Die 74. Berlinale wurde am 15. Februar 2024 mit dem irisch-belgischen Film „Small Things like these“ eröffnet. Sowohl der Regisseur Tim Mielants als auch der Hauptdarsteller Cilian Murphy, der den Film zusammen mit Ben Affleck und dem ebenfalls anwesenden Matt Damon produziert hat, waren anlässlich der Weltpremiere nach Berlin gekommen. Im Gegensatz zu den Vorjahren ist der Eröffnungsfilm nach dem Roman der irischen Schriftstellerin Claire Keegan diesmal auch Wettbewerbsbeitrag. Das Drehbuch stammt von Enda Walsh, einem langjährigen Weggefährten Cilian Murphys. Dieser ist vielen Kinogängern unter anderem durch „Oppenheimer“ ein Begriff. Weitere Hauptdarsteller sind Eileen Walsh als Ehefrau, Emily Watson als herrschsüchtige Oberin sowie Michelle Fairley und Clare Dunne.
Der Film, der den deutschen Titel „Kleine Dinge wie diese“ trägt, spielt in der Weihnachtszeit des Jahres 1985 in der von Armut geprägten irischen Kleinstadt New Ross. Sorgen, wie die Feiertage ohne großen finanziellen Aufwand verbracht werden können, sind allgegenwärtig. Die allgemeine Stimmung ist ebenso düster wie das Wetter. Graue, baufällige Häuser, enge Wohnungen und ständiger Regen prägen die Atmosphäre. Zu Beginn des 96minütigen Films hört man nur das Läuten von Kirchenglocken. Ein Symbol dafür, dass dieser Ort, so wie ganz Irland in dieser Zeit, fest in der Hand der katholischen Kirche ist.
Cilian Murphy spielt den schweigsamen, aufrichtigen Kohlenhändler Bill Furlong, Vater von fünf Töchtern. Die Wortkargheit der irischen Männer ist ein Merkmal, das auch in anderen Büchern der Schriftstellerin Claire Keegan vorkommt. Viele der von ihr geschriebenen Dialoge wurden wortwörtlich ins Drehbuch übernommen. Immer wiederkehrende Alltagsszenen präsentieren Furlong als hart arbeitenden Mann, der alles tut, um seiner Familie ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Trotz schlechter Ausgangsbedingungen als uneheliches Kind hat er es durch Fleiß zur Selbstständigkeit und einem geregelten Auskommen gebracht. Das Kloster der Stadt, das ein Heim für „gefallene Mädchen“ betreibt, ist sein wichtigster Kunde. Im streng katholischen Irland war es für Familien noch Ende des 20. Jahrhunderts eine Schande, wenn eine unverheiratete Tochter schwanger wurde. Die jungen Mädchen wurden häufig in solchen Anstalten untergebracht, wo sie ausgebeutet und nicht selten auch misshandelt wurden. Das Kloster, das von einer gefühlskalten Oberin mit strenger Hand geführt wird, beschäftigt die ledigen Mütter in der Wäscherei. Die Babys wurden ihnen weggenommen und in den meisten Fällen zur Adoption freigegeben.
Als Furlong bei einer seiner Kohlelieferungen beobachtet, wie eine Frau ihre schwangere, verzweifelte Tochter, die sich mit Händen und Füßen sträubt, an der Pforte des Klosters abgibt, denkt er an seine eigenen Töchter. Er ist zu tiefst erschüttert und ihm steigen Tränen in die Augen, da er sich plötzlich mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert sieht. Auch er wuchs ohne Vater auf und trägt den Familiennamen seiner Mutter, was seinerzeit zu Ausgrenzung führte. Immer wieder gibt es Rückblenden in seine eigene Kindheit, die der Zuschauer aber gar nicht sofort von den aktuellen Geschehnissen unterscheiden kann. Nach und nach erlebt Furlong, wie schlecht die Mädchen im Kloster von den allmächtigen Nonnen behandelt werden. Er will nicht einfach wegsehen, wie die meisten anderen Einwohner der Stadt, die komplett unter dem Einfluss der Kirche stehen. Sein Verhalten und der innere Konflikt sind durch die eigenen, ähnlichen Erinnerungen schlüssig und nachvollziehbar.
Die Zuschauer sehen stets nur kurze Szenen aus dem Inneren des Klosters und zwar nur genau das, was Furlong, der selbst ein liebevoller Ehemann und Vater sowie ein freundlicher Arbeitgeber ist, bei seinen Besuchen dort sieht. Wir fahren sozusagen mit seinem Lieferwagen mit, denn die Kamera ist fest hinter der Fahrerkabine montiert. Je mehr sich von den Missständen und dem Elend offenbart, desto länger dauert Furlongs abendliches Ritual des Händewaschens. Er muss sich entscheiden, ob er einfach schweigt oder sich gegen die ganze Gemeinde stellt, wo die meisten Menschen finanziell oder gesellschaftlich von der übermächtigen Kirche abhängig sind und lieber stumme, untätige Zeugen bleiben. Der Unterschied zwischen den hellen, vorweihnachtlich beleuchteten Wohnzimmern und Schaufenstern und den Mädchen im Konvent, die bei eisigen Temperaturen im dunklen Keller eingesperrt werden, ist bedrückend. Während des Weihnachtsgottesdienstes im Kloster spricht die Mutter Oberin von „Der Herr ist Mitgefühl und Liebe“ – der blanke Hohn angesichts der grausamen Zustände unter ihrem Dach.
Cilian Murphy produzierte den Film „Small Things like these“ zusammen mit Matt Damon und Ben Affleck. Es ist eine Geschichte über Zivilcourage, Empathie und Menschlichkeit. Der Film setzt ein Zeichen dafür, gegen Ungerechtigkeiten und Missstände jederzeit und überall aufzustehen. Darauf wies auch die Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth, in ihrer Rede anlässlich der Eröffnung der Berlinale hin.
Die Magdalenen-Wäschereien, in denen ledige Mütter unter sklavenähnlichen Bedingungen schuften mussten, gehören zu den düstersten Kapiteln der römisch-katholischen Kirche in Irland. Zwischen 1820 und 1996, als endlich die letzten dieser Heime geschlossen wurden, lebten dort rund 30.000 junge Frauen häufig gegen ihren eigenen Willen.