Anzuzeigen ist ein Lesebuch im besten Sinn. Der Autor, von 1994 bis 2019 Direktor der Stiftung „Topographie des Terrors“ in Berlin, hat eine material- und umfangreiche Chronologie des Naziterrors zusammengetragen. Jedem der 13 dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte wird ein Kapitel gewidmet.
Hervorzuheben sind die äußerst lesenswerten Quellen, die Nachama in die Texte einfügt und auf die sich die Sachdarstellungen häufig beziehen. Es handelt sich neben instruktiven Landkarten und Statistiktabellen vor allem um zahlreiche Faksimiles der Nazi-Hetzzeitung „Völkischer Beobachter“. Das „Kampfblatt der national-sozialistischen Bewegung Großdeutschlands“ lässt neben Führerkult und Nazipropaganda und, vor allem während des Krieges, die größenwahnsinnige Überschätzung der eigenen militärischen Möglichkeiten und zwischen den Zeilen die katastrophalen Fehlentscheidungen des „Führers“ erkennen.
Kurz darstellt wird die Vorgeschichte des endgültigen Untergangs der Demokratie. Die Weimarer Republik, „Demokratie ohne Demokraten“, war durch zahlreiche Krisen gekennzeichnet. Auf die Hyperinflation nach dem verlorenen Weltkrieg 1918 und nur kurzen Jahren der wirtschaftlichem Erholung ließ die Weltwirtschaftskrise die Links- und vor allem die Rechtsextremisten immer stärker werden.
Der Terror, beginnend mit der Machtübertragung an die NSDAP durch konservative und nationalliberale Eliten 1933, erfasste sukzessive immer weitere Opferkreise, zunächst politische Gegner, dann die „rassisch“ verfolgten jüdischen Menschen oder Sinti und Roma.
Dass die Nazis bis weit in den von ihnen entfesselten verbrecherischen Krieg hinein von einer Mehrheit unterstützt wurde, ist in den unglaublichen Nazi-Erfolgen der Anfangsjahre begründet. Der Arbeitslosigkeit wurde durch Dienstpflicht (Reichsarbeitsdienst), vor allem aber einer schuldenfinanzierten Aufrüstung begegnet. Das Konkordat mit dem Vatikan sicherte Hitler 1933 die Duldung der katholischen Kirche. In der evangelischen Kirche unterstützte die große Mehrheit der „Deutschen Christen“ die Nazis. Die Rückgliederung des Saargebietes 1935, der Propagandaerfolg der Olympischen Spiele 1936, der „Anschluss“ Österreichs, das Münchener Abkommen, die widerstandslose Besetzung der Tschechoslowakei, die Blitzsiege in den ersten Kriegsjahren ließen Hitlers Größenwahn berechtigt erscheinen.
Nachamas Zeitreise durch die Jahre von 1933 bis 1945 ergibt bei aller instruktiver Detailgenauigkeit ein Gesamtbild von Aufstieg und Fall der Nationalsozialisten und damit Deutschlands: die fast widerstandslose Etablierung der totalen Diktatur, die sofort nach 1933 beginnende Spirale des Terrors gegen politische Gegner, jüdische Menschen, Sinti und Roma, die bürokratisch – industriell geplante und durchgeführte Schoa, der mit Millionen Opfern verlaufende Krieg und die bedingungslose Kapitulation.
Diese Chronologie ist ein Aufruf zum Einsatz für die Demokratie.
Autor: Friedhelm Wolski-Prenger
Nachama, Andreas : 12 Jahre – 3 Monate – 8 Tage. Andreas Nachama über die Zeit des Nationalsozialismus, Berlin/ Leipzig: Hentrich & Hentrich 2021. 380 S. Kt. 26,00