Nachdem er die visuellen Qualitäten von Andrei Tarkovsky und Sharunas Bartas in sich aufgesogen hat, liefert „Natural Light“-Regisseur Dénes Nagy genau die Art von Weltkriegsfilm in den Wäldern, die man sich von einem Regiedebütanten vorstellen könnte, der von diesen Meistern begeistert ist. Technisch tadellos und streng an einer Ästhetik festhaltend, die darauf ausgelegt ist, den Zuschauer auf Armlänge zu halten, ist der Film so sehr darauf bedacht, das unbewegliche Gesicht des Soldaten-Protagonisten in den Vordergrund zu stellen, so entschlossen, ihm ein aalglattes Profil zu verleihen, dass Nagy auf einen der wichtigsten Faktoren einer Geschichte verzichtet: menschliche Emotionen. Zuschauer, die kalte, akribische Aufnahmen mögen, in denen Menschen die gleichen Attribute wie Landschaften zugewiesen werden, werden in diesem Film Elemente finden, die ganz nach ihrem Geschmack sind. Auf filmemacherischer Ebene gibt der Film durchaus viel her, doch „Natural Light“ verströmt keinerlei Wärme und vermittelt dem Zuschauer keine Einblicke in die Schrecken der menschlichen Abgründe in Kriegszeiten. Dieses Fehlen der Emotionen könnte dem ein oder anderen Zuschauer zu viel sein – oder doch zu wenig?
Während des Zweiten Weltkriegs patrouillierten Tausende ungarischer Soldaten auf der Seite der Achsenmächte in weiten Teilen der besetzten Sowjetunion, um die aufständischen Partisanen im Auge zu behalten. In dieser Umgebung zeigen die Bauern eine aktive Verachtung für die militärischen Eindringlinge, die sich in ihr entbehrungsreiches Leben eingemischt haben, und die Soldaten sind stets auf der Hut vor Wilderei und Aufständen. Der Unteroffizier István Semetka (Ferenc Szabó) ist da, um seinen Job zu machen, nicht mehr und nicht weniger. Sein müdes, statisches Gesicht lässt vermuten, dass er schon viel Leid gesehen hat, und nach acht Monaten ohne Urlaub ist er zwar existenziell erschöpft, aber immer noch ein zuverlässiges Rädchen im Getriebe des Militärs. Doch im Gegensatz zu den meisten Soldaten ist Semetka nicht tyrannisch oder beleidigend, und als er der Spur eines gestohlenen Stück Käses folgt, geht er der Sache zwar nach, meldet den Verstoß aber nicht. Seltsam ist allerdings, dass Semetka, als er einen Eimer mit üppigen Waldbeeren als Gegenleistung dafür erhält, dass er den kleinen Dieb nicht verhaftet, diesen zwar annimmt, den Inhalt aber nach dem Verlassen des Hauses auf den Boden wirft (niemand würde in Kriegszeiten ein so kostbares Geschenk verschwenden, also ist die einzig denkbare Erklärung für seine Aktion, dass die leuchtend rote Farbe die Ästhetik des Films verletzt hat). Als sein Kommandeur in einem Hinterhalt getötet wird, übernimmt er das Kommando über die Einheit, bis Ablösung kommt.
Irgendwann erfahren wir, dass Semetka eine lebende Mutter und einen „feinen, großen Sohn“ hat, aber das ist auch schon alles, was wir über seinen Hintergrund wissen. Nagy hält bewusst alle weiteren Informationen zurück und will, dass der Zuschauer alles aus dem Setting und dem undurchschaubaren Gesicht von Semetka abliest. Abgesehen von seinem starren Stoizismus ist alles, was wir von dieser unnachgiebigen Figur spüren, dass der Krieg noch nicht das Quäntchen Menschlichkeit zerstört hat, das tief in seiner erschöpften Seele steckt. Nach dem Hinterhalt hat er den Auftrag, die in einer Scheune zusammengepferchten Dorfbewohner zu bewachen. Auf Semetka kann man sich verlassen, dass er sich an die Einsatzregeln hält, nicht aber auf den neu eingetroffenen Hauptfeldwebel Matyas Koleszár (László Bajkó).
Als Zuschauer sollten wir vermutlich Abscheu vor dem bevorstehenden Kriegsverbrechen empfinden, aber es wird so überdeutlich gezeigt, dass kein echtes Gefühl des Grauens aufkommt, was auch daran liegt, dass Nagy sich hartnäckig dagegen sträubt, irgendwelche Emotionen aufkommen zu lassen. Die unverminderte Gleichförmigkeit des diffusen Lichts, das kaum zwischen Dämmerung und Halbdunkel changiert, in Kombination mit der Geschlossenheit der kahlen Birkenwälder, die sich manchmal wie riesige Käfige anfühlen, schaffen eine abstumpfende Umgebung, die lange vor dem vermeintlichen Höhepunkt des Films zum Teil sogar ermüdend wirkt. Es sind die augenscheinlich kleinen Gesten mit großer Wirkung, die in dieser Produktion das Potenzial dafür haben, Tränen in den Augenwinkeln der Zuschauer hervorzurufen. Dieser authentisch wirkende Einblick in das Soldatenleben im Jahr 1943 offenbart schonungslos, was die Verrohung und der Verlust des Regelwerks zivilisatorischen Zusammenlebens für jeden Einzelnen zu bedeuten hat und was sie mit uns macht. In vielen Einstellungen scheint „Natural Light“ sein Publikum mit dem präsentierten erschütternden Verhalten (zum Teil gegen die eigenen Kameraden) bestürzen oder nachdenklich machen zu wollen. Gar nicht so einfach, verzichtet der Film doch ansonsten komplett auf das Zuschautragen von Gefühlen. Szabó ist für die Rolle des Semetka eine sehr gute Wahl. Über die gut 100minütige Laufzeit des Films zeigt uns der Film etliche Porträtansichten seines Charakters. Wirklich überraschend ist für das Publikum, dass obwohl er objektiv betrachtet immer den exakt selben Ausdruck in seinem Gesicht hat, er trotzdem dutzende Gefühlswelten damit zeigt, die im Verlauf des Films auch dem aufmerksamen Zuschauer auffallen werden. In den fast melancholisch anmutenden Blicken ins Leere kann man dabei die Kriegsmüdigkeit genauso erkennen, wie auch die Resignation angesichts seiner ausweglosen Situation mitten im Nirgendwo in einem sowjetischen Birkenwald. Zusätzlich schafft Szabó es aber dennoch mithilfe kaum wahrnehmbarer Variation des Mienenspiels seines Helden der aufkeimenden Wut oder auch seiner verletzlichen Empathie für die Bauern Ausdruck zu verleihen, die ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Damit kreiert er eine Art universellen Stellvertretersoldaten, der ein enormes Spektrum an Emotionen abdeckt, die im Kriegsalltag vorkommen und mit dem sich das Publikum, trotz allem, identifizieren kann. Angesichts der Tatsache, dass Nagy ansonsten eigentlich nicht will, dass seine Schauspieler sich selbst ausdrücken, ist es nicht weiter verwunderlich, dass er keine professionellen Schauspieler für seine Nebenrollen ausgewählt hat. Die Besetzung der russischen Dorfbewohner, die er aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dicklichen, slawischen Gesichtern, wie man sie in Brueghels Darstellungen des primitiven Bauerntums sehen könnte, ausgewählt hat, wirkt jedoch verstörend darwinistisch, als ob der Regisseur sie auf der Evolutionsskala etwas niedriger ansiedelt. In einem Film, in dem der Mangel an Ausdruck den inneren Kampf der Menschheit mit Gut und Böse vermitteln soll, ist diese Art von physiognomischer Hierarchie vielleicht dazu gedacht, eine weitere Ebene der Atmosphäre hinzuzufügen, aber es riecht nach etwas Dunklerem.
„Natural Light“ heißt der Roman aus dem Jahr 2014, aus dem Nagy einen kleinen Teil adaptiert hat, der aber eindeutig auch als Inspiration für die visuelle Gestaltung des Films diente. Von der Eröffnungseinstellung an, die ein Floß mit einem großen Elchkadaver zeigt, der auf eine einsame verschneite Flussbank zusteuert, ruft Tamás Dobos‘ majestätisch komponierte Kinematografie distanzierte Bewunderung hervor, deren Stille das Gefühl des Eingeschlossenseins noch verstärkt. Bald darauf erinnert ein rustikales Essen in einem sowjetischen Bauernhaus, das nur von einer einzelnen Gaslampe beleuchtet wird, an Gemälde aus dem 17. Jahrhundert mit erdigen, kerzenbeleuchteten Interieurs, die zwar reizvoll sind, sich aber eher wie ein nachgestelltes Tableau anfühlen, als dass sie ins Gesamtbild passen. Auch bei der Filmmusik setzt man in „Natural Light“ auf das bewährte Prinzip „Weniger ist Mehr“. Weite Teile erhalten keinerlei musikalische Untermalung, was sich dann im Laufe der Erzählung ändert, wobei die Klangkulisse sich nie dominant hervorspielt, sondern passend zur Tristess dezent im Hintergrund bleibt. Durch diese Eindampfung wird nochmals die ganze Trostlosigkeit des Films betont. Dies kommt dem Zuschauer allerdings zu gute, da er sich so noch besser in die Szenerie der frostigen Wälder irgendwo in der Sowjetunion einfühlen kann.
„Natural Light“ ist sicherlich nicht für jedermann geeignet, doch wer sich bewusst auf die langsame Darstellungsweise und eine Storyline ohne wirklichen Höhepunkt einlassen will und kann, wird mit feinsten Nuancen des menschlichen Gefühlspektrum und einer in sich sehr stimmigen filmerischen Darstellung belohnt.
Természetes fény – Natural Light
Regie: Dénes Nagy
Ungarn / Lettland / Frankreich / Deutschland 2020
103 Min · Farbe
Berlinale – Wettbewerb