Der mittlerweile 85-jährige Pavel Stránský ist ein in seiner tschechischen Heimat berühmter Schriftsteller, der international durch sein Buch „Als Boten der Opfer: Von Prag durch Theresienstadt, Auschwitz, Schwarzheide und zurück“ bekannt wurde. Im Dezember 1941 wurde er in dem Ghetto Theresienstadt (Terezín) inhaftiert, wo er seine Frau Věra heiratete. Im Dezember 1943 wurden beide nach Auschwitz deportiert. Über sein weiteres Schicksal schrieb er am 17. Juni 2005 an Shoa.de: „Am 1. Juli 1944 verließ zum ersten Mal ein ganzer Transport Auschwitz-Birkenau lebendig, nicht »durch den Schornstein«. Es waren 1.000 junge Männer, darunter ich. Wir kamen in das kleine Konzentrationslager Schwarzheide, in der Nähe von Dresden im Kreis Cottbus gelegen. Am 18. April 1945 haben wir einen Todesmarsch angetreten. Er dauerte 19 Tage und wir marschierten um die 200 Kilometer. 97 von uns starben unterwegs. In der Nacht vom 7. zum 8. Mai 1945 stoppte die SS unsere Marschkolonne auf einer Seitenstraße bei der sudetendeutschen Stadt Leitmeritz (Litměřice) und verschwand zurück nach Deutschland. Wir gingen weiter bis nach Theresienstadt“. Dort erlebte er die Befreiung. Auch seine Frau hat die KZs überlebt. Stránský ist seit langen Jahren damit beschäftigt, Menschen die Holocaust-Problematik nahezubringen und sie durch Gedenkstätten zu führen. Dabei erlebte er mitunter Unglaubliches: Ende 2004 wurde er beispielsweise im ostdeutschen Wittstock von Gesamtschülern während seines Vortrags laufend gestört und „Du bist ein Jude“ angepöbelt. Anzeigen gegen die jugendlichen Neonazis wurden erwogen, auch Stránský sagte schriftlich bei der Polizei aus, aber strafrechtliche Folgen hatte der Fall nicht. Die deutsche Schulklasse hat sich später bei Stránský brieflich entschuldigt.
Pavel Stránský ist ständiger Autor in der „Terezínská iniciativa“, einer Zeitschrift der Überlebenden von Theresienstadt (http://www.terezinstudies.cz/). Dort hat er im Februar und Mai 2005 mehrere Artikel veröffentlicht, die sich mit der Problematik der Erinnerung an den Holocaust und die Shoa beschäftigen. Weil das auch die (selbstgewählte) Aufgabe von Shoa.de ist, weil wir die Aussagen des Pragers Stránský für höchst beherzigenswert ansehen und weil es gut ist, im Medientrubel des 60. Jahrestags des Kriegsendes an gewisse Fehlentwicklungen und Gedankenlosigkeiten erinnert zu werden, haben wir diese (inhaltlich zusammengehörigen) Artikel Stránskýs in einer Übersetzung zusammengefaßt. Diese hat Pavel Stránský vorgelegen und ist von ihm gebilligt worden, denn „das Wichtigste ist der Kampf gegen das Vergessen und für die Erzieghung der jungen Generation“.
Die Ohnmacht des Wortes Shoa
Die Sprache oder das Wort ist das vollendete Verständigungs- und Ausdrucksmittel, mit welchem man auch die geheimsten Tiefen der menschlichen Seele ausloten kann. Dennoch versagt sie, sobald sie die Shoa ergründen soll. Die Shoa ist nicht zu beschreiben, nicht zu ergründen, nicht mitzuteilen.
Aus Anlaß des 60. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, das pars pro toto zum Symbol der Shoa geworden ist, wurden von Politikern, Staatsmännern und ehemaligen Gefangenen viele kluge und weihevolle Worte gesagt.
Wie schon mehrfach, bei verschiedenen Gelegenheiten und an verschiedenen Orten, betont wurde, gab es nicht die eine Shoa der sechs Millionen, sondern es waren sechs Millionen individuelle, persönliche Shoas. Einzeln kann man sie nicht ergründen, noch viel weniger in ihrer Gesamtheit. Diese Kraft hätte auch das stärkste Wort nicht.
Vielleicht ist diese Unbegreifbarkeit der Shoa eine der Ursachen der „Auschwitzlüge“, denn man kann ja relativ leicht behaupten, dass das, was mit dem landläufigen menschlichen Verständnis nicht zu erfassen ist, auch nicht gewesen sein kann.
Noch nach 60 Jahren öffnet sich in der Nacht das dreizehnte Gemach der Seele der Überlebenden. Durch dieses fliegen heraus die Dämonen des Hungers, der Angst, des Leidens und der Verzweiflung, die uns damals begleiteten. Heute tauchen sie in unglaublich neuen, absurden Stresssituationen auf.
Kürzlich, gerade zur Zeit des erwähnten 60. Jahrestags, erlebte ich eine Absurdität, die ich historisch nennen möchte.
Auschwitz, diese über 800 Jahre alte Kleinstadt, war bis zum Zweiten Weltkrieg ein Zentrum des jüdischen Glaubens und der Intelligenz in Polen. Ein Chronist hat dazu irgendwann einmal geschrieben: „Leben kann ein Jude auch in der Großstadt, aber sterben muß ein Jude in Auschwitz“.
Er ahnte ja nicht, in welch schrecklichem, apokalyptischem und nie erlebten Maße sich dieser Imperativ ungezählte Jahre später verwirklichen würde.
Lichtpunkte im Dunkeln[1]
In der Shoa – dieser größten, schrecklichsten, zuvor nie dagewesenen und von Menschen gegen Menschen erdachten, bis ins minutiöse Detail durchorganisierten Einöde – gab es jedoch vereinzelt kleine Oasen der Menschlichkeit, einzelne schwach flimmernde Lichtlein.
Ich möchte an eines dieser Lichter erinnern und mich wenigstens auf diese Weise bei einem mir unbekannten hilfsbereiten Mann bedanken. Seine Tat hat mein Überleben und das meines Freundes in hohem Maße ermöglicht.
Im Dezember 2003 suchte ich daheim nach einem Dokument und fand dabei etwas, das ich völlig vergessen hatte. Hatte ich es törichterweise vergessen wollen? Es war ein Brief, den ich heimlich aus Schwarzheide an meine christliche Tante in Prag geschickt hatte. Mit einem gewöhnlichen Bleistift war er auf Toilettenpapier geschrieben. Der Text war kaum leserlich, aber zum Glück hatte ich ihn kurz nach dem Krieg mit der Schreibmaschine abgetippt. Ich bat darin um Brot, und die drei daraufhin im KZ Schwarzheide angekommenen Pakete wurden zum wahren Rettungsring in unserer damaligen hoffnungslosen Situation.
Wie bin ich zu dem Toilettenpapier und dem Bleistift gekommen? Im Lager gab es doch weder das eine noch das andere. Gegen Kriegsende war nicht mehr die SS für unsere Bewachung zuständig, sondern alte Arbeiter aus einem Werk der BRABAG[2], für die wir wie Sklaven arbeiteten. Auch sie hatten vom Krieg längst genug, und nach den SS-Wachen waren sie eine spürbare Erleichterung.
Einer von diesen Arbeitern hat mir das Papier und den Bleistift gegeben und sich damit einer großen Gefahr ausgesetzt. Hätte die SS diesen Brief abgefangen, dann wären wir beide, der Arbeiter und ich, hingerichtet worden. Falls es wirklich einen Himmel für Gerechte und Hilfsbereite Menschen – die man wirklich mit Großbuchstaben vermerken soll – gibt, dann müsste dieser tapfere Mann meine verspätete Danksagung mit Genugtuung vernehmen.
Über die Absurdität der Erinnerungen an den Holocaust
Ich führe Reisegruppen nach Theresienstadt und Auschwitz. Mit mir fahren vor allem amerikanische Juden, aber nicht nur solche. Aus meinen eigenen drei USA-Aufenthalten habe ich mich überzeugen müssen – wenigstens glaube ich es -, dass sich das Leben vieler Amerikaner aus vertrauten, allgemein anerkannten und ständig genutzten Klischees zusammensetzt. Dazu gehören leider auch die Eintragungen im Gästebuch des Theresienstädter Museums: „Den Holocaust darf man niemals vergessen“.
Ich fürchte, ich wiederhole mich, und irgendwann habe ich es auch schon geschrieben. Ich wäre nämlich schon damit zufrieden, wenn der Holocaust nicht vorzeitig, nicht allzu rasch vergessen würde. „Niemals“ nimmt sich für mich wie ein übermäßig frommer Wunsch aus. Vermutlich wäre es bereits großartig, wenn er wenigstens von denen begriffen und verstanden würde, die von ihm gelesen oder über ihn Filme bzw. TV-Sendungen gesehen haben.
Meine Erfahrungen und besonders eine absurde Frage, die mir jüngst am 12. August 2004 gestellt wurde, geben mir in dieser Hinsicht nicht allzu viel Hoffnung.
Ich war in Theresienstadt mit zwei jüdischen Ehepaaren aus den USA, sehr gebildeten und intelligenten Leuten. Dennoch stellte mir einer der Männer diese Frage:
„Warum habt ihr zugelassen, dass man euch in den Lagern so erniedrigt und tyrannisiert? Warum habt ihr die SS-Männer nicht umgehauen?“
„Wir waren wehrlos, halbtot von der Sklavenarbeit und dem Hunger. Im besten Falle hätten sie uns augenblicklich erschossen, im schlechtesten lange gequält“.
„Aber ihr wart doch viel mehr als die, wenigstens einige hätten überlebt“.
Ich bin leider nicht besonders schlagfertig, und derartige naiven Fragen – „naiv“ ist in diesem Falle noch ein Euphemismus – überwältigen mich derart, dass ich zu einer umgehenden, genau so naiven Antwort nicht fähig bin. Besser gesagt: zu einer ähnlich naiven Frage. Unsinnige Gegenfragen fallen mir gewöhnlich erst später ein, wenn ich die zugehörige Absurdität „verdaut“ habe. Es ist zwar ungehörig, auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten, aber in Fällen wie diesem und weiteren wäre es am Platz gewesen, einen Unsinn mit einem anderen Unsinn heimzuzahlen.
Ich bin also erst nachträglich auf die adäquate Antwort-Frage gekommen:
„Warum haben die amerikanischen Juden nicht ihre Regierung veranlasst, mindestens eine halbe Million Einreisevisa für europäische Juden auszugeben? Die wären dann gewiß nicht in der Gefahr gewesen, als jüdische Gefangene in Konzentrationslagern erschossen und gequält zu werden“.
Viele besuchen das ehemalige Theresienstädter Ghetto mit irrealen Vorstellungen und verbergen ihre Enttäuschung nicht, wenn sie diese nicht erfüllt sehen. Sie möchten in die einzelnen Kasernen und Häuser schauen, dort dreistöckige Betten erblicken, auf denen (bleiben wir bei der Absurdität) noch die ärmlichen Habseligkeiten der ehemaligen Häftlinge liegen, am besten die Häftlinge selber. (Hervorhebung Pavel Stránský)
Sie äußern auch unverhohlen ihre Erbitterung darüber, dass jene Zivilisten, die von der SS Mitte 1942 aus ihren Häusern vertrieben wurden, nach dem Krieg zurückkehrten – in ihre eigenen Häuser und Wohnungen. Beruhigend wirkt nur die Versicherung, dass in Theresienstadt keine Juden mehr leben.
Irgendwann fragte mich in der Kleinen Festung (Bild, Malá pevnost war der Teil des Ghettos, in welchem Hinrichtungen stattfanden, A.d.Ü.) ein jüdisches Paar aus Texas, beide so um die Vierzig, ob die Kinder der SS-Bewacher der Kleinen Festung mit jüdischen Ghetto-Kindern gespielt hätten. An meiner Stelle antworteten die anderen Touristen und ihre zu Recht erbitterte Reaktion schlug bei dem Paar „dem Faß den Boden aus“. Es zeigte sich, dass die beiden Fragesteller über den Holocaust nichts gelesen, keinen Film oder TV-Beitrag gesehen hatten. Unglaublich, aber unverkennbar wahr.
Ein junger Amerikaner wollte von mir hören, dass einige Gefangene mit Hilfe tschechischer Polizisten auf zwei, drei Tage aus Theresienstadt geflohen und auf demselben Wege zurückgekehrt seien, weil sie nirgendwo ein Versteck fanden. Auch interessierte ihn der Hunger in Theresienstadt. Da er offenkundig ein Leser von Abenteuerbüchern und Zuschauer von TV-Science-fiction war, hat er das eine mit dem anderen verknüpft und kam auf diesen „genialen“ Gedanken:
„Sie hätten fliehen sollen, auf der Wiese Wildkaninchen fangen und sich so retten“.
Ich mühte mich ab, ihm zu erklären, dass das nicht ging und warum nicht, aber er bestand auf seiner Sicht:
„Ich hätte es bestimmt getan!“
In Auschwitz fragte einmal ein junger Amerikaner meinen Bekannten, einen Schweizer Journalisten, der in Prag lebt:
„Was taten Ihre Advokaten? Warum haben sie nicht protestiert?“
„Gab es in Theresienstadt einen Supermarket?“, fragte mich ganz ernsthaft eine amerikanische Touristin.
Verblüfft von der Ungeheuerlichkeit der Frage und wegen meines Mangels an Schlagfertigkeit habe ich nur geantwortet, dass es so etwas nicht gab. Erst später fiel mir eine adäquate Antwort ein, die ihrer Art nach zu der gestellten Frage gepasst hätte. Sollte mir nochmals jemand diese tiefsinnige Frage stellen, dann habe ich diese Antwort parat:
„Natürlich gab es einen, es gab sie in allen Ghettos zu Zeiten des Holocaust. Leider waren es nur Supermarkets, keine Hypermarkets. Aber gelegentlich, zum Glück nur selten, war das Sortiment an französischem Käse und Wein nicht frisch und vielfältig genug. Es gab sogar Tage, an denen auf dem Markt Austern, Langusten und Kaviar fehlten“.
Ich fürchte allerdings, dass der Fragesteller den Sarkasmus der Antwort gar nicht versteht.
Aber nicht nur Amerikaner stellen gelegentlich derartige Fragen (was in ihrem Charakter liegt), ein deutscher Tourist verlangte von mir eine Bestätigung seiner Überzeugung, dass auf dem Alten Jüdischen Friedhof das Grab des Golem sei.[3]
Naive („naiv“ wiederum nur als Bezeichnung des Charakters von Fragen) Reaktionen kann man zu jeder Zeit und überall erwarten. Als ich 2000 erstmalig zu Vorträgen nach Finnland kam, machten mich die Organisatoren und Gastgeber mit einem Freund aus Helsinki bekannt, einem orthodoxen Juden. Nach einer herzlichen Begrüßung fragte Eli mich:
„Bist du orthodox?“
„Nein.“
„Dann bist du auch kein Jude.“
Wundersamerweise fiel mir damals sofort eine passende Antwort ein:
„Schade, dass du das mir sagst und nicht zu Hitler gesagt hast“.
Es wäre falsch, wenn der Leser bei meinen Ausführungen den Eindruck bekäme, dass Reiseführer es nur mit so naiven US-Touristen und Juden aus den USA zu tun hätten. Ich habe nur einige absurde Fälle zusammengestellt. Die meisten von denen, mit denen ich zusammen war, sind gebildete und kluge Leute, es ist ein Vergnügen, mit ihnen zu reisen und danach in Kontakt zu bleiben.
Gedanken eines „Zeitzeugen“ in Deutschland
Ich wurde um einen kleinen Beitrag zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs gebeten, einen möglichst klugen. Ich schüttele keine Aphorismen aus dem Ärmel und verstreue keine Weisheiten, wohin auch gehe. Ältere sind doch nur Möchtegern-Weise, aber ebenso oft auch Narren. Zudem meine ich, dass wir, die wir überlebt haben, wenigstens das moralische Recht auf die Narreteien des Alters haben, nachdem uns schon die Narreteien der Kindheit, des Heranwachsens und der Jugend auf so grausame Weise vorenthalten wurden. (Bild: Pavel und Věra Stránský in jüngeren Jahren in Prag).
Ich bin gestern aus Sachsen zurückgekommen, neben Brandenburg die größte Bastion des Neonazismus. Ich habe in Schulen der Kleinstädte Vorträge gehalten, wo wir vor 60 Jahren auf unserem Todesmarsch von Schwarzheide nach Theresienstadt Halt machten und wo zahlreiche unserer Kameraden gestorben sind. Hätte uns jemand bei Kriegsende prophezeit, dass wir noch weitere sechzig Jahre leben und einige von uns sogar Vorträge halten würden – vor den Enkeln von Millionen Verbrechern, von Dutzenden Millionen unbeteiligt Wegschauender und von einer Handvoll Tapferer – über unser bewegtes Schicksal als Angehörige einer „minderwertigen Rasse“, dann hätten wir den im höflichsten Falle „zum Teufel“ geschickt.
Als Holocaust-Überlebende waren wir uns bewusst, dass jeder Tag danach für uns ein Geschenk der besonderen Art ist. Es waren bei weitem nicht nur willkommene und angenehme Geschenke – Danaer-Geschenke waren auch darunter. Mindestens seit der Wannsee-Konferenz 1942, vermutlich aber bereits seit Hitlers Machtantritt, hatten wir eigentlich im Kampf gegen den unsympathischen Sensenmann gestanden.
In meinem Artikel über die Absurdität habe ich mich mit gewissen Aspekten von ihr beschäftigt, den tragikomischen. In letzter Zeit erlebe ich eine andere Art von Absurdität, die wesentlich weniger komisch ist. Vorträge von Überlebenden (die Deutschen nennen uns „Zeitzeugen“) in deutschen Schulen sind sicher richtig und eine höchst willkommene Ergänzung zur politischen Bildung über die schlimmsten Kapitel der Geschichte des eigenen Volks und (vielleicht) eine Sperre dagegen, dass sich so etwas wiederholt, und sei es in der mildesten Form. Die Schulleiter, ihre Stellvertreter oder die Lehrer (meist der Geschichte) stellen uns auf eine besondere Weise vor. Ich habe für diese Weise Verständnis, denn ich bin mir bewusst, dass die Zielgruppe Schüler sind, keineswegs der Vortragende. Der ist nur bloßes Mittel zum Zweck. Und so ungefähr klingt die Einführung zu unseren Vorträgen:
„Liebe Schüler, ihr habt heute die einzigartige Gelegenheit, Herrn X (Frau Y) zu hören, die euch von ihrem bewegten Geschick in der Nazi-Zeit berichten werden, der dunkelsten Periode unserer Geschichte. Hört ihnen aufmerksam und stellt Fragen, denn es ist eine der letzten Gelegenheiten, solchen Zeitzeugen persönlich zu begegnen. Bald wird es nämlich keinen von denen mehr geben“.
Einige von denen, die die Vorträge einleiten, sind sich gelegentlich wohl bewusst (die meisten gewiß nicht), wie taktlos und grobschlächtig sie uns hinstellen, denn sie reden über uns wie über den großen Panda-Bären.
Ich habe bereits – als sozusagen realistischer Optimist – irgendwo geschrieben, was ich denke über das Klischee, dass „der Holocaust niemals vergessen werden darf“. Ich wäre froh, wenn das Vergessen nicht überflüssig rasch einträte, zum Schaden kommender Generationen der Menschheit.
Bemühen wir uns entsprechend unseren Kräften und Möglichkeiten, dieses Vergessen möglichst weit hinweg zu schieben, denn dann wird es bei unseren Kindern und Enkeln liegen, damit Menschen, die zum Freizeitvergnügen auf den Mond oder andere Planeten fliegen, wissen, dass hier irgendwann einmal eine Art von großem Panda-Bär gelebt hat, der nicht das primitivste Lebewesen war.
Autor: Pavel Stránský (Prag). Übersetzung aus dem Tschechischen von Wolf Oschlies.
Anmerkungen
[1] Die folgenden Abschnitte stammen aus einer Ansprache, die Pavel Stránský am 18. April 2005 auf Deutsch in Sebnitz hielt, wo in einer Festveranstaltung des 60. Jahrestags des Todesmarsches gedacht wurde, dessen Umstände in der Einleitung erwähnt sind.
[2] Zu den für die Kriegswirtschaft bedeutenden Konzernen gehörte die Braunkohle-Benzin AG (BRABAG), die synthetischen Treibstoff aus Braunkohle herstellte und damit die Kriegsmaschinerie unabhängig von Rohstofflieferungen aus dem Ausland machen sollte. Die Reichsregierung hatte den Zusammenschluß bedeutender Kohlewerke zur BRABAG bereits 1934 im Zuge der Zwangskartellierung der deutschen Wirtschaft verordnet, und als dritte Anlage dieses Konzerns entstand 1935 das BRABAG-Werk Schwarzheide. Die BRABAG wurde zu einem der größten „Arbeitgeber“ von KZ-Häftlingen. www.laehnemann.de/auschwitz/seite13.htm
[3] Laut einer alten Prager Legende soll Rabbi Loew (Juda Löew ben Bezalel, um 1525 – 1609), den Golem geschaffen haben, einen künstlichen Menschen aus Lehm, und diesen zum Leben erweckt haben. Auf dem genannten Friedhof ist das Grab von Rabbi Löw.