darin fällte er ein vernichtendes Urteil über die preußisch-deutsche Geschichte. Dabei bewegte er sich auf der damals gängigen Linie von Luther über Friedrich II. und Bismarck zu Hitler. In dem Preußenkönig machte der Autor den Begründer der preußisch-deutschen Tradition der militärischen Aggression aus. Doch Preußen, speziell das von Friedrich den Großen, war doch mehr. Es war doch nicht alles schlecht! Da waren ja auch Kant, Hegel…Und wer hat denn da seinen Marx nicht gelesen? Es stimmt zwar, dass Marx viel Spott, Häme und beißende Kritik für die „Scheißfürsten und „Lauspreußen“ übrig hatte, aber in Friedrich II. sah er den „einzigen großen Mann, den die Hohenzollern seit ihrem Avancement zum Königsorden geliefert“ hätten. Immerhin!
Doch auch im Auflösungsbeschluss von Preußen, den der Alliierten Kontrollrat im Februar 1947 fasste, wurde dieser Staat nur als der „Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland“ charakterisiert. Unter dem Eindruck der damals jüngsten Vergangenheit und ihrer Folgen sicher noch verständlich. Ein knappes Jahr nach Gründung der DDR ging die antipreußische Bilderstürmerei so richtig los. Walter (der Baumeister) Ulbricht verkündete im Juli 1950 auf dem III. SED-Parteitag den Abriss des Berliner Stadtschlosses, das preußischen Königen und deutschen Kaisern als Residenz gedient hatte. Dreizehn Tonnen Dynamit vollendeten das Werk der Zerstörung, was der Krieg, sowie Sowjetsoldaten bei Dreharbeiten für den Film „Die Schlacht um Berlin“ (1949) begonnen hatten, wo mehrere Skulpturen und Hunderte Glasfenster ihr Opfer wurden. 1950 wurde auch das Unter den Linden stehende Reiterstandbild des Königs entfernt. Der Berliner SED-Fürst Paul Verner (1959-1971) wollte nachtretend Friedrichs Reiterstandbild ganz eingeschmolzen sehen. Aber daraus wurde nix: Denn der damals amtierende DDR-Kulturminister Hans Bentzien (1961-1966) schaffte es in einer Nacht-und Nebelaktion, das Denkmal mittels eines gefälschten Schrottscheines in ein anderes Versteck zu verfrachten. Dort harrte er dann aus der – Alte Fritz – bis sich bei anderen neuen Herren ein Sinneswandel einstellte. Dreißig Jahre später war es dann soweit: Ab 1980 durfte er wieder Unter den Linden ausreiten.
Auch in den Lehrplänen und Schulbüchern der DDR wurde sich mit Preußen und Friedrich II. auseinandergesetzt. Greifen wir uns doch mal ein paar Stilblüten heraus, die auch etwas über die Stilbrüche, die die DDR diesbezüglich mit machte, aussagen. Da hieß es in einem Geschichtsbuch der Klasse 6, 1952: „Friedrich II. setzte ohne Rücksicht auf die Not der Bevölkerung Geld, Material und Arbeitskräfte in Sanssouci ein. So entstand dort eine besonders schöne Anlage, die heute endlich dem Volk gehört“. Im Lehrbuch für Deutsche Geschichte von 1962 war zu lernen vorgegeben: „seine Regierungsweise sei Ausdruck des Strebens der niedergehenden Feudalklasse, ihre Macht mit den schärfsten Mitteln zu behaupten“. Mag sein – aber dass Friedrich II. auch für progressive Reformen steht und auch ein Förderer von Kunst und Wissenschaft war, hätte man ruhig als mildernde Umstände mit erwähnen können. Im Lehrplan Geschichte wurde 1975 Folgendes verlangt: „Ein Schwerpunkt der Erziehung ist darin zu sehen, dass die Schüler eine parteiliche Einstellung gegen den preußischen Militarismus gewinnen (…)“. Im Widerspruch dazu wollte die DDR gern lernen, was Preußen militärisch so erfolgreich machte. Antworten darauf erhoffte man sich u.a. von Dissertationen. In einer DDR-Fernsehserie setzte man gar preußischen Militärärzten ein filmisches Denkmal. Ebenso erging es dem preußischen Militärreformer Gerhard von Scharnhorst.
Dann – 1979, erschien Mittenzweis Friedrich-Biographie auf dem deutschen demokratischen Buchmarkt. Fünf Auflagen, sollte die auch im anderen Deutschland vielbeachtete Biographie bis 1990 erleben. Entstand doch vor dem Leser dieses Buches, das Bild von einem nicht nur oft Krieg führenden, den Grenzen seiner Klasse und seiner Zeit verhafteten Herrschers, sondern auch das eines intelligenten, vielseitig musisch begabten Königs. Fernab manch früherer Publikation, die eher nur Anklageschriften waren. Und man staune: 1983 entdeckte das politbürokratische Urgestein, Kurt Hager für den Sozialismus in den Tapeten der DDR auch noch die preußischen Tugenden. Er ging soweit zu fordern, sie wissenschaftlich zu ergründen. Aber das half auch nicht mehr.
Was bleibt als Konsequenz und Lehre? Geschichte ist nur in ihrer Gänze zu verarbeiten. Liegt sie auf dem Seziertisch, dann darf man sich nicht allein bei den Filetstücken aufhalten. Wer das tut riskiert eine verderbliche Zukunft!
Autor: René Lindenau