Unter dem Oberbefehlshaber Adolf Hitler war das Wehrmachtführungsamt (ab 1940 Wehrmachtsführungsstab) für die Gesamtkriegsführung verantwortlich. Die für die Feldzüge der deutschen Wehrmacht notwendige Generalstabsarbeit hatte dieses Amt zu leisten. Um ihren Chef Generaloberst Alfred Jodl soll es hier gehen. Auf die Welt kam der künftige zweifache Weltkrieger am 10. Mai 1890 in Würzburg. Nachdem er bis zu seinem 13. Lebensjahr in München das Theresien Gymnasium besuchte trat Jodl 1903 in das Münchener Kadettenkorps ein. Wegen schwankender Schulleistungen blieb er dort 1906 sitzen sodass er erst mit 20 Jahren das Abitur machte, das war dann jedoch einer der Besten. Danach entschied sich der militärbegeisterte junge Mann für den Offiziersberuf, was für ihn schlussendlich vor dem internationalen Militärgerichtstribunal in Nürnberg am 16. Oktober 1946 mit dem Tod am Strang enden sollte. Ein Charakterbild des künftigen Spitzenmilitärs der Wehrmacht ließ unter anderem folgendes Muster erkennen: „Ohne Außenseiter zu sein, war Alfred Jodl persönlich sehr zurückhaltend, ruhig und beherrscht“. (…) Spätere Vorgesetzte beurteilten den „kommenden Mann“ (General Wilhelm Adam) als „ruhigen, sachlichen, verlässlichen Arbeiter“, wie auch als selbständigen und selbstbewussten Charakter mit guten Umgangsformen, der sich in Gesellschaft auffällig zurückhielt, ohne dabei unsicher zu wirken“ (siehe Guido Knopp, Hitlers Manager, Bertelsmann Verlag 2004, Seite 148).
Im Juli 1910 wurde der junge Mann beginnend als Fähnrich Uniformträger. Dies zuerst im 4. Feldartillerie Regiment König in Augsburg, Von 1912 bis 1914 ging es auf die Schulbank der Kriegsschule in München. Deren Abschluss mündete im Oktober 1912 in seine Ernennung zum Leutnant. Den Ersten Weltkrieg erlebte der junge Offizier in verschiedenen Truppen – und Stabsverwendungen. Teilgenommen hat er an der Schlacht bei Saarburg (August 1914). Dort zog er sich eine Verwundung des rechten Oberschenkels zu, die ihn bis 1915 ins Lazarett versetzte. Zum Oberleutnant befördert verschlug es ihn 1916 an die Ostfront, in das 72. ungarische Feldkanonen Regiment. Anfang 1918 wechselte der Batterieoffizier wieder an die Westfront, diesmal in den Generalstab. Mehrfach verwundet, wobei er beinahe ein Bein verlor, sowie mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse geschmückt, kehrte Jodl aus seinem ersten Krieg zurück. Ganz im Gegensatz zu vielen Kriegsheimkehrern trauerte er nicht dem zerbrochenen Kaiserreich nach. Als „Vernunftrepublikaner“ setzte er sogar gewisse Hoffnungen in die SPD. Im Nürnberger Prozess sollte Jodl dazu aussagen: „Ich habe dieser Republik ehrlich, meinem Eide getreu, ohne jeden Vorbehalt gedient. Wenn ich das nicht gekonnt hätte, dann hätte ich meinen Abschied genommen“.
Eigentlich wollte Jodl nach diesem Kriegserlebnis Medizin studieren. Aber sein zukünftiger Lebenslauf sollte weiterhin in militärischen Bahnen verlaufen. Maßgeblich durch seine hervorragenden Leistungen im vergangen Krieg fand er eine weitere Verwendung im 100.000 Mann Heer der Reichswehr. In der Folge tat er Dienst in Artillerieregimentern. 1921 wurde Jodl zum Hauptmann befördert und begann in München eine Führergehilfenausbildung I, was im Grunde eine getarnte Generalstabsausbildung war, die der Reichswehr nach dem Versailler Vertrag eigentlich verboten war. Er schloss sie jedenfalls als einer der Jahrgangsbesten ab, 1923 setzte er in Berlin seine Generalstabsausbildung fort (Führergehilfenausbildung II). Im Mai 1924 ereilte Jodl der Ruf ins Reichswehrministerium. Doch schon im Oktober wurde er als Stabsoffizier zur 7.Bayerischen Division nach München abkommandiert, wo er bis 1927 tätig war.
Danach folgten vier Jahre (1928 – 1932) militärischer Lehrtätigkeit; Taktik und Kriegsgeschichte. Aus dieser Zeit, da er selbst für die Heranbildung des Generalstabsnachwuchses verantwortlich zeichnete wird folgendes berichtet: „Der Lehrende unterrichtete eindringlich, mit zwingender Logik. Vorträge wie Übungen zielten auf analytische Schärfe. Wurden Lösungen diskutiert, wünschte er Freimut, bei dem er Fehler nie tadelte“ (siehe Bodo Scheurig, Alfred Jodl Gehorsam und Verhängnis, Siegfried Bublies Verlag, Seite 18).
Inzwischen zum Major befördert, wurde er 1932 zum Gruppenleiter der Operationsabteilung im Truppenamt des Reichswehrministeriums ernannt. Als damaligen Chef des Truppenamtes begegnete er dort General Ludwig Beck der als Teil des militärischen Widerstands nach dem 20. Juli 1944 den Tod fand. Einst war Beck sein Förderer. Auf dessen Empfehlung gelangte der Geförderte in das Wehrmachtamt und übernahm 1935 die Leitung der Abteilung Landesverteidigung. Zu den Aufgaben von Oberst Jodl gehörte es dabei nach Maßgabe der politischen Führung operative Pläne auszuarbeiten und Manöver anzulegen. Im Grunde wurden dort alle gemeinsamen Führungs- , Organisations- , Gesetzgebungs-, und andere rein militärische Fragen bearbeitet (siehe General der Infanterie Waldemar Erfurth, Die Geschichte des deutschen Generalstabes 1918 -1945, NIKOL Verlag, Seite 176 ). Generalstabschef Beck (1935 – 1938) hatte gehofft sein „Zögling“ würde in seiner neuen Funktion in seinem Interesse die „traditionelle Vormacht des Heeres in der neuen Wehrmacht“ sichern helfen (siehe Guido Knopp, Hitlers Manager, Bertelsmann Verlag 2004, Seite 159). Jedenfalls wurde Beck von ihm dabei enttäuscht, der sich ganz seinen neuen Chefs Keitel und Blomberg fügte. Darüber kam es zum Bruch zwischen den beiden. Beck soll ihn nun sogar auf den Gängen des gemeinsamen Dienstgebäudes grußlos „übersehen“ haben. Dafür fanden dessen Sekretärin Luise von Benda und Jodl zueinander (Heirat April 1945), nachdem seine erste Frau Irma (geb. Gräfin von Bullion), mit der er seit 1913 verheiratet war, im April 1944 verstarb. Beide Ehen blieben kinderlos. Wenn man schon mal beim privaten ist: Gut durchtrainiert war er ein Freund des Sports; Leichtathletik, Turnen, Skilauf. Zudem war er Reiter und Pferdenarr. Um der militärischen Einseitigkeit zu entgehen half dem Freund von Sport und Musik auch die Beschäftigung mit Werken der Geschichte und mit der Literatur. Er hing an den landschaftlichen Schönheiten Bayerns; Chiemsee mit der Fraueninsel. Als Bergsteiger zog es ihn auf die schroffsten Alpengipfel, so Scheurig in seiner schon erwähnten Jodl Biografie „Gehorsam und Verhängnis“. Vor allem die Berge, die fehlten Jodl in Berlin, so wie auch an allen anderen seiner – bergfreien – Dienstorte. Gegenüber einer Freundin sollte Luise von Benda mit diesen Worten für den sportlichen Major schwärmen: den „Sohn der Berge“ mit den „hellen Augen in dem braun gebrannten Gesicht“ und den „gelassenen und zugleich leichten Bewegungen“. Doch kehren wir nach diesen Schwärmereien wieder zu dem Militärmann Alfred Jodl zurück.
Nach einem halben Jahr Truppendienst wurde er am 1. April 1939 Generalmajor. Besonders froh war er jedoch, dass er der „OKW – Nervenmühle“ entkommen war. Der Bergfreund freute sich ab Herbst 1939 die „schönste Gebirgsdivision“ (die 4; Salzburg über den Hochalpenkamm bis an die italienische Grenze nach Lienz und Spittal) kommandieren zu dürfen. Aber aus diesem „Glückskommando“wurde nichts. Ein Telegramm rief den Beinahe Divisionskommandeur in das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) nach Berlin zurück, damit er entsprechend der für ihn bis zum 30. September geltenden Mobilmachungsorder erneut den Chefposten im Wehrmachtführungsamt (ab 1940 Wehrmachtführungsstab) übernimmt (siehe Bodo Scheurig, Alfred Jodl Gehorsam und Verhängnis, Siegfried Bublies Verlag, Seite 91). An dieser Stelle könnte man ruhig einmal die Frage: „Was wäre wenn“ stellen. Hätte der Krieg nur ein paar Tage später begonnen dann wäre Jodl möglicherweise nie in die Nähe des Diktators Adolf Hitler gerückt, er wäre nicht sein militärischer Berater geworden und er wäre auch nicht verantwortlich für zahlreiche Kriegsverbrechen gewesen, die ihm einen Platz auf der Nürnberger Anklagebank gesichert haben. Aber es kam anders.
Der vierte Generalinspekteur der Bundeswehr, General Ulrich de Maizière (1912 – 2006), selbst als Generalstabsoffizier unter anderem Teilnehmer des Russlandfeldzuges zitiert in seinen Memoiren Major Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Vor einem neuen Generalstabslehrgang im Dezember 1941 sagte der Hitler Attentäter in spe: „Unsere Kriegsspitzengliederung während des Zweiten Weltkrieges ist noch blöder, als die befähigtsten Generalstabsoffiziere sie erfinden könnten, wenn sie den Auftrag bekämen, die unsinnigste Kriegsspitzengliederung zu erfinden“ (siehe Ulrich de Maizière, In der Pflicht, Lebensbericht eines deutschen Soldaten im 20. Jahrhundert, Herford 1989, Seite 74). Doch spätestens jetzt war Jodl selbst Teil jener „Kriegsspitzengliederung“.
Und das mit allen Widersprüchen und Rätseln die das Leben des Karriereoffiziers den Zeitgenossen wie der Nachwelt aufgab. Eine bemerkenswerte Ausnahme war zum Beispiel, dass er anders als viele seiner Kameraden die rechtsradikalen Intrigen und den Hitler Putsch von 1923 ablehnte. Und als sich seine zweite Frau Luise am Tag von Potsdam so sehr angetan von der Begegnung von Hindenburg mit Hitler zeigte, warnte er sie noch: „Fallen Sie doch bloß nicht auf diesen Scharlatan rein“. Letztlich war es Jodl selbst, der in der Folgezeit eine verhängnisvolle Wandlung durchmachte: vom Skeptiker zum treuen Gefolgsmann Hitlers, den er am 3. September 1939 während einer Frontfahrt nach Polen im Befehlszug erstmals persönlich traf. Aber sein Umdenken bezogen auf seinen Obersten Befehlshaber setzte schon mit der Rheinlandbesetzung (1938), dem Anschluss von Österreich (1938) und dem Münchener Abkommen (1938) ein. Am 9. September 1942 meldete er sogar: „Solch einen zuverlässigen Nationalsozialisten wie mich wird er (Hitler) unter den Heeresgeneralen kaum wiederfinden“. Dennoch war das Verhältnis zum Führer, dem er bis zum Schluss loyal war, nicht ungetrübt. Erinnert sei dieser Vorgang: Nachdem 1942 eine deutsche Offensive gegen die Rote Armee nach drei Monaten scheiterte, kam es zwischen den beiden Herren zu heftigen Auseinandersetzungen: Jodl bat (übrigens mehrfach) um ein Frontkommando. Hitler wollte nach dem Sieg in Stalingrad, General Friedrich Paulus zum Chef des Wehrmachtführungsstabes machen. Doch wie man weiß: Es blieb alles beim Alten.
Was für die Persönlichkeitsentwickung von Generaloberst Jodl (ab 1944) viel schwerer wog, waren seine Verstrickungen und dessen Gesamtverantwortung für einen blutigen, verbrecherischen Krieg. Obwohl er anfänglich einen Krieg gegen die Sowjetunion für ein zu großes Wagnis hielt, war er mit der Ausarbeitung der Pläne für den Überfall auf dieses Land beschäftigt. Die entsprechende Weisung 21 trägt somit auch Jodls Handschrift. Außerdem wirkte er an dem berüchtigten Kommissarbefehl mit.
Ab 1942 übernimmt er die Leitung sämtlicher Operationen gegen die Westalliierten und ist damit für die Kriegsführung von Norwegen bis Nordafrika verantwortlich. Zum Vorwurf wurde ihm die Weitergabe des völkerrechtswidrigen Kommandobefehls (1942) an die Frontbefehlshaber gemacht. Er zielte auf kleine Kommandounternehmen, deren Aufgabe es war, in besetzten Gebieten (Frankreich, Norwegen, Italien) (ohne Uniform) militärische Objekte der Besatzer zu zerstören. Die Wehrmacht war durch diesen Befehl ermächtigt Gefangene aus solchen Unternehmen der SS und dem SD zu übergeben. Zu nennen ist ferner ein Schreiben des Generals aus dem Herbst 1943 an den Wehrmachtbefehlshaber in Dänemark, worin der Wehrmacht die Deportation dänischer Juden angekündigt wird. Einwände gegen diese Maßnahme wehrte Jodl so ab: „Es geht um staatliche Notwendigkeiten“ (siehe Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Fischer, Frankfurt am Main 1982, Seite 590f).
Nach über 5000 Lagevorträgen und 6 Jahren militärischer Beratertätigkeit für Adolf Hitler, inklusive einem verheerenden Weltkrieg fand sich Jodl als einstiges Mitglied der militärischen Elite der Wehrmacht vor dem internationalen Militärtribunal in Nürnberg wieder. Dort wurde er in allen vier Punkten angeklagt. Die wesentlichen dabei: Vorbereitung eines Angriffskrieges und damit zur Entfesselung des Weltkrieges beigetragen zu haben, Kriegsverbrechen; damit Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit; unter anderem Deportationen.
In Nürnberg begann der Angeklagte mit der Niederschrift seiner Erinnerungen, er kam jedoch nur bis zu den zwanziger Jahren. Noch im August 1946 verfasste der geschlagene General eine Studie; „Ein Krieg zwischen den Westmächten und der Sowjetunion (Von Europa aus betrachtet)“. Doch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld? Dazu erklärte er in Nürnberg: „Was ich getan habe oder tun musste, kann ich reinen Gewissens vor Gott, vor der Geschichte und vor meinem Volke verantworten“. Der Autor Bodo Scheurig der Jodl Biografie (siehe Alfred Jodl Gehorsam und Verhängnis, Siegfried Bublies Verlag, Seite 410) schrieb: „Sein Gehorsamsbegriff schmiedete ihn an Galeerenketten. Nie wollte er wahrhaben, das höchste Dienststellung, höchste Verantwortung bedeute“. Das brach dem General am 16. Oktober 1946 schließlich das Genick – am Strang.
Autor: René Lindenau