SERGEJ IN DER URNE beginnt, scheinbar vertraut, wie ein gängiges Sub-Genre: Boris Hars-Tschachotin ist auf Spurensuche in Europa – dem Lebensweg seines Urgroßvaters Sergej Stepanowitsch Tschachotin (1883-1973) folgend. Doch die Recherche nimmt gleich zu Beginn des Films eine unerwartete Wendung: Der Filmemacher entdeckt die Urne Sergejs auf dem Wohnzimmerschrank seines Großonkels in Paris. Die strittige Frage nach dem seit über 30 Jahren ausstehenden Begräbnis des Urgroßvaters wird zum roten Faden einer europäischen Familiensaga. Dabei gerät der Urenkel in einen Strudel familiärer Abgründe, in dem persönliches Schicksal und politische Geschichte miteinander verschwimmen. Das DOK.fest München zeichnete SERGEJ IN DER URNE 2010 als Besten Deutschsprachigen Dokumentarfilm aus.
Zwischen Wissenschaft und Politik, zwischen Berufung und Familie hin- und hergerissen, schrieb sich Sergejs Leben unauslöschbar in die Biografien seiner fünf Frauen und acht Söhne ein. Erstmals sprechen vier von ihnen über die wechselvolle Geschichte ihres Vaters; kontrovers und voller Emotionen, denn über allen Biografien steht bis heute der übergroße Schatten des Vaters. “Er will immer die Welt retten, aber was wird aus uns?!”, fragte Sergejs Sohn Eugen.
Als Mikrobiologe forschte Sergej an neuen Krebstherapien und wurde zum Wegbereiter moderner Lasertechnik. Doch als Kämpfer und schließlich Bekämpfter der Russischen Revolution, als Initiator der Widerstandskampagne „Dreipfeil gegen Hakenkreuz“ in Deutschland, als Autor des französischen Standardwerkes zur Massenpropaganda „Le viol des foules par la propagande politique“ („Die Vergewaltigung der Massen”), als Anti-Atomkraft-Aktivist und als Visionär einer internationalen Friedensgemeinschaft trieben die politischen Systeme seiner Zeit den Wissenschaftler und Familienvater immer wieder ins Exil, zum Neuanfang und in den Untergrund.