Johanna Krause: „Zweimal verfolgt. Eine Dresdner Jüdin erzählt“, Berlin 2004
Spätestens seit der Herausgabe der Tagebücher von Viktor Klemperer und dem Lebensbericht von Henny Brenner „Das Lied ist aus. Ein jüdisches Schicksal in Dresden“ (2001) sind einem großen Lesepublikum jüdische Biographien während der Nazi-Diktatur bekannt worden. 1996 erregte Freya Klier mit dem 30-minütigen Dokumentarfilm (MDR), „Johanna–Eine Dresdner Ballade“, Aufsehen. So alltäglich der Name Johanna Krause (1907 bis 2001) erscheint, desto ungewöhnlicher verlief das Dasein der gebürtigen Dresdnerin. Nach Ausstrahlung des Filmes stand die ältere Frau von „nebenan“ im Mittelpunkt. „Sogar in meinem Haus sprachen mich die Leute an. Sie waren ganz fassungslos. So eine kleine Frau, die ich war, da dachten sie gar nicht, dass da so ein Schicksal dahinter steckte.“ Jetzt sah sich Johanna Krause der Erfüllung eines lange gehegten Wunsches nahe: Eine Autobiographie soll entstehen. Für das Vorhaben gewann sie die kanadische Schriftstellerin Carolyn Gammon und Christiane Hemker. Jener kürzlich erschienene Bericht nach Tonbandprotokollen der Herausgeberinnen überzeugt durch unbegrenzte Authentizität, moralische Ehrlichkeit, grundsätzliche Wahrhaftigkeit und gewinnt durch drastische Ausdrucksweise wie Wortwahl an Lebendigkeit. Kurz: Die Aufzeichnungen geben die Gewissheit, dass manche unserer „Grundsatz-Probleme“ neben dem irrlichternden Lebensweg der Johanna Krause kleinlich erscheinen.
Als uneheliche Tochter der aus Ungarn zugewanderten Mutter und eines deutschen Geschäfts- und Lebemannes geboren, begann ihr Lebensweg am unteren Ende der sozialen Hierarchie. Sie schlug sich mit verschiedenen Hilfsarbeiten durch die Arbeitswelt. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten geriet die junge „Halbjüdin“ in die Mühlen der rassischen Verfolgung.
Die Eheschließung mit dem „arischen“ Ehemann Max wurde im Nachbarland „Tschechei“ amtlich beurkundet. Sie wohnten in einer Atelierwohnung in der Nähe des Hauptbahnhofes (Ostbahnstraße) und hofften, diese Zeit irgendwie zu überstehen. 1936 wurden die Eheleute wegen „Rassenschande“ verurteilt. Kurz nach der Entlassung schloss die Reichskulturkammer Max Krause, Kunstschlosser und –maler, wegen „politischer Unzuverlässigkeit und jüdischer Versippung“ aus. Er kann sich später dem Militärdienst entziehen, die Ehefrau durchsteht die Konzentrationslager.
Ab Anfang Mai 1946 betreiben die Beiden den „Eisenacher Hof“ (Striesen) im Parteiauftrag. Johanna Krause will den neuen Parteisekretär bedienen. „Und dann fiel mir alles, was ich in den Händen hatte, die Gläser und das Geschirr herunter auf seinen Schoß. Ich hatte den Mann, der mich umbringen wollte, erkannt.“ Vor ihr saß Herbert Ossmann, vor einem Viertel Jahrhundert gnadenloser Judenverfolger, der jetzt als Funktionär der neuen politischen Machthaber auftrat. Die Vergangenheit war unerwartet zurückgekehrt. (Erstveröffentlichung in: Sächsische Zeitung vom 16. April 2004)
Autor: Uwe Ullrich Erstveröffentlichung der Besprechung 2004 in der „Sächsischen Zeitung“.
Krause, Johanna: „Zweimal verfolgt. Eine Dresdner Jüdin erzählt“; Reihe „Bibliothek der Erinnerung“, Band 13; Metropol Verlag, Berlin 2004, gebunden, 205 Seiten, 18 Euro