Der große alte Mann der israelischen Literatur, Amos Oz, ist die zentrale Figur des Films „Censored Voices“ von Mor Loushy, der in der Sektion „Panorama“ der Berlinale gezeigt wird.
Der Sechs-Tage-Krieg 1967 schuf für Israel und den Nahen Osten eine völlig neue Situation und den zweiten Gründungsmythos des jüdischen Staates. Israel hatte die übermächtig erscheinende gegnerische Koalition besiegt und sein Territorium auf die dreifache Größe ausgedehnt.
Unmittelbar nach dem Triumph war der junge Schriftsteller Amos Oz mit einem Tonbandgerät unterwegs, um mit Kriegsteilnehmern in mehreren Kibbuzim zu sprechen. Ihn interessierten nicht die Heldengeschichten, sondern die persönlichen Wahrnehmungen der Kriegsteilnehmer.
Die Männer redeten offen über die Zerstörung, die Gräuel des Krieges und über ihre Ängste. Sie sprachen über das Verhalten der israelischen Truppen und waren dabei wesentlich kritischer, als Oz erwartet hatte. Die Aussagen sind frisch und unverstellt von der offiziellen israelischen Propaganda, die den Sechs-Tage-Krieg als gerechten, sauberen und notwendigen Krieg verkaufte. Die jungen Männer berichten über Leid und Tod und sie wissen um Gefangenenerschießungen, um die Erniedrigung des Gegners, und vor allem um die Vertreibung der Palästinenser von ihrem Land.
Der Schriftsteller plante damals die Veröffentlichung der Interviews, doch es kam nicht dazu. Fast ein halbes Jahrhundert blieben die Interviews unter Verschluss der Militärzensur. Die Regisseurin stellt heute den Originalaufnahmen Stimmen aus Nachrichtenarchiven und Bilder des Konfliktes gegenüber, die das Gesagte zeitlich und bildlich verorten. Und wir treffen schließlich die ehemaligen Soldaten wieder. Es sind heute Männer über 70, deren Stimmen nach so langer Zeit endlich gehört werden.
Berlinale. Panorama Dokumente
Israel / Deutschland 2015, 84 Min
Hebräisch, Englisch
REGIE: Mor Loushy
www.censoredvoices.com