Ungekennzeichnete Massengräber säumen kilometerlang die Landstraßen von Spanien, in denen über 120.000 Franco-Regime Opfer verschüttet liegen. Unter ihnen ist auch Federico Garciá Lorca, ein weltberühmter spanischer Schriftsteller, der von Faschisten in den ersten Tagen des Bürgerkriegs in Spanien erschossen wurde. Ihn machte das Rätsel um die sterblichen Überreste zur Symbolfigur im Bemühen um das Aufdecken und Erinnern verborgener Schicksale von Lesben und Schwulen unter dem Franco-Regime, die gewaltsamen Repressionen weit über das Diktaturende hinaus ausgesetzt waren. Spanien verweigert die umfassende strafrechtliche Aufarbeitung der Vergangenheit, obwohl dieses Land heute zu den fortschrittlichsten Ländern im Umgang mit Homosexualität gehört. Andrea Weiss verschafft einfühlsam das Gehör an die Opfer von Franco aus der LGBTIQ-Community. Ihr Dokumentarfilm zeigt ihre Lebensgeschichte im Kampf um Menschenrechte, Gerechtigkeit und Aufklärung, sowie den Streit um eine Neubestattung der verschwundenen Opfer. Die verdrängte historische Realität dokumentiert das beeindruckende Archivmaterial. Diese Realität findet einen schmerzvollen Widerhall in Lorcas Musik und Dichtungen.
Wie es zum Dokumentarfilm kam
Der Dokumentarfilm „Bones of Contention“ erzählt von Erinnerung und Verdrängung. Die Regisseurin Andrea Weiss untersucht die Verfolgung von Homosexuellen und hinterfragt die ausbleibende Aufarbeitung einer faschistischen Vergangenheit. Emilio Silva sagt im Film: „Tausende Zivilisten haben wir ermordet und unermessliche Mengen an Geld und Gütern gestohlen und dann kam Demokratie und wir durften alles behalten. Es war einfach das perfekte Verbrechen. Andrea Weiss ist eine US-amerikanische Filmemacherin, die sich in „Bones of Contention“ auf die Suche nach den Überresten des spanischen Schriftstellers Federico Garciá Lorca begibt. Er wurde von Putschisten im politischen Schicksalsjahr 1936 erschossen, allerdings wurde sein Grab niemals gefunden. Weiss stellt bei ihrer Recherche fest, dass unter der Faschistenherrschaft von Diktator Francisco Franco ein nicht aufgeklärtes Verbrechen gegen die LGBT-Gemeinschaft durchgeführt wurde. Hunderttausende Bisexuelle, Lesben und Schwule wurden unterdrückt oder sind ganz verschwunden während der faschistischen Ära. Mittlerweile gibt es eine kleine Bewegung, die Aufklärungsarbeit und Gerechtigkeit für alle Opfer fordert, aber die spanische Regierung scheint kein Interesse dafür zu zeigen.
Andrea Weiss´ Aufarbeitung der Verbrechen gegen Transsexuelle, Homosexuelle und alle, die als Anomien verfemt wurden, bezeichnet man als die erste dieser Art. Diese Aufarbeitung ist eine Exhumierung auf soziologischer und historischer Ebene, wie sie die Angehörigen der Opfer fordern. Die pittoresken von Pinien gesäumten Alleen sind Friedhöfe, wo Hunderttausende Tote der Diktatur unter den gepflanzten Bäumen liegen. Eines der Opfer ist der Dichter, nach dem Andrea Weiss sucht. Er ist eine Symbolfigur und Aushängeschild des Widerstands. Dennoch weiß niemand, wo seine Knochen liegen. Der Dichter selbst hat das vorausgeahnt und sagte damals noch: „Immer noch konnten sie mich nicht finden. Sie konnten nicht? Nein, sie konnten nicht“.
Das perfekte Verbrechen
Weiss und ihre Interviewpartner benennen mit entlarvender Offenheit die Gründe dafür. Die LGBT-Verfolgten wurden systematisch gebrochen und die Schuldigen per Amnestie reingewaschen. Das Vergessen des geschichtlichen Makels ist statt natürlicher Prozesse ein politisches Dogma, wobei allein das Gelände zum Spiegel der kollektiven Psyche wird. Zudem ist es ein Vexierspiel über die verdrängte Realität diktatorischer und kirchlicher Repression. Im Film gibt es zwei thematische Stränge. Zum einen ist das die Kampagne der historischen Bewegung, damit die Vergangenheit aufgeklärt wird und zum anderen die Suche nach dem verborgenen Leben von Lesben und Schwulen unter Francos Regime. „Bones of Contention“ ist ein Dokumentarfilm, der das Thema der historischen Erinnerung hervorhebt und die unermessliche Geschichte der LGBT-Gemeinschaft erzählt.
Unter dem Schwerpunkt „Europa Europa“ feierte „Bones of Contention in der Sektion Panorama Dokumente seine Weltpremiere auf der 67. Berlinale.
Fazit
Andrea Weiss gräbt die Berichte und Fakten aus, mit denen sie die Anhänger eines nicht lange überwundenen Schreckens und die staatliche Hypokrisie endgültig begraben will. Gekonnt verknüpft ihr methodisches Essay vernichtende Fakten, persönliche Schicksale, berühmte Biografien und lyrische Elemente und vor allem setzt es einen lange überfälligen Diskurs gegen das Totschweigen der Opfer unter dem faschistischen Regime in Gange.
Bones of Contention – von Andrea Weiss
USA 2017
Spanisch, Englisch
Dokumentarische Form
75 Min · Farbe & Schwarz-Weiß
Berlinale: Sektion Panorama Dokumente