Die Einrichtung der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zum Zwecke der Entschädigung der Sklaven- und Zwangsarbeiter des NS-Regimes im Zweiten Weltkrieg hat die Aufmerksamkeit auf einen bedeutenden Aspekt der deutschen Nachkriegsgeschichte gelenkt: Die Entschädigung von NS-Opfern in der Bundesrepublik Deutschland. Im Bewusstsein des überwiegenden Teils der Öffentlichkeit blieb bei dieser Diskussion vermutlich in erster Linie nur der Streit um bestimmte Geldsummen haften. Dies schadete dem berechtigten Anliegen der Zwangsarbeiter und es besteht darüber hinaus die Gefahr, dass eine Möglichkeit verpasst wird, einen wesentlichen Teil deutscher Nachkriegsgeschichte für eine interessierte Öffentlichkeit fern ab von stereotypen Mustern sachlich aufzuarbeiten. Zu dieser thematischen Auseinandersetzung gehört die in den letzten Jahren geführte Diskussion ebenso, wie die bereits geleistete Entschädigung für die Opfer nationalsozialistischer Untaten durch die Bundesrepublik. Bereits kurz nach dem Krieg wurden die sogenannten Wiedergutmachungszahlungen von den Alliierten angeordnet und mussten von den deutschen Nachkriegsbehörden in eine entsprechende juristische Form gebracht werden. Im Bereich des Entschädigungsrechts, das Personenschäden und nicht von der Rückerstattung erfasste Vermögensschäden regelt, wurden in der amerikanischen Besatzungszone bereits 1946 Ländergesetze erlassen, die zum Zwecke der Wiedergutmachung vorläufige Zahlungen und Leistungen zur Wiederherstellung der Gesundheit, zur beruflichen Ausbildung, zur Begründung einer wirtschaftlichen Existenz oder zur Abwendung einer Notlage sowie Renten an Verfolgte und ihre Hinterbliebenen vorsahen. Am 26. April 1949 wurde dann als zoneneinheitliches Gesetz vom Süddeutschen Länderrat das Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts erlassen, das im August durch besondere Landesgesetze in Bayern, Bremen, Baden-Württemberg und Hessen verkündet wurde. Diese Landesgesetze wurden nach Errichtung der Bundesrepublik Deutschland und nach Inkrafttreten des Grundgesetzes gemäß Artikel 125 GG als Bundesrecht übernommen. In den Ländern der britischen und der französischen Besatzungszone sowie in Berlin (West) ergingen entsprechende Gesetze, die grundsätzlich die gleichen Schadensarten regelten wie das Entschädigungsgesetz. Der erste Deutsche Bundestag ließ sich Zeit bei der Vereinheitlichung eines Entschädigungsrechts im Bundesgebiet. Die Verhandlungen blieben jahrelang in der Frage der Kompetenz- und Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern stecken. 1951 wurden offizielle Regierungsgespräche zwischen der Bundesrepublik und Israel eingeleitet. Als dritter Partner kam die „Conference on Jewish Material Claims against Germany“ hinzu, ein Dachverband der wichtigsten jüdischen Organisationen, der in den Verhandlungen die außerhalb Israels lebenden Juden vertrat. Die Verhandlungen, die in Wassenaar bei Den Haag geführt wurden und im September 1952 in das Luxemburger Abkommen mündeten, bilden einen Markstein in der Wiedergutmachungsgeschichte. Adenauer erklärte das Israel-Abkommen zur Chefsache. Er setzte sich mit Hilfe der SPD-Bundestagsfraktion gegen die Widerstände durch, die sich im Bundeskabinett, in der Regierungskoalition und in Teilen der Presse regten. Die Gegner argumentierten mit den Kosten einer solchen gesetzlichen Regelung.
Im Bewusstsein der deutschen Nachkriegsgesellschaft wurde, nachdem der „Schock der ersten Stunde“, in der die nationalsozialistischen Verbrechen in das Blickfeld der Öffentlichkeit gelangten, verflogen und die Bereitschaft politisch und moralische Verantwortung zu übernehmen nachließ, den Opfern des nationalsozialistischen Terrorregimes ein eher unbedeutender Platz zugewiesen. Vor dem Hintergrund des Wiederaufbaus, des kalten Krieges und schließlich des eigenen während und nach dem Krieg erfahrenen Leids, begannen viele Deutsche, sich selbst als Opfer zu sehen. Auch änderte sich das Bild vom Nationalsozialismus. Die Betonung des manipulativen und terroristischen Charakters des NS-Staates und die Sicht auf einen dämonisierten Hitler half, eine Mitschuld an den NS-Verbrechen zu verdrängen. Man begann das eigene Leid mit der Verfolgung der NS-Opfer aufzurechnen – das Klischee von wohlversorgten NS-Opfern wurde zu einer Art Mythos – und einhergehend mit der Integration ehemaliger NS-Funktionäre in die deutsche Nachkriegsgesellschaft wurden nicht die Täter, sondern die Opfer als eine Belastung für die neue Gesellschaft empfunden. „Was soll man tun, wenn ein ganzes Volk bockt“ soll der ehemalige Verhandlungsführer beim Israel-Abkommen und als engagierter Befürworter der Entschädigungsgesetze bekannt gewordene, Franz Böhm, gesagt haben. Die Wiedergutmachung war zwar in der Bevölkerung unpopulär, hatte aber offenbar keine negativen Auswirkungen auf das Wählerverhalten. Böhm kandidierte 1953 und 1957 in einem Frankfurter Wahlkreis, der für seine Partei sehr gefährdet war, und gewann beide Male das Mandat. Auf der anderen Seite versuchten Spitzenpolitiker wie der Bundesfinanzminister Fritz Schäffer (CSU) Stimmen gegen die Wiedergutmachungsregelung zu sammeln. Den Höhepunkt seiner Kampagne stellte eine Rede auf einer CSU-Veranstaltung in Plattling im Dezember 1957 dar, als er schon nicht mehr das Amt des Finanzministers bekleidete. Da behauptete er u.a. die Wiedergutmachung erschüttere die Stabilität der Deutschen Mark. In der Presse wurde dieser Ausfall aufs schärfste verurteilte, sogar das Bundeskabinett distanzierte sich einschließlich seines Nachfolgers im Finanzressort. Die Sicht auf die Opfer des NS-Regimes war nicht einheitlich. Während die Entschädigung von Juden und ehemaligen politisch Verfolgten trotz finanzieller Bedenken, in der Öffentlichkeit eher zustimmend angenommen wurde, war die Akzeptanz solcher Verfolgtengruppen wie z. B. „Zigeuner“ und Zwangssterilisierte wesentlich geringer. Auch verschob sich während des Kalten Krieges die Einstellung zu politisch Verfolgten vom kommunistischen-sozialistischen Widerstand auf den konservativ-militärischen.
Das Bundesentschädigungsgesetz (BEG)
Das erste bundeseinheitliche Entschädigungsgesetz von 1953, das sogenannte Bundesergänzungsgesetz, das noch kurz vor Ende der Legislaturperiode beschlossen wurde, legte in 113 Paragraphen die zu entschädigenden Personengruppen, die zu berücksichtigenden Schadensbestände, die Befriedigung der Entschädigungsansprüche und die zuständigen Behörden und Verfahrensvorschriften fest. Dieses Gesetz wurde schon drei Jahre später durch das Bundesentschädigungsgesetz von 1956 abgelöst. Dieses Gesetz erweiterte seine Bestimmungen auf juristische Personen und Entschädigungsberechtigte wie Künstler und Wissenschaftler, Hinterbliebene von ermordeten Verfolgten, irrtümlich Verfolgte und Personen, die verfolgt worden waren, weil sie einem Verfolgten nahe standen. Neben einem Wohnsitz in der BRD wurde nun auch ein ehemaliger Wohnsitz in den Gebieten anerkannt, die am 31.12.1937 zum Deutschen Reich gehört hatten. Auch Sonderregelungen für Heimkehrer, Vertriebene, Flüchtlinge aus der Sowjetzone und sogenannte Displaced Persons wurden aufgenommen. 1965 wurde dieses Gesetz zum BEG-Schlussgesetz erweitert, u.a. durch eine Regelung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand konnte der Antragssteller, hatte dieser ohne eigenes Verschulden die Frist zum 1.4.1958 nicht eingehalten, seine Ansprüche anmelden. Mit dem Gesetz wurde aber auch endgültig bestimmt, dass nach dem 31. Dezember 1969 auch bei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, keine Anträge mehr angenommen werden konnten. Deshalb besteht heute keine Möglichkeit mehr, neue Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG geltend zu machen. Ergänzt wurde das BEG im Laufe der Jahrzehnte durch Sonderregelungen. Heute umfasst der Begriff Wiedergutmachung nach dem BEG mindestens fünf Teilbereiche, die kurz skizziert die (1) Rückerstattung von Vermögenswerten, (2) Sonderregelungen im Öffentlichen Dienst und der Sozialversicherung, (3) juristischer Rehabilitierung zur Beseitigung von Unrechtsurteilen wie Ausbürgerung oder Aberkennung akademischer Grade und, (4) durch die internationale Dimension der Thematik, zwischenstaatliche Regelungen umfassen. Punkt (5) umfasst die Entschädigung für Eingriffe in die Lebenschancen, Verlust an Freiheit, Gesundheit und beruflichem Fortkommen. Im Jahr 2000 wurden im gesamten Bundesgebiet noch ca. 90 000 laufende Renten bezahlt.
Autoren: Georg Arnold und Senad Hadžic
Literatur
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Lichtenstein, Heiner: Das Unverständnis der Bevölkerung gegenüber den Opfern. Die Unfähigkeit zu trauern; in: Die Bundesrepublik Deutschland und die Opfer des Nationalsozialismus. Tagung vom 25.-27.11.1983 in der Evangelischen Akademie Bad Boll. Protokolldienst 14/84, Bad Boll 1984, S. 112
Steinbach, Peter: Mit der Vergangenheit konfrontiert. Vom Erkennen der NS-Verbrechen zur „Wiedergutmachung“; in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentum 25, 1986, H. 97; S. 88-105.