Markus Henkel: Nationalkonservative Politik und mediale Repräsentation. Oswald Spenglers politische Philosophie und Programmatik im Netzwerk der Oligarchen (1910-1925), Baden-Baden 2012.
Noch immer ist Oswald Spenglers Buchtitel „Der Untergang des Abendlandes“ aktuelles Stichwort für den gefühlten Zustand der labilen, weil stets krisengeschüttelten europäischen Verhältnisse. Sie sind zwar unterschiedlicher Natur, zeigen aber, dass die Voraussetzungen für das politisch-wirtschaftlich erhoffte und gewünschte Zusammenwachsen des Kontinents nicht erfüllt sind und trotz staatlichen Einflussnahmen noch in weiter Ferne liegen. Zu sehr differieren die nationalen Interessen und verhindern so das Einigungsbestreben.
In die Vielzahl der theoretischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahrzehnte um das Leben, Werk und Wirkung des Kulturphilosophen Spengler reiht sich Henkels Dissertation ein. Seine Studie konzentriert sich auf den Zeitraum zwischen 1910 und 1925. Im Mittelpunkt seiner Ausarbeitung stehen dessen politische Vorstellungen, Konzeptionen und Vorhaben vor Beginn des Ersten Weltkrieges, Revolutionszeit 1918/19, der die Konsolidierungsphase der Weimarer Republik folgte. Die zeitliche Eingrenzung untersucht zwei Ziele. Einerseits beschreibt Henkel den Zeitraum, in dem Spengler politisch agierte, wobei im Vordergrund steht, welche Entwicklungen und Wandlungen er durchlief. Andererseits soll nicht die politische Ideengeschichte nochmals repetiert werden, sondern sein politisches Handeln im Rahmen gesellschaftlicher Visionen und Zielsetzungen wirtschaftlicher Interessenverbände und Parteien seiner Epoche beleuchtet werden. Es ist „die Rekonstruktion eines verhängnisvollen individuellen Irrwegs, der zugleich gekennzeichnet ist vom (elementaren) Scheitern des europäischen Integrationsprozesses der Zwischenkriegszeit an den nationalen Prärogativen (Vorrecht) der zeitgenössischen Außen- und Wirtschaftspolitik der europäischen Großmächte“ (S. 37). Gleichzeitig verweist Henke darauf, dass er die Verdienste seines Protagonisten weder für die moderne Wissenschaft noch für die abendländische Philosophie sieht, sondern ausschließlich in seiner Bedeutung für die politische Kultur- und Mentalitätsgeschichte.
Grundsätzlich waren Spengler völkisch-nationale Weltanschauung oder „Gutmenschentum“ bürgerlicher Idealisten, die Vorstellungen über soziale Gerechtigkeit entwickelten, suspekt. Sein Denken war rückwärtsgewandt. Er orientierte sich immer an den Traditionen spezifisch deutscher Kulturgeschichte. Sein Ziel war die Bewahrung etablierter und nützlich erachteter Werte, welche er auf eine „natürliche“ und historisch gewachsene Ordnung zurückführte. Allerdings beseelte ihn gleichzeitig sein fester Glauben an eine dominante Dynamik in den menschlichen Beziehungen, die das Festhalten am Herkömmlichen nicht zuließ. Spengler setzte als seine Prämisse und Notwendigkeit die ständig zu erfolgende Anpassung sowie die Weiterentwicklung des politischen Systems und des politischen Handelns. Zu reagieren war auf die jeweiligen Herausforderungen und die konsequente Reaktion auf die Gegebenheiten. Revolutionär stellt sich im Rückblick Oswald Spenglers Denken insofern dar, weil der Denker keiner Autorität Respekt zollte und vom innersten Festhalten an der Vorstellung an den starken Staat und der Gestaltungskraft, die der Politik innewohnt, überzeugt war. Sein zeitweiliger Einfluss auf die Eliten, denen er sich besonders verpflichtet fühlte, der Weimarer Republik schwand zusehends als sich Mitte der Zwanziger Jahre Deutschland wirtschaftlich erholte. Vergessen war dessen Wirken nach 1933 nicht, denn mit seinem Tod im Mai 1936 begannen die ersten Gerüchte zu kursieren, er sei Opfer der Nationalsozialisten geworden, weil sie seine Schriften, insbesondere der publizistische Erfolg „Die Jahre der Entscheidung“ (1933), und Einfluss fürchteten.
Markus Henkels Dissertation gliedert sich in drei logisch aufeinander bezogene Hauptkapitel. Den Einstieg findet der Autor nach einer konzentrierten Einführung in der unumgänglichen biographisch-zeitgeschichtlichen Einordnung Oswald Spenglers vor dem Ersten Weltkrieg. Ihr folgt die Analyse der Weltanschauung seines Untersuchungsobjektes, der als Schlusspunkt der Nachvollzug des ideellen Übergangs vom „Untergangsphilosophen“ zum „konservativen Revolutionär“ folgt. Überzeugend referiert Henke für die sachliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Ideenwelt Oswald Spenglers, weil hier offensichtlich wird, wie sich zeitgeschichtlich individuelle Sichtweisen mit gesellschaftspolitischen Erfordernissen auch heute noch unübersehbar überschneiden. Lebendig bleibt Spenglers Weltsicht, der als Erfolgsprinzipien „Ideen, Autorität und Tatkraft“ für die Zukunft einforderte, da die seit Jahren anhaltende Diskussion um „Versäumnisse westlicher (Kuschel-)Pädagogik angesichts der sich abzeichnenden fernöstlichen Herausforderungen“ (S. 406) nicht zu greifbaren steten Ergebnissen führte. Warum, befindet Henke, liegt an den Eliten. Nach seiner Meinung sind sie zwar jung und leistungsbereit, zukunftsoffen am Wettbewerb orientiert, aber ziemlich ungebildet und vollkommen traditionslos.
Autor: Uwe Ullrich
Henkel, Markus: Nationalkonservative Politik und mediale Repräsentation. Oswald Spenglers politische Philosophie und Programmatik im Netzwerk der Oligarchen (1910-1925), Reihe: Würzburger Universitätsschriften zu Geschichte und Politik, Band 16; Baden-Baden 2012; 504 Seiten, 89 Euro