
After Dreaming. Land: ARM, USA, MEX 2025. Regie: Christine Haroutounian. Sektion: Forum 2025. Datei: 202508541_3. © Mankazar Film
Christine Haroutounians Debütfilm „After Dreaming“ ist ein faszinierendes Werk, das die Zuschauer in eine Welt zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Krieg und Frieden entführt. Der Film, der seine Weltpremiere auf der Berlinale 2025 in der Sektion Forum feiert, ist eine Meditation über die Nachwirkungen des Krieges in Armenien. Von Beginn an fesselt „After Dreaming“ durch seine eindrucksvolle Bildsprache. Haroutounian, die auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, erschafft eine visuelle Landschaft, die gleichzeitig vertraut und fremd wirkt. Die kargen Landschaften Armeniens dienen als Kulisse für eine Reihe von surrealen Vignetten, die sich wie Traumsequenzen aneinanderreihen.
Im Zentrum der non-linearen Erzählung steht die Geschichte eines reisenden Brunnenbauers. Seine Reise durch ein vom Krieg gezeichnetes Land wird zum Sinnbild für die kollektive Erfahrung einer Nation, die zwischen Trauma und Hoffnung, zwischen Misstrauen und dem Wunsch nach Normalität schwankt. Die tragische Wendung, als er von Dorfbewohnern irrtümlich für einen Feind gehalten und getötet wird, verdeutlicht die anhaltende Spannung in einer Post-Konflikt-Gesellschaft.
Veronika Poghosyan liefert als Hauptdarstellerin eine überzeugende Leistung. Ihre Figur, deren genaue Rolle im Geschehen bewusst vage gehalten wird, fungiert als eine Art Führerin durch die fragmentierte Erzählung. Poghosyans Spiel vermittelt eine Palette von Emotionen – von Trauer über Wut bis hin zu vorsichtiger Hoffnung. Haroutounian verzichtet auf eine konventionelle narrative Struktur. Stattdessen präsentiert sie eine Reihe von lose verbundenen Szenen, die wie Traumfetzen oder Erinnerungssplitter wirken. Diese Herangehensweise erweist sich als geeignetes Mittel, um die desorientierte Psyche einer Gesellschaft im Umbruch zu vermitteln. Die surrealen Elemente werden zu Metaphern für die Absurdität des Krieges und die Fragilität des Friedens.
Die Kameraarbeit ist beeindruckend. Lange Einstellungen wechseln sich ab mit dynamischen Sequenzen. Besonders auffällig ist die Art und Weise, wie das Licht eingefangen wird – die Landschaften des armenischen Hochlands werden zu Momenten, in denen die Grenze zwischen Realität und Traum zu verschwimmen scheint. Der Soundtrack unterstreicht die Atmosphäre des Films. Traditionelle armenische Klänge verschmelzen mit modernen Elementen zu einer Klanglandschaft, die die Bilder unterstützt.
Ein wiederkehrendes Motiv im Film ist das Wasser – symbolisiert durch den Brunnenbauer, aber auch durch immer wieder auftauchende Bilder von Flüssen, Seen und Regen. Wasser wird hier zum Symbol für Leben, Reinigung, aber auch für die Flüchtigkeit von Erinnerungen und die Unbeständigkeit von Grenzen. „After Dreaming“ ist kein einfacher Film. Er verlangt von seinem Publikum Geduld und die Bereitschaft, sich auf eine assoziative, nicht-lineare Erzählweise einzulassen. Haroutounian gelingt es, die komplexen Gefühle und Erfahrungen einer Gesellschaft im Übergang einzufangen, ohne dabei in Klischees zu verfallen.
Der Film spricht universelle Themen an, ohne dabei seine spezifisch armenische Perspektive zu verlieren. Die Nachwirkungen von Krieg und Konflikt, die Schwierigkeit, Frieden zu finden und zu bewahren, die Sehnsucht nach Normalität in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist – all diese Themen werden auf eine Weise behandelt, die sowohl lokal verankert als auch global relevant ist.
Die internationale Koproduktion zwischen Armenien, den USA und Mexiko spiegelt sich in der visuellen und narrativen Vielfalt des Films wider. Haroutounian schöpft aus verschiedenen filmischen Traditionen, um eine eigene Stimme zu finden. Mit einer Laufzeit von 105 Minuten ist „After Dreaming“ kein überlanger Film, und doch fühlt er sich umfassend an. Jede Szene, jedes Bild ist mit Bedeutung aufgeladen, lädt zum Nachdenken und zur Interpretation ein.
Christine Haroutounians Debüt zeigt ihr Talent als Filmemacherin. Sie demonstriert ein Gespür für Bildkomposition, Rhythmus und die Kraft des Unausgesprochenen. „After Dreaming“ ist ein Film, der die Möglichkeiten des Mediums auslotet und dabei eine menschliche Geschichte erzählt. Die Premiere auf der Berlinale 2025 in der Sektion Forum ist ein passender Rahmen für diesen Film. Es ist zu hoffen, dass „After Dreaming“ von hier aus seinen Weg in die Kinos und zu einem breiteren Publikum findet. Trotz seiner Komplexität und seines künstlerischen Anspruchs hat dieser Film etwas zu sagen über die Welt, in der wir leben, über Krieg und Frieden, über Trauma und Heilung.
After Dreaming – von Christine Haroutounian (Regie, Buch) / mit Veronika Poghosyan, Davit Beybutyan / 105′ /Armenien, USA, Mexiko 2025 / Farbe / Armenisch / Untertitel: Englisch
Berlinale 2025 – Sektion Forum