Der „gute Nazi“
Wie war es möglich, dass viele Menschen die Geschichte vom „guten Nazi“ glauben konnten und ihr teilweise noch immer nachhängen? Dieser Frage geht der Film „Speer Goes to Hollywood“ nach. Albert Speer war einer der engsten Vertrauten Adolf Hitlers. Als ranghöchster Nazi und Reichsminister war er verantwortlich für den Tod von 12 Millionen Zwangsarbeitern. Bei seinem Auftrag, Berlin zur Welthauptstadt und zum Zentrum des Terrors umzugestalten, durfte ihn niemand aufhalten. Seine Pläne waren so gigantisch wie irrwitzig. Sein Vorgehen menschenverachtend eiskalt. Und dennoch denken viele Menschen bis zum heutigen Tag an den „guten Nazi“, wenn sie den Namen Albert Speer hören.
Doch wie konnte er seinen Namen reinwaschen? Hier kommt Hollywood ins Spiel. Genauer gesagt die Paramount Pictures, die schon viele große oscarprämierte Kinofilme produziert haben. Darunter „Die Zehn Gebote“, „Frühstück bei Tiffany“ oder auch „Der Pate“ und „Der Marathon-Mann“.
Die große Filmschmiede Hollywoods hatte von dem Buch „Erinnerungen“, das Albert Speer von 1946 bis 1966 schrieb, erfahren. Mit dieser Autobiografie gelang es Albert Speer nicht nur die allgemeine Leserschaft, sondern auch die Geschichtswissenschaft zu beeindrucken. Und das, obwohl er viele Verbrechen des Dritten Reichs darin verschweigt und seine eigene Beteiligung fast ganz unter den Tisch fallen lässt. Mit diesem Buch und der Einladung nach Hollywood begann die zweite Karriere eines Mannes, der heute ohne Zweifel als Massenmörder bezeichnet werden muss. Obwohl das Buch in zahlreichen Auflagen erschien und sogar als Taschenbuch erhältlich ist, enthält es bis heute weder ein Nachwort aus fremder Hand noch einen kritischen Kommentar.
Schon während der Nürnberger Prozesse konnte Albert Speer einer Todesstrafe durch taktische Finten, Manipulationen und Verzerrungen entgehen. Geschickt gelang es ihm, weniger schreckliche Taten zu gestehen, nur um die entsetzlichsten Verbrechen anderen in die Schuhe zu schieben. Er selbst wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, das er im Jahr 1966 verließ. In diesen 20 Jahren verfasste er seine Erinnerungen. Das Buch, das von Paramount als wertvoll genug angesehen wurde, um verfilmt zu werden. Was aber reizte Paramount an dieser Autobiographie?
Die Faszination des Bösen
Waren es die geplanten und teilweise fertiggestellten Monumentalbauten, die sich auch ausgezeichnet für Monumentalfilme oder zumindest monumentale Szenen eigneten? War der Wunsch auch einen „guten Nazi“ zeigen zu können, Vater des Gedankens? „Speer Goes to Hollywood“ ist kein Film, der sich auf die Person Albert Speer fokussiert. Von diesen Dokumentationen gibt es mittlerweile bereits sehr viele. „Speer Goes to Hollywood“ ist vielmehr ein Film über das Hollywood, dessen vordringliche Aufgabe es ist, Menschen zu unterhalten, in die Kinos zu locken und damit Gewinn zu machen. Oder erlagen die Verantwortlichen bei Paramount nur der Ausstrahlung und der Gewandtheit Albert Speers? War es das zweifelhafte Charisma eines der schlimmsten Kriegsverbrecher oder doch die Hoffnung, etwas Gutes im Bösen zu finden? Selbstverständlich kann es auch der Versuch gewesen sein, die vielen Grautöne zwischen der schwarz und weiß Malerei aufzudecken.
Doch wann ist eine objektive Betrachtungsweise möglich? Wo sind die vielen Grautöne in den Qualen tausender Zwangsarbeiter versteckt? Rechtfertigt die fantastischste Architektur so viel Leid und relativieren weltmännisches Auftreten und hoher Intellekt die Tat? War es die Faszination des Bösen, wie auch schon Nero und viele andere Tyrannen das Publikum faszinierten und wohlige Schauer im Bewusstsein nur Zuschauer zu sein über den Rücken laufen ließ? Alle diese Fragen stellt „Speer Goes to Hollywood“. Oft werden die Fragen nicht direkt gestellt. Aber immer ziehen sie sich wie eine Metaebene durch den ganzen Film und fressen sich in uns fest, wenn wir diese Dokumentation sehen. Auf jeden Fall ist ein Mythos immer ein erfolgversprechendes Thema für Kinofilme. So auch der Mythos des „guten Nazis“. Und wir müssen uns selbst fragen, wo unsere Grenzen gezogen sind und sie eventuell neu justieren.
Paramounts Projekt scheiterte schließlich. Es sollte unter dem aufklärerischen Titel „Inside the Third Reich“ ins Kino kommen, wurde aber Paramount doch zu riskant. Vor allem als Carol Reed, ein britischer Regisseur, der unter anderem „Der dritte Mann“ verfilmte, die Taktik Albert Speers durchschaute und dies auch Andrew Birkin mitteilte.
Speer ist und bleibt einer der Haupttäter des Dritten Reiches
Vanessa Lapa konzentrierte sich bei ihrem Film auf Tonaufzeichnungen. Es sind Aufnahmen der über Monate andauernden Gespräche, die der damalige Drehbuchautor Andrew Birkin mit Albert Speer geführt hatte. Und er zeigt, wie skrupellos Speer versuchte, seine eigene Vergangenheit mit dem Film nach seiner Autobiografie reinzuwaschen. Für den damals 26-jährigen Drehbuchautor Andrew Birkin, der später ein sehr erfolgreicher Drehbuchautor und Regisseur wurde – er schrieb unter anderem die Drehbücher zu „Der Name der Rose“ und „Das Parfüm“, war die Versuchung zu groß, einen Überlebenden der zum engsten Kreis um Adolf Hitler gehörte, ins Kino zu bringen.
Diese Gespräche zwischen Andrew Birkin (Bruder von Jane Birkin) und Albert Speer wertete Vanessa Lapa aus und bebilderte sie mit alten Filmmaterialien der Nürnberger Prozesse, mit Bildern aus Konzentrationslagern, Szenen aus den nationalsozialistischen Rüstungsschmieden aber auch seltenen Aufnahmen aus Privatarchiven, die Albert Speer vor dem Zweiten Weltkrieg aber auch als Ruheständler zeigen. Gezielt setzt sie Albert Speers Erinnerungen Tatsachen gegenüber, die sich niemals relativieren lassen.
Vanessa Lapa selbst beschreibt Albert Speers Charisma als mitverantwortlich für die Legendenbildung. Für sie liegt Speers Geheimnis in einer Art der leisen Beredsamkeit. Aber auch in seinem scharfen und schnellen Verstand sowie seinem angeborenen Talent, Menschen zu bezaubern und geschickt zu manipulieren. So wie er es auch schon mit den Richtern der Nürnberger Prozesse, mit Journalisten, Verlegern und eben auch Filmemachern tat.
Als Zuschauerin und Zuschauer gehen wir mit der Frage aus dem Kino, welchen Wert wir selbst solchen Begriffen wie Charisma zumessen möchten. Vor allem in einer Zeit, in der wieder immer mehr nach diesen charismatischen Führungspersonen gerufen wird. Und das ist Vanessa Lopa mit ihrem Film „Speer Goes to Hollywood“ hervorragend gelungen.
Speer goes Hollywood
Israel 2020, 97 Min
Regie: Vanessa Lapa
Berlinale 2020 – Sektion: Berlinale Special