Rezension über: |
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Christina von Braun / Ludger Heid (Hrsg.): Der ewige Judenhaß. Christlicher Antijudaismus. Deutschnationale Judenfeindlichkeit. Rassistischer Antisemitismus (= Studien zur Geistesgeschichte; Band 12). 2. verbesserte Auflage. Philo, Berlin [u. a.] 2000, 251 Seiten, ISBN 3-8257-0149-2. |
Wolfgang Benz: Bilder vom Juden. Studien zum alltäglichen Antisemitismus (= Beck’sche Reihe; 1449). C.H.Beck, München 2001, 159 Seiten, ISBN 3-406-47575-2. |
Antisemitismus bedeutet Judenfeindschaft. Das „Gefühl“ ist uralt, hat viele Facetten und speist sich seit Jahrhunderten aus den unterschiedlichsten Quellen. Einen fundierten Überblick über die Dimensionen der Judenfeindschaft bietet das Buch Der ewige Judenhaß. In fünf Beiträgen beleuchten Christina von Braun, Ludger Heid und Wolfgang Gerlach die Ursachen und Wirkungen dieses Ressentiments vom Altertum bis zum Ende der Weimarer Republik. So zeigt Wolfgang Gerlach, dass die judenfeindlichen Tendenzen ursprünglich religiös motiviert waren. Der christliche Antijudaismus basierte im wesentlichen auf der Gottessohnmord-Theorie und geht zurück bis in die Zeit der Kirchenväter. Israel wurde als ein Volk stigmatisiert, das die Gnade Christi zurückwies und ihn zudem kreuzigte. Juden waren fortab eine verwerfende Gemeinschaft von Kindermördern, Hostienschändern, Ehebrechern und Huren. Diese Argumentation folgte freilich nur einem Ziel: Den Juden musste um jeden Preis nachgewiesen werden, dass sie die Verheißung des „Alten“ Testaments verspielt hätten. An ihre Stelle rückte nunmehr die Kirche, das „neue Israel“. Diese Denkweise ist auch in der heutigen Zeit nicht überwunden. So urteilte noch 1948 der Bruderrat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dass indem Israel den Messias kreuzigte, es seine Erwählung und Bestimmung verloren habe. Auf katholischer Seite konnte die Ritualmord-Lüge an dem „Seligen Anderl vom Rinn“ erst 1994 durch bischöfliches Dekret unterbunden werden.
Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich aus der religiös motivierten Judenfeindschaft der vorherrschende Antisemitismus unserer Zeit. Die Juden wurden fortab – fälschlicherweise – als Rasse bezeichnet. Damit gingen, wie Ludger Heid und Christina von Braun anschaulich zeigen, letztlich bemerkenswerte Widersprüchlichkeiten einher. Im rassischen Antisemitismus ist der Jude zugleich extrem-männlich und feminin. Er wird verachtet, weil er Kapitalist und gleichzeitig Sozialist ist. Er ist einerseits hochintellektuell, wird aber andererseits von seinen Trieben beherrscht. Im Kaiserreich war er sowohl Kriegstreiber als auch verhasster Pazifist. Leicht lesbar und faktenreich zeichnen die Autoren ein Bild des ewigen Antisemitismus. Die Beiträge werden anschaulich ergänzt durch historisches Quellenmaterial. Auszüge aus den Traktaten Luthers, Fichtes, Chamberlains und Rosenbergs – um nur einige zu nennen – vermitteln ein authentisches Bild der jeweiligen antisemitischen Strömungen. Reichhaltiges Bildmaterial zeigt die figürliche Seite des Antisemitismus.
Einen anderen Ansatz wählt Wolfgang Benz in seinem Buch Bilder vom Juden. Studien zum alltäglichen Antisemitismus. Zwar geht auch er chronologisch vor, jedoch wählt er Fallstudien. Souverän in Ausdruck und Form zeigt er in zehn Kapiteln Antisemitismen, die von den Protokollen der Weisen von Zion über die latente Judenfeindschaft Theodor Fontanes bis hin zum aktuellen Schweizer Antisemitismus reichen. Dass die Jahrhunderte lang tradierten „Bilder vom Juden“ auch 60 Jahre nach der Shoa „fröhlich Urständ feiern“, wird nicht zuletzt an seinen Ausführungen zum Antisemitismus in der Schweiz überdeutlich. So kostümierten sich 1998 bei einem Fastnachtsumzug im Kanton Wallis Personen auf einem Wagen als orthodoxe Juden und tanzten auf einem Goldhaufen. Im gleichen Jahr gab auf der Basler Fasnacht eine Gruppe eine Vorstellung als „Vertreter des Jüdischen Weltkongresses“. Dabei brachten sie einen „Zeedel“ unter das Volk, der „in einem haarsträubenden Baseldeutsch“ Verse enthielt, in denen die wesentlichen Tätigkeitsmerkmale des „auserwählten Volkes“ mit „Erpressen, Lügen, Drohen, Bescheißen“ angegeben wurden. Das Gerichtsverfahren endete im Mai 1999 mit einem Freispruch für die 16 Angeklagten, da diese sich an nichts erinnern konnten und folglich kein Schuldiger ausfindig gemacht werden konnte. Und wie ist die aktuelle Lage in Deutschland? Ein Teil der Täter scheut nach wie vor im wahrsten Sinne des Wortes das Licht: Friedhofsschändungen und Brandanschläge auf Synagogen begehen Radau-Antisemiten vornehmlich in den Nachtstunden. Die „geistigen Brandstifter“ in Politik und Literatur hingegen suchen geradezu das Rampenlicht. In diesem Zusammenhang erweist es sich jedenfalls als grotesk, dass das neu aufgelegte Buch von Christina von Braun und Ludger Heid ursprünglich als Begleitbuch für eine dreiteilige Fernsehserie aus dem Jahre 1990 konzipiert war. Im Mai des Jahres 2002 erscheint eine Wiederholung in Deutschland durchaus gerechtfertigt – aber bitte nicht nach Mitternacht und in den Dritten Programmen.
Autorin (Rezensentin): Dr. Susanne Benöhr