Susanne Römer / Hans Coppi (Hrsg.): „Aufbruch“. Dokumentation einer Zeitschrift zwischen den Fronten, Koblenz 2001.
Zum Reprint der Zeitschrift „Aufbruch im Sinne des Leutnants a. D. Scheringer“
Mit dem Reprint der Zeitschrift „Aufbruch“ der Jahre 1931 bis 1933 haben der Historiker Hans Coppi und die Soziologin Susanne Römer einen aufschlussreichen Irrweg des Weimarer Antifaschismus illustriert: Die vom „Militärpolitischen Apparat“, dem Parteigeheimdienst der KPD, herausgegebene Zeitschrift steht für den Versuch, eine anwachsende rechte Bewegung zu bekämpfen, in dem man sich an ihren Diskursen beteiligt und ihr Vokabular aufnimmt. Damals hofften Funktionäre der KPD, die Grauzone der nationalbolschewistischen und konservativen Revolutionäre für sich zu gewinnen und letztlich somit die Massenbasis der NSDAP zu zersetzen. Diese Taktik hat sich als fatal erwiesen. Gemessen an der Zahl der Nazi-Übertritte in die KPD, war sie ein Misserfolg. Vielmehr kann der Standpunkt eingenommen werden, dass durch die nationalistische Maskerade eine Irritation im eigenen politischen Lager hervorgerufen wurde, die, langfristig betrachtet, zur schwindenden Resistenz vieler kommunistischen Anhänger gegenüber dem NS-Regime beigetragen haben könnte.
Doch bei der Lektüre der Quellen wird klar, dass es sich nicht um ein rein historisches Phänomen handelt. Die braun-roten Verschmelzungsprozesse in Osteuropa, die Anfälligkeit ehemaliger Kommunisten für Nationalismus und Antisemitismus in Russland, aber auch die Programmatik der NPD bei ihren Wahlkämpfen in Ostdeutschland lassen eine Vermischung klassischer sozialistischer und rechtsextremer Ideologieelemente erkennen. Die Geschichte des „Aufbruch“ kann allen postsozialistischen Bewegungen, die sich aus taktischen und populistischen Gründen ins rechte Fahrwasser begeben, als Warnung dienen: Rechtsextremer Populismus führt auf eine abschüssige Bahn und nutzt am Ende nur denen, die man zersetzen und bekämpfen wollte. Insofern hat der Reprint des „Aufbruch“ einen durchaus aktuellen Bezug.
Als spektakulärer Erfolg der antifaschistischen Zersetzungsstrategie wurde im Jahre 1931 der Übertritt des nationalsozialistischen Reichswehroffiziers Richard Scheringer zur KPD gefeiert. Scheringer war als nationalsozialistischer Aktivist in der Reichswehr wegen Hochverrates zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Bei seinem Prozess war Hitler als Zeuge aufgerufen und leistete den in der NS-Bewegung umstritten „Legalitätseid“, er betonte, die NSDAP wolle mit verfassungsmäßigen Mitteln an die Macht kommen. Scheringer wurde von kommunistischen Mithäftlingen überzeugt, sich ihrer Bewegung anzuschließen. Seine von Hans Kippenberger am 19. März 1931 im Reichstag verlesene Erklärung sorgte für Aufsehen.
Als im April in der Berliner SA eine Revolte gegen den „legalistischen“ Kurs der NSDAP ausbrach, rief Scheringer die Rebellen auf „den Sprung ins Lager des siegreichen Kommunismus zu wagen“. Mit der Gründung des „Aufbruch“ sollte der erwartete Massenübertritt vorbereitet werden. Ehemalige NSDAP-Mitglieder, Polizisten und Militärs führten in der Zeitschrift das Wort.
Mit dem Einstieg des prominenten ehemaligen Freikorpsführer Beppo Römer gewann der „Aufbruch“ 1932 an Auflage und Zuspruch. Zentraler außenpolitischer Argumentationspunkt war das Plädoyer für ein Bündnis mit der Sowjetunion. Nur so könne der Versailler Vertrag ausgehebelt werden, nur so sei ein Vorgehen gegen Frankreich und Polen erfolgversprechend.
Im Zentrum der innenpolitischen Argumentation stand der Vorwurf, die NSDAP-Führung meinte es nicht ernst mit sozialen und revolutionären Inhalten, vielmehr verrate sie das revolutionäre Potential der Partei an die Großindustriellen und Reaktionären. Die Zersetzungsarbeit des „Aufbruch“ konzentrierte sich besonders auf die SA. An sie richten sich zahlreiche Aufrufe, aber auch die konspirativ produzierten oppositionellen SA-Zeitungen.
Auch sollte der ideologische Einfluss auf staatstragende Kreise, die die KPD als klassische Umsturzpartei nie erreicht hätte, vergrößert werden. Militärisches Fachwissen, Zugang zu Waffen und militärische Fachleute sollten für den Aufstandsfall gewonnen werden.
Hans Kippenberger, Heinz Neumann und andere KPD-Funktionäre engagierten sich im Sinne einer militanten und linksradikalen Parteipolitik. Sie beinhaltete gleichzeitigen Kampf gegen SPD und NSDAP und eine militante Vorbereitung auf die „letzte“ Krise des Kapitalismus, die zum revolutionären Machtgewinn der Kommunisten führen sollte.
Für eine realistische Macht- und revolutionsorientierte Politik fehlten die Verbindungen zu den Sanktionsmitteln der Exekutive. Bürokratie, Militär und Polizei waren weitgehend frei von kommunistischen Einflüssen. Genau diese Gruppen hatte die Scheringer-Bewegung mit dem „Aufbruch“ im Visier. Kippenberger wollte mit seinem konspirativen „Aufbruch“-Projekt die Partei gemäß ihres revolutionären Anspruches handlungsfähiger machen. Das Projekt des Aufbruchs, den politischen Gegner durch einen ideologischen Brückenbau zu zersetzen und einen Teil seiner Anhänger zu gewinnen, mag heute als abenteuerliche Strategie erscheinen. Aus der zeitgenössischen, kommunistischen Weltsicht schien sie jedoch erfolgversprechend zu sein. Dazu trugen auch selbst produzierte Täuschungen bei, die typische Merkmale der kommunistischen Ideologie waren. So bildeten der „Aufbruch“ und die „oppositionellen“ SA-Zeitungen ein selbstreferentielles System: Das Erscheinen der „falschen“ SA-Zeitungen wurde im „Aufbruch“ als Erfolg der eigenen Zersetzungsarbeit gefeiert, während sich die SA-Zeitungen inhaltlich auf den „Aufbruch“ bezogen. Vor dem Hintergrund, dass all diese Publikationen von der Geheimabteilung der KPD, dem M-Apparat produziert und gesteuert wurden, wird deutlich, dass es sich hier um eine fiktive, simulierte politische Bewegung handelte.
Ein weiterer wichtiger Punkt war der Glaube vieler Kommunisten, sie würden quasi naturgesetzmäßig von der Verschärfung der kapitalistischen Krise profitieren, während die NSDAP mit dem Kapitalismus untergehen werde. Die ständige Zunahme des Stimmenanteils bei den Wahlen schien den Aufstieg der KPD zu beweisen, täuschte aber darüber hinweg, dass die gesellschaftliche Verankerung der Kommunisten bereits erodierte. Dieses autosuggestive Spiel mit fiktiven Medien – es erscheint am Anfang des 21. Jahrhunderts merkwürdig zeitgemäß – bestärkte die Beteiligten lediglich in ihrer ideologischen Kodierung der Realität, brachte aber keine reale SA-Rebellion ins Rollen. Die Fluktuation zwischen den extremen politischen Lagern war gering, nur wenige NSDAP-Mitglieder wechselten in der zweiten Hälfte des Jahres 1931 zur KPD, die „Aufbruch“-Bewegung umfasste wohl nie mehr als wenige Hundert Aktive und Sympathisanten. Das Medieninteresse, sorgfältig im „Aufbruch“ dokumentiert, war wohl größer als die reale politische Kraft, die hinter dem Projekt stand.
Für den Zugang einiger hundert Nationalisten durch eine entsprechende Propaganda riskierte die KPD, an ideologischer Trennschärfe gegenüber der politischen Rechten zu verlieren und die eigene Anhängerschaft durch Begriffe wie „Volksrevolution“ und „nationale Befreiung“ zu desorientieren. Hans Coppi, der bisher mit Arbeiten zur „Roten Kapelle“ und Harro Schulze-Boysen hervorgetreten ist und Susanne Römer, Tochter des „Aufbruch“-Herausgebers Beppo Römer, haben mit dem kommentierten Reprint des „Aufbruch“ eine materialreiche und kritische Publikation geschaffen, die ein Schlaglicht auf einen strategischen Irrweg des Antifaschismus in der Weimarer Republik wirft.
Autor: Christian Saehrendt
Susanne Römer / Hans Coppi (Hrsg.): „Aufbruch“. Dokumentation einer Zeitschrift zwischen den Fronten. Vollständiger Reprint der 12 Ausgaben (1931–1933). Mit einem Vorwort von Peter Steinbach. Verlag Dietmar Fölbach, Koblenz 2001, 384 Seiten, ISBN 978-3-923532-70-4 oder ISBN 3-923532-70-9, EUR 38,00.