Die Wüste Sinai, eine winzige Straße, ringsum nur Sanddünen: Hier läuft Ben (Luzer Twersky) auf die Kamera zu, ein ultraorthodoxer Jude, der von der Welt bisher nichts gesehen hat außer seiner religiösen Gemeinschaft. Ausgerechnet er kämpft sich mutterseelenallein durch die Wüste, in voller Montur mit Hut, Weste und Mantel, schwer bepackt. Ben hat keine Ahnung, dass er bald verdursten wird, wenn er sein Wasser weiterhin für Waschzeremonien verschwendet. Aber wie Moses, der sein Volk vor Jahrtausenden in umgekehrter Richtung durch den Sinai führte, hat Ben einen Schutzengel. Er kommt aus dem Land des Erzfeindes, fährt einen klapprigen Pickup und hat gar keine Lust, den in seine Religion versponnenen Trottel mitzunehmen. Aber hier in der Ödnis gelten eherne Gesetze. Der Beduine Adel (Haitham Omar) darf einen Fremden nicht einfach so verrecken lassen. Obwohl sie auf den ersten Blick sehr unterschiedlich sind, entwickeln die beiden eine Freundschaft, die über ihre kulturellen Unterschiede hinausgeht.
Die Dramaturgie von „Nicht ganz koscher“ ist gut durchdacht und die Regisseure Stefan Sarazin und Peter Keller verstehen es, die Geschichte mit einem subtilen, charmanten Humor zu erzählen. Sie haben eine Fülle an Anekdoten aus der Region gesammelt und integrieren sie geschickt in die Handlung, um den Zuschauern ein tieferes Verständnis für die Kultur und Geschichte des Nahen Ostens zu vermitteln. Großen Anteil an der erfolgreichen Umsetzung dieses Vorhabens tragen auch die Schauspieler Luzer Twersky und Haitham Omar, die tolle Leistungen abliefern und den Zuschauern eine unglaubliche Authentizität vermitteln.
Der Ahnungslose und der mürrische Pragmatiker, das ist spätestens seit Laurel & Hardy („Dick und Doof“) eine erfolgversprechende Konstellation. Genauso wie das beliebte Aufeinanderprallen zweier fremder Kulturen. Aber hier geht es nicht um irgendeinen Zwist der Lebens- und Glaubensarten. Es geht um eine Art Urmutter des politischen Konflikts im Nahen Osten. Das ist nicht zum Lachen. Dass die Regisseure Stefan Sarazin und Peter Keller es trotzdem tun, ist per se schon ein Statement – eine Ermunterung, die Hoffnung nicht aufzugeben in der Sackgasse aus Religion, Politik und Machtspielchen.
Begleitet wird der liebenswerte, humorvolle und nicht selten auch emotionale Plot von einer maßgeschneiderten Kameraarbeit von Holger Jungnickel und Alexander Haßkerl, die die lebensfeindlichen, aber zugleich traumhaft schönen Landschaften der Wüste Sinai auf beeindruckende Weise einfängt. Der Film lässt die Zuschauer durch seine zauberhafte Oberfläche in eine tief empfundene Mitmenschlichkeit eintauchen, die das Zusammenleben von Juden und Arabern auf eine realistische und dennoch märchenhafte Weise darstellt.
Dass wir „Nicht ganz koscher“ überhaupt sehen können, ist nicht selbstverständlich. 15 lange Jahre hatte es von der Idee bis zur Umsetzung des Films gedauert. Eine Zeit, die von Schwierigkeiten bei der Projektentwicklung und beim Dreh geprägt war. Um ihm eine angemessene Authentizität zu verleihen, recherchierten Peter Keller und Stefan Sarazin mitunter in Ägypten, Israel und New York. Zur Verfassung des Drehbuchs zogen sie sich mit ihrem Begleiter Achmed in die Sinai-Wüste zurück. Obwohl sie den Film an den originalen Spielorten drehen wollten, mussten sie aufgrund der politischen Unruhen im Nahen Osten und dem Sturz von Mubarak in Ägypten nach Alternativen suchen. Schließlich fanden sie im Wadi Rum in Jordanien einen ähnlich geeigneten Ort. Auch die Suche nach den richtigen Partnern gestaltete sich schwierig, da sie sich ausschließlich ihrer Geschichte verpflichtet fühlten und manche potenzielle Partner ablehnten. Es dauerte einige Zeit, bis sie letztlich eine vielversprechende Kooperation mit der Produktionsfirma Enigma Film eingingen. Probleme keimten auch bei der Besetzung auf, da zunächst in Erwägung gezogene Darsteller nicht zusagten. Dies führte dazu, dass sie zweimal die Reißleine ziehen mussten und weitere Zeit verloren ging. Mit Luzer Twersky fand man dann aber doch den richtigen Mann für die Besetzung der Hauptrolle. Eine Wahl, von der Keller und Sarazin unmitelbar überzeugt waren. Die Regisseure hatten ihn zuvor in der Dokumentation „One Of Us“ gesehen, die sich um drei Aussteiger aus der chassidischen Community dreht.
„Nicht ganz koscher“ ist ein Film, der die Hoffnung auf ein besseres Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen greifbar werden lässt. Er ist ein mutiges Statement, das zeigt, dass es möglich ist, Brücken zwischen Menschen zu bauen, wenn man sich aufeinander zubewegt. Der Film überzeugt nicht nur durch seine mitreißende Geschichte und das beeindruckende Schauspiel, sondern auch durch seine Botschaft der Humanität. Der Film wurde verdient mit dem Bayerischen Filmpreis 2021 ausgezeichnet und kann sich leuchtender Fixstern am ansonsten oft dunklen deutschen Komödienhimmel nennen.