[1]Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß im Zweiten Weltkrieg rund sechs Millionen Juden umkamen. Diese Zahl steht für beinahe 20 Prozent der gesamten Kriegsverluste an Menschenleben, obwohl die Juden nur 0,78 Prozent der ganzen Weltbevölkerung ausmachten. Auf dem Territorium des alten Jugoslawiens, wo vor dem Krieg 82.242 Juden und jüdische Flüchtlinge lebten, wurden 67.228 (81,74%) von ihnen getötet. Die Aufteilung des Landes unter den verschiedenen Besatzungsmächten[2] war der entscheidende Faktor für die Bestimmung von Fristen, Arten und Ausführungen der Vernichtungspolitik. So kamen beispielsweise von allen Juden Serbiens 90 Prozent um.
Region | Juden vor dem Krieg | Getötete im Krieg | Anteil (%) |
Banat | 4.200 | 3.800 | 90.47 |
Serbien | 12.500 | 11.000 | 88.00 |
Kroatien, Slavonien | 25.000 | 20.000 | 80.00 |
Bačka, Baranja | 16.000 | 13.500 | 84.40 |
Bosnien-Hercegovina | 14.000 | 10.000 | 71.43 |
Makedonien | 7.762 | 6.982 | 89.95 |
Sandžak, Montenegro | 330 | 288 | 87.28 |
Slowenien | 1.500 | 1.300 | 86.67 |
Dalmatien | 400 | 148 | 37.00 |
Kosovo | 550 | 210 | 38.18 |
Jugoslawien, total | 82.242 | 67.228 | 81.74 |
(Quelle: JIM Belgrad, www.jimbeograd.org)[3]
Der Verband der Jüdischen Glaubensgemeinschaften Jugoslawiens wurde symbolisch am 22. Oktober 1944, zwei Tage nach der Befreiung Belgrads, wieder gegründet. Damals erhob der Vorsitzende aus Vorkriegszeiten, Dr. Fridrih Pops, der den Kriegs überlebt hatte, einen entsprechenden Rechtsanspruch. Jedoch kann man erst ab 1945, als eine größere Anzahl Gemeinden wieder aktiv wurden, von einer Neuaufnahme der Verbandsarbeit sprechen. Diese Anfänge waren außerordentlich schwierig, wie die Archivmaterialien bezeugen, die im Museum aufbewahrt werden.
1954 erschien die erste Ausgabe des Jüdischen Almanachs, den in Belgrad der Verband der Jüdischen Gemeinden Jugoslawiens publizierte. Den einführenden Text zu dieser Ausgabe schrieb Prof. Dr. Albert Vajs, der damalige Präsident des Verbands. Er gab eine Zustandsbeschreibung nach der Befreiung und zeigte auf, in welcher Richtung die jüdische Gemeinde weiterarbeiten würde. Albert Vajs unterschied drei Perioden im Leben der jüdischen Gemeinde nach der Befreiung. Die erste dauerte von 1945 bis 1948 bzw. bis zur Gründung des Staates Israel. Diese Phase war von sozialer und humanitärer Betätigung gekennzeichnet, denn die Mehrzahl der Juden stand nach dem Krieg ohne das Notwendigste da, und irgendwie musste man ihnen einen Neuanfang ermöglichen.
Die zweite Phase dauerte von 1948 bis 1951, in welcher Zeit 60 Prozent der damaligen jüdischen Gemeinden Jugoslawiens in den neugeschaffenen Staat Israel auswanderten, und die entsprechende Organisationsarbeit absorbierte alle Kräfte. Die dritte Phase, so Vajs 1954, dauert bis heute an. Tatsächlich währte sie bis 1990, also bis zum Zerfall Jugoslawiens und des damaligen Verbands der Jüdischen Gemeinden Jugoslawiens.
Für uns ist interessant, daß Vajs in der Abfolge der Tätigkeiten, die er damals aufzählte, an die erste Stelle die Veröffentlichungen setzte und sofort danach bemerkte: „Bereits 1947 wurde beim Verband eine Museal-Historische Abteilung eingerichtet, die die Aufgabe hatte, Materialien zur Geschichte der Juden in jugoslawischen Regionen von ältesten Zeiten bis heute zu sammeln und zu konzentrieren“. In den ersten Jahren nach der Befreiung und ungeachtet aller überstandenen Grausamkeiten waren die Juden sich einig, den Opfern des Krieges und den Kämpfern gegen den Faschismus die gleiche Bedeutung und dieselbe Ehre zu erweisen. In einer großen Denkmalsaktion wurden 1952 19 Mahnmale errichtet.
Die erste Gedenkfeier fand in der ashkenasischen Synagoge statt, die in Besatzungszeiten als Bar und Bordell gedient hatte. Anfang Dezember 1944 war sie gereinigt und wieder geweiht worden und wurde nun als Gedenkstätte für die gefallenen Kämpfer und die Opfer des Kriegs hergerichtet.
Im Leben und in der Arbeit der nach dem Zweiten Weltkrieg erneuerten jüdischen Gemeinde war das Jahr 1952 insofern eine Ausnahme, als es fast zur Gänze den Ehrungen für die Kriegsopfer und dem Sammeln von Daten über sie gewidmet war. Neben den Denkmalsenthüllungen und den Gedenkfeiern, zu denen viele Landsleute aus dem Ausland anreisten, wurde in diesem Jahr auch die erste Ausstellung des Jüdischen Historischen Museums (JIM), das damals noch im Aufbau war, eröffnet und eine höchst bedeutsame Publikation ediert. Ausstellung und Buch waren auf ihre Weise ein Beitrag, den Toten Ehre und Gedenken zu widmen.
Sammelarbeit zu Opferzahlen
Im Juli 1945 war das Autonome Hilfskomitee gegründet worden, das auch über eine Informationsabteilung verfügte. Deren Aufgabe war, Verbindungen zu allen Informationsinstitutionen daheim und im Ausland anzuknüpfen, um Informationen über jugoslawische Juden, die nicht heimgekehrt waren, zu geben, bei der Informationssuche zwischen jugoslawischen Juden und anderen Personen im Ausland zu vermitteln und eine ständige Auflistung der lebenden und umgekommenen Juden zu führen.
Die Archivbestände der Informationsabteilung befinden sich im JIM und sind Forschern zugänglich, zudem die Adresse für Suchanfragen und Antworten des Roten Kreuzes. Die Anfragen beziehen sich auch auf jüdische Flüchtlinge aus verschiedenen europäischen Ländern, die auf ihrem Weg nach Palästina durch das damalige Jugoslawien reisten. Man nimmt an, daß rund 50.000 Flüchtlinge durch das Königreich Jugoslawien reisten. Die meisten von ihnen wurden vom Verband unterstützt, doch manche wendeten sich nicht an die Gemeinden, da sie sich selber durchbringen konnten. Ein kleiner Teil der Flüchtlinge konnte sich retten, der größere teilte das Schicksal der hiesigen Juden, d.h. die Juden kamen in den verschiedenen Vernichtungslagern Jugoslawiens um oder wurden in andere Lager in Europa deportiert.
Um viele vorliegende Anfragen zu beantworten, versprengte Familien wieder zusammenzuführen, Auskünfte über deportierte Familienmitglieder und Gefallene im antifaschistischen Widerstand zu bekommen, verschickte der Verband bereits im Herbst 1945 an alle Gemeinden einen Fragebogen, um dadurch wenigstens eine annähernde Vorstellung von den Taten und Leiden der Juden im Zweiten Weltkrieg zu erhalten. Zugleich wurde empfohlen, möglichst umgehend Dokumentationen über die Beteiligung und die Verluste der Juden im nationalen Befreiungskampf anzulegen.
Anfang Mai 1947 wurde in Zagreb die Rechtsabteilung gegründet, die die Rechtsvertretung des Verbands vor Gerichten und Ämtern übernahm, die Rückgabe des von fremden Okkupanten enteigneten Besitzes betrieb, sich bei den Behörden für den Schutz jüdischen Besitzes einsetzte, Finanzangelegenheiten der verschiedensten Art regelte etc. Ebenfalls entstand der Museal-Historische Sektor, der die systematische Sammlung von Archivalien, Veröffentlichungen, Flugschriften, Fotokopien und Mikroverfilmungen zur Geschichte der Juden Jugoslawiens übernahm. Aus den Arbeitsberichten dieses Sektors von 1948 kann man seine Tätigkeit und seine Suchanstrengungen, ein vollständigeres Bild des Lebens der jüdischen Gemeinde zu bekommen, verfolgen, denn bekanntlich ist im Verlauf des Zweiten Weltkriegs eine große Dokumentation verschwunden und vernichtet worden.
Die Sammlung von Materialien zu den jüdischen Opfern und zu Juden im Kampf gegen die Besatzer verlief sehr langsam und erbrachte ein verzerrtes Bild der Leiden, so daß im Frühjahr 1956 die Jüdische Gemeinde Belgrad erneut beschloß, „Angaben über gefallene jüdische Partisanen und Opfer des Faschismus aus beiden früheren Belgrader Gemeinden, Ashkenasen und Sepharden, zu sammeln. Die Gemeinde bat alle ihre Mitglieder und andere Personen an anderen Orten, die klare Angaben in dieser Hinsicht machen können, diese persönlich oder brieflich zur Verfügung zu stellen, um so die vorliegenden Dokumentationen über die Opfer des Faschismus zu komplettieren“.
In der Januar/Februar-Ausgabe des „Bulletins“ von 1959 finden wir den Text von Zdenko Levental „Eine wichtige Aufgabe: Materialsammlung zum Kampf der jugoslawischen Juden gegen den Faschismus“. Darin wird nachgewiesen, wie unbefriedigend die Aufstellung der Namenslisten aller Juden, die im Krieg umgekommen sind oder bei den Partisanen waren, verläuft. Dr. Zdenko Levental sagt: „Wenn eine Gemeinschaft den Verlust von zwei Dritteln ihrer Mitglieder erleben muß, wie es bei den Juden Jugoslawiens der Fall ist, dann hört die Tragödie des Verlusts auf, eine Sache von Individuen zu sein. Sie wird Gegenstand des kollektiven Bewußtseins der ganzen Gemeinschaft. Das Unglück steht über den Grenzen persönlicher und familiärer Tragödien, es verbindet die übrigen Mitglieder der Gemeinschaft und stellt ihnen bestimmte Aufgaben. Die Jüdische Gemeinde hat sich nicht entschlossen und wirksam dafür eingesetzt, daß wir zu Fakten über unsere Beteiligung am antifaschistischen Kampf gelangen. Vielen meinen, »daß sich die Juden in Massen passiv zur Schlachtbank führen ließen« oder »daß die Zahl derer, die sich dem gesamtnationalen Kampf anschlossen, unbedeutend ist«. Solche Irrtümer, die Uninformiertheit und Böswilligkeit verraten, sind die Folge der mangelnden Sorgfalt, Daten zu sammeln und zu veröffentlichen, die das genaue Gegenteil demonstrierten, daß nämlich die Beteiligung unserer Juden am Kampf im Verhältnis zur Größe unserer Gemeinschaft und mit Blick auf objektive Umstände (z.B. die Liquidierung der meisten Juden bereits im Sommer 1941) unverhältnismäßig groß war“: Der Verband und seine Museal-Historische Abteilung starteten eine Aktion zur Vervollständigung des Fragebogens, den man über alle Gemeinden oder direkt vom Verband bekommen konnte. Die Befragten sollten Informationen über umgekommene oder lebende Teilnehmer am Kampf vor und während des Krieges liefern. Die Datensammelaktion wurde in Jugoslawien fortgesetzt, aber auch in Israel, und das gewonnene Material wurde bei den Feiern des 20. Jahrestags des Aufstands in unserem Land verwendet.
Weil die Angaben über die Opfer, ungeachtet zahlreicher Aktionen in dieser Richtung, mit Blick auf die tatsächliche Zahl der Opfer und Kriegsteilnehmer, immer noch unbefriedigend waren, startete die Jüdische Gemeinde Belgrad im Juni 1964 einen erneuten Appell an alle Gemeinden und deren Mitglieder im Lande wie auch an die Organisationen jugoslawischer Juden in der Welt, sich an der Sammlung von Daten zu beteiligen. Dabei ist daran zu erinnern, daß ebenfalls 1964 das Bundesamt für Statistik (Savezni zavod za statistiku) eine Zählung der Kriegsopfer auf dem Gesamtterritorium Jugoslawiens veröffentlichte.
Das Jüdische Historische Museum Belgrad war Träger der größten Datensammelaktion, die am 30. Mai 1967 mit einem Brief an alle Jüdischen Gemeinden begann, in dem stand, daß das Museum im Rahmen seiner laufenden Dokumentations- und Forschungstätigkeit eine breite Aktion zur Sammlung neuer und unausgewerteter Daten zum Leben, Kampf und Leiden jugoslawischer Juden im Zweiten Weltkrieg unternimmt. Nach acht Monaten der Arbeit wurden erste Schlussfolgerungen gezogen: Dabei wurde konstatiert, daß man zwar viel Mühe aufgewendet und höchst wertvolles Material gesammelt habe, daß aber nicht in allen Republiken derselbe Erfolg erreicht wurde. Besonders gelobt wurde die Arbeit der Jüdischen Gemeinden in Bosnien-Hercegovina, besonders der von Sarajevo. Erschöpfende Angaben kamen aus Makedonien, und in Serbien wurden vollständige Angaben aus nahezu allen Städten zusammengetragen, ausgenommen Belgrad und einige Orte in der Vojvodina. Belgrad stellte insofern ein Sonderproblem dar, als man hier über keine Archivmaterialien verfügte. Aus Slowenien wurden nur Daten aus einigen Orten erhoben, die zudem noch unvollständig waren. Am wenigsten wurde in Zentral-Kroatien getan.
Jede Aktion der Museal-Historischen Abteilung (später Museum des Verbands Jüdischer Gemeinden und seit 1960 Jüdisches Historisches Museum) wurde von einem Erfahrungsaustausch mit ähnlichen Institutionen im Lande und in der Welt begleitet. So wendete sich Hitahdut olej Jugoslavija, die Vereinigung jugoslawischer Juden in Israel, genauer gesagt die (1955 gegründete) Historische Unterabteilung dieser Vereinigung, mit einem Rundbrief an alle ehemaligen Partisanen, die in Israel leben, und bat um relevante Angaben über jugoslawische Juden, die als Kämpfer gegen die Besatzer bekannt waren.
Für das Jüdische Historische Museum Belgrad ist die Kooperation mit Yad Vashem von außerordentlicher Bedeutung. Das Archiv von Yad Vashem ist ein reicher Thesaurus öffentlicher und privater Archive und archivalischer Kollektionen, von Archiven nationalsozialistischer Staatsinstitutionen, Archiven von Städten, in denen keine Juden mehr leben, Untergrundbewegungen und Ghettos. Die Museal-Historische Abteilung hatte bereits im Juni 1955 zwei Sendungen mit Dokumenten zu den Leiden der Juden Jugoslawiens geschickt, und Yad Vashem begann seinerseits, für unser Haus Grunddaten bei den jugoslawischen Juden zu sammeln, die in Israel leben.
Seit seiner Gründung pflegt das Museum eine intensive Zusammenarbeit mit den Jüdischen Gemeinden, die Dokumentationen in großer Zahl übergaben. So schickte die Jüdische Gemeinde Zagreb wertvolles Material, das sie vom Museum der Volksbefreiung bekommen hatte und das die tragischen Zeiten der deutschen und italienischen Besatzung betraf. Auch die Jüdische Gemeinde Zemun[4] übergab einige Dokumente und Korrespondenzen, die das (kroatische) Lager Jasenovac betrafen.
Obwohl die Datensammlungsaktion als abgeschlossen angesehen wird, wendete sich Yad Vashem 1988 nochmals an unser Museum und erbat Hilfe bei der Computerisierung von Daten zu Holocaust-Opfern zum Zweck einer rascheren und leichteren Wiederauffindung. Damit steht diese Datenbasis der Opfer auch unserem Museum zur Verfügung. Organisatorischer Ausgangspunkt sind die bereits bestehenden Verzeichnisse, die nach Städten geordnet sind. Erfasst wurden 40.906 Namen von Opfern aus 120 Gemeinden, die vor dem Krieg in Jugoslawien bestanden. Wenn wir diese Zahl mit den heute in Ex-Jugoslawien bestehenden Gemeinden vergleichen – insgesamt 27, davon 9 in Serbien und Montenegro -, dann wird evident, welch schlimmer Genozid an der jüdischen Bevölkerung verübt wurde.
Sammlung von mündlichen und schriftlichen Erinnerungen jüdischer Überlebender des Holocaust
Zusammen mit der Arbeit an Statistiken bzw. dem Sammeln von Daten zu Umgekommenen, Überlebenden, Geflohenen und Deportierten wird auch an der Sammlung von Erinnerungen Überlebender gearbeitet. Bereits an der Arbeit der Kommission zur Feststellung von Kriegsverbrechen wurde deutlich, dass Holocaust-Erinnerungen, eine schreckliche, besondere und neue Erfahrung sind. Das Problem war, dass viele Überlebende außerstande waren, von dem, was sie erlebt und überlebt hatten, zu schreiben oder zu erzählen. Institutionen wie unser Jüdisches Historisches Museum konnten auch keinen Druck auf die Überlebenden ausüben, denn auf Seiten der Überlebenden waren viele Emotionen im Spiel und auf Seiten der Institutionen viel Verständnis. Dennoch sind Erinnerungen aufgeschrieben und veröffentlicht worden. Allerdings sind die Juden 50 und mehr Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem zunehmenden Phänomen einer Negierung des Holocaust, der Opferzahl, der Existenz von Lagern und mit einer Kommerzialisierung des Holocaust konfrontiert. Viele Institutionen, die sich mit Forschung und Dokumentation beschäftigten, kamen zu dem Schluß, dass das Sammeln, Aufbewahren und Präsentieren der Erinnerungen Überlebender eine Antwort auf dieses Phänomen sind.
Die in diesem Sinne weltweit größten Anstrengungen unternahm die Shoa-Foundation, als sie systematisch die Aufzeichnung von Überlebenden in allen europäischen Ländern organisierte. Bislang wurden rund 50.000 Interviews gemacht, davon 1998/99 363 Interviews in Serbien und Montenegro. Die Interviews berührten folgende Themen: Verstecke, Arbeitslager, Partisanen, Kindertransporte, politische Gefangene, Ghettos, Retter, Gerechte, Roma, nichtjüdische Antifaschisten, Flüchtlinge, medizinische Experimente, Überlebende im Widerstand, Kriegsgefangene. Bislang haben nur die Interviewten die Bänder ihrer Interviews bekommen. Unser Museum plant, in Kooperation mit der Shoa-Foundation eine Bibliothek von Kassetten zu schaffen, die für wissenschaftliche und erzieherische Zwecke genutzt werden kann. Zudem wurde im Umkreis des Jüdischen Historischen Museums das Projekt einer Buchveröffentlichung Wir haben überlebt – Juden über den Holocaust[5] betrieben. Ende Juni 2001 wurde das Buch veröffentlicht. Weil man sehr viele Erinnerungen gesammelt hatte, erschien 2003 ein zweiter Band und ein dritter ist in Vorbereitung. Die Auswahl wurde so getroffen, dass Individuen aus möglichst vielen Jüdischen Gemeinden des ehemaligen Jugoslawiens zu Wort kamen. Ein zweites Buch mit ähnlicher Thematik war Lebende und Tote – Gespräche mit Juden, das der Journalist Jaša Almuli 2002 veröffentlichte. Der Autor hatte Ende der 1980-er und in den frühen 1990-er Jahren für das Fortunov-Videoarchiv New York und das Amerikanische Holocaust-Memorial in Washington mit Unterstützung des Belgrader Jüdischen Historischen Museums zahlreiche Interviews mit angesehenen jüdischen Künstlern, Prominenten und erfolgreichen Unternehmern geführt. Ein Teil der in diesem Buch veröffentlichten Photos stammt aus den Archiven des Jüdischen Historischen Museums Belgrad.
Forschungsarbeit und Zusammenarbeit mit Institutionen und Individuen, die sich mit dem Holocaust beschäftigen
1952 erschien das Buch Verbrechen der Besatzer und ihrer Helfer an den Juden Jugoslawiens, 1980 ein ähnlich kapitales Werk unter dem Titel Die Juden Jugoslawiens 1941-1945: Opfer des Genozids und Beteiligte am Volksbefreiungskrieg von Dr. Jaša Roman. Da die Arbeitsergebnisse der Landes- und Provinzialkommissionen zur Feststellung von Kriegsverbrechen größtenteils nicht veröffentlicht wurden, sind diese beiden Bücher bis heute erstrangige Quellenwerke für jeden Forscher. Der große Beitrag von Jaša Roman liegt vor allem in dem Namensverzeichnis der jüdischen Partisanen sowie des Registers der KZs auf jugoslawischem Territorium und im Ausland, in denen Juden gefangen waren. Im Verhältnis zur Vorkriegszahl der Juden haben sich diese am meisten am Partisanenkampf beteiligt. Die Juden lebten 1941-1945 in allen Territorien und unter allen Regimen in Todesgefahr und hatten nur die Wahl, in den Tod zu gehen oder für ihr Leben zu kämpfen. Darum ist es ziemlich sinnlos, wenn man diesem Kampf heute diverse ideologische Merkmale zuweist.
Eine dritte große Studie erschien 1998, wenn auch nicht im Umkreis des Jüdischen Historischen Museums. Es ist das Buch des Sozialhistorikers Prof. Dr. Milan Ristović (*1953, Bild) Auf der Suche nach Schutz – Jugoslawische Juden auf der Flucht vor dem Holocaust 1941-1945. Dieses außergewöhnliche Buch befasst sich mit dem Problem des Exils und mit allem, was zu diesem Status gehört: Von den psychischen und sozialen Problemen Einzelner, die sich zu retten versuchen, bis zu diplomatischen, ideologischen, politischen und sonstigen „Spielen“, die um die Flüchtlinge, speziell die jüdischen, abliefen.
Das Museum ediert seit 1971 den Sammelband des Jüdischen Historischen Museums, von dem bislang sieben Bände erschienen sind. In jedem Band finden sich Texte, die sich mit dem Holocaust befassen, und zwei Ausgaben des Sammelbandes, II und III, sind zur Gänze Themen gewidmet, die mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Leiden und dem Widerstand zusammenhängen. Sammelband I befasste sich mit den Juden von Dubrovnik, wobei speziell ihr Leiden und der Raub von Wertsachen aus ihrer Synagoge beschrieben wurden. Sammelband IV befasste sich mit den Juden aus der Vojvodina, V mit den Juden aus Subotica und VI mit den Belgrader Juden.
Auch in den Jüdischen Almanachen, die der Verband Jüdischer Gemeinden von 1954 bis 1970 herausgab, waren immer Texte zu dieser Thematik enthalten, wenn es sich auch nicht um systematische Forschungen handelte. Dr. Zdenko Levental zählte 1958 in einem Text alle Institutionen auf, mit denen das Museum im Sammeln und Austausch von Daten zusammenarbeitete. Hierbei ist die Vereinigung jugoslawischer Juden in Israel von besonderer Bedeutung, da sie rund 10.000 Juden aus dem Bereich Ex-Jugoslawiens vereint. Die Vereinigung hat ihr eigenes Archiv und bemüht sich, alle für die Geschichte der Juden Ex-Jugoslawiens relevanten Dokumente zu sammeln. Ein wichtiges Ergebnis dieser Bemühungen ist eine Enzyklopädie unter dem Titel Pinkas hakelilot Jugoslavija (Überblick über die jüdischen Gemeinden Jugoslawiens), die Yad Vashem 1988 in einer Buchreihe herausgegeben hat. Unser Jüdisches Historisches Museum hat jahrelang den Forschern geholfen, die an diesem Buch gearbeitet haben, und zahlreiche Fakten, Kopien von Dokumenten und Literaturverzeichnisse geliefert. Wir waren als Institution in großem Optimismus überzeugt, unser Museum würde eine noch vollständigere, große Monographie über die Geschichte der Juden dieser Region und ihre Vernichtung herausgeben. Statt dessen hat das Jüdische Historische Museum in Zusammenarbeit mit dem Landesmuseum in Zagreb eine große und vielbeachtete Ausstellung Die Juden im Raum Jugoslawiens arrangiert, die zum großen Teil dem Leiden und dem Widerstand der Juden gewidmet war. Ein umfangreicher Katalog erschien zu der Ausstellung, die ein großer Erfolg war und in mehreren Städten Jugoslawiens, dazu in New York und in Kanada gezeigt wurde. Leider kam sie etwas zu spät, denn kurz Zeit später zerfiel Jugoslawien und die Juden fanden sich in verschiedenen Staaten wieder.
Gegenwärtige Projekte
Eigentlich könnte man sagen, dass das Jüdische Historische Museum in Belgrad aus zwei Institutionen besteht, dem Museum und dem Archiv. Beide sind eng verbunden und arbeiten zusammen, aber die Struktur des Materials selber zwingt zu verschiedenen Arbeitsweisen, zu ganz verschiedenen Methoden, die von den differierenden Materialien diktiert werden. Lange Jahre wurde das Archivmaterial, das wir aufbewahren, wie eine historische Sammlung geführt und wie die anderen Sammlungen des Museums klassifiziert. Das hat leider die Bearbeitung des Archivmaterials sehr verzögert, denn jedes Dokument wurde als Einzelstück behandelt und mit einer eigenen Inventarnummer versehen. Daneben gab es noch eine thematische Einordnung des Materials, was für Forscher manchmal günstig, generell aber hinderlich war. Darum kam man zu dem Schluß, die Museumsbestände auf zwei verschiedene Wiesen zu bearbeiten, eben auf museale und auf archivalische Art.
Eine unserer Haupttätigkeiten war, jüdischen Überlebenden des Holocaust zu helfen, die benötigten Dokumente zu finden, die sie für eine Entschädigung aus Deutschland brauchten. Da die Überlebenden gezwungen waren, alle ihre Personalunterlagen zu vernichten, um ihre jüdische Identität zu verbergen, war es später erforderlich, dass wir tagelang unser Archiv „umpflügten“, um wenigstens das eine oder andere Dokument zu finden, welches diesen erniedrigten Menschen ermöglichte, einige Fakten ihrer Biographie zu beweisen. Die meisten vor 1945 geborenen Mitglieder der Jüdischen Gemeinschaft Jugoslawiens versuchten, diese Entschädigung zu erhalten, denn ganz gewiß sind alle Juden vom Holocaust tödlich bedroht gewesen und viele haben unbeschreibbare Grausamkeiten erlebt. Nur dokumentarische Beweise waren dazu schwer zu finden. Für uns Angestellte waren das Erfahrungen an der Grenze unserer beruflichen Möglichkeiten – schwere emotionale Erfahrungen, als wir mit dem Umstand konfrontiert waren, dass von unserer Arbeit für manchen so viel für dessen Leben abhängen kann.
Seit die Claims Conference vom Jüdischen Weltkongreß mit der Realisierung des Entschädigungsprogramms beauftragt wurde, begann sie, auch Anträge aus Ex-Jugoslawien zu berücksichtigen und ermöglichte es unserem Haus, sich um Mittel zur Unterstützung von Holocaust-Projekten zu bewerben. Unser erstes Projekt betraf 1997 die Lagerungsbedingungen des Archivbestands, der bis 2001 in ein neues Depot verbracht wurde. Ein zweites Projekt von 2000 hieß Holocaust Research and Education und galt ebenfalls unseren Beständen, vor allem deren Computerisierung. Unter den derzeitigen schweren materiellen Bedingungen sind solche Projekte eine Grundvoraussetzung, dass unser Museum überhaupt bestehen und funktionieren kann.
Autorinnen: Milijana Mihajlović, Branka Đidić. Übersetzung aus dem Serbischen (Serbokroatischen) von Wolf Oschlies
Erstveröffentlichung in: Genocid u 20. veku na prostorima jugoslovenskih zemlja – Zbornik radova sa naučnog skupa Beograd, 22.-23. april 2003 (Genozid im 20. Jahrhundert in den Regionen der jugoslawischen Länder – Sammelband der Arbeiten einer wissenschaftlichen Tagung in Belgrad, 22.-23. April 2003), Belgrad 2005, S. 453 – 467
Anmerkungen
[1] Shoa.de dankt Frau Branka Đidić und dem Jüdischen Historischen Museum (JIM) Belgrad für die Erlaubnis zur Übersetzung und Veröffentlichung dieses Textes. Die deutsche Version wurde gegenüber dem serbischen Original unwesentlich gekürzt.
[2] Deutschland (Teile Sloweniens); Italien (Südhälfte Sloweniens, große Teile der kroatischen Adriaküste, Montenegro, Kosovo, Südwesten Makedoniens); Bulgarien (Makedonien); Ungarn (Teile im Norden Sloweniens, Kroatiens und Serbiens).
[3] Jevrejski Istorijski Muzej Beograd, Kralja Petra 71a/1, 11000 Beograd, Tel. 011 622 534, Fax 011 626 674, e-mail muzej@eunet.yu
[4] Heute eine Belgrader Vorstadt im Norden, früher als „Semlin“ erster Ort der habsburgischen Vojvodina
[5] Aleksandar Gaon (Hrsg.): Mi smo preživeli… Jevreji o kolokaustu (Wir haben überlebt – Juden über den Holocaust), Bd. I-II, Belgrad 2001-2003