
Marighella – von Wagner Moura. © O2 Filmes
In dem rund zweieinhalbstündigen Film „Marighella“ beleuchtet der Regisseur Wagner Moura (auch bekannt als Schauspieler aus der Netflix-Serie „Narcos“) das Leben des brasilianischen Revolutionärs Carlos Marighella. Internationale Bekanntheit erlangte Carlos Marighella ab dem Ende der 1960er, als das von ihm verfasste „Minihandbuch des Stadtguerilleros“ Verbreitung fand. Das stark kommunistisch geprägte Werk inspirierte damals viele revolutionäre und terroristische Bewegungen – wie etwa in Deutschland die „Rote Armee Fraktion“.
Der Spielfilm setzt zu dem Zeitpunkt an, an dem der brasilianische Politiker den Schritt zur Radikalisierung wagte – vorausgegangen war ein Militärputsch, der in eine Diktatur mündete und Aktivisten wie Marighella veranlasste, aus dem Untergrund gegen die Unterdrückungsherrschaft zum Kampf aufzurufen.
So beginnt der Film – nach einer Art Geschichtsstunde als Prolog, in dem die vorausgegangenen Geschehnisse zusammengefasst werden – mit der actionreichen Darstellung eines Zugüberfalls: Carlos Marighella (dargestellt vom Schauspieler und Musiker Seu Jorge) ist in dieser Szene der Anführer einer jungen Guerilla-Truppe, die er trotz aller Hektik und Nervosität, die seine Kämpfer an den Tag legen, bedächtig und kontrolliert durch das Geschehen lenkt.
Auf rasante Passagen lässt der Regisseur im Verlauf des Films regelmäßig Szenen mit ausführlichen Dialogen und Monologen folgen. In ihnen gewährt er dem Zuschauer Einblicke in die Denkweisen des Revolutionärs. Dabei wird Carlos Marighella überaus häufig in Nahaufnahmen ab den Schultern aufwärts gezeigt, was dem Zuschauer ermöglichen soll, mit dem Charakter der Hauptfigur eine gewisse emotionale Nähe aufzubauen. So entsteht im Laufe des Films mehr und mehr der Eindruck, dass Wagner Moura den Aktivisten glorifizieren und ihm ein animiertes Denkmal setzen möchte – was angesichts seines Einflusses auf die Gewaltbereitschaft von Widerstandskämpfern in aller Welt durchaus als fragwürdig angesehen werden kann.
Deutlich wird die Zweischneidigkeit dieser Absicht an Aussagen wie „Wir sind keine Terroristen, sondern Revolutionäre“, geäußert gegenüber Geiseln bei einem Banküberfall, die Marighellas Gesinnung widerspiegeln soll. Eine ausreichend kritische Auseinandersetzung mit solcherlei Statements lässt der Film jedoch vermissen.
Parallelen und Gemeinsamkeiten zu anderen revolutionären Persönlichkeiten Südamerikas durchdringen den Film; das Wirken des Rebellen Che Guevara etwa dient Marighella als Initialzündung und Ansporn für seine eigenen Aktionen.
Die historischen Ereignisse rund um das revolutionäre Geschehen in Brasilien der 1960er Jahre liefern dem Film – wie es sich gehört – einen überzeugenden Widersacher. So wird den Guerilla-Kämpfern der polizeiliche Ermittler Lúcio (Bruno Gagliasso) als gnadenloser Verfolger entgegengesetzt. Die Szenen, in denen er das Geschehen bestimmt, sind passenderweise von schonungsloser Grausamkeit geprägt – z.B. wenn er einen der Revolutionäre erst mit Elektroschocks foltert, und ihn dann brutal niederschlägt. „Da geht er hin, der Patriot“, kommentiert er zynisch.
Doch nicht allein die persönlichen Gegner setzen alles daran, Marighellas Bewegung auszubremsen; es ist, und das gibt dem Film dann doch Aktualität, ein System, das mit Korruption und Zensur keine Mühen scheut, das revolutionäre Potenzial in der Bevölkerung zum Erlöschen zu bringen. Wo anfangs die Forderungen nach Gerechtigkeit und Menschenwürde stehen, mündet das Engagement immer mehr in Gewalt und Terror.
Dennoch überwiegt in dem Film die Darstellung der Titelfigur als Held. Dass Marighella im Jahr 1964 ermordet wurde, als er in einen Hinterhalt der Polizei geriet, trägt zu dieser Mystifizierung bei.
Dargestellt wird das Ende des Aktivisten, indem Regisseur Moura ihn in einem Kugelhagel sterben lässt – einem der gewaltsamsten Symbole brutaler Machtausübung. In den darauf folgenden Szenen sieht der Zuschauer, dass Marighellas Tod jedoch nicht zur Folge hat, dass seine Anhänger aufgeben: Sein Sohn schwimmt ins Meer und eine Verbündete deckt sich mit Waffen ein. Die Aussageabsicht hinter diesen Passagen – dass auch die Ermordung der Gallionsfigur einer guten Sache dessen Anhänger nicht zum Aufgeben zwingen kann – ist zwar eindeutig, aber dadurch gleichermaßen einfältig.
Selbstverständlich sind Themen wie Politische Gewalt, Widerstand und Aktivismus immer schwierig darzustellen, wenn der Anspruch besteht, einen Spielfilm zu drehen. Die Balance zwischen dramatischem Spannungsbogen, historischer Wahrheit und filmischer Interpretation herzustellen, gelingt Dokumentarfilmen sicher wesentlich leichter. Darum muss man im Fall von Marighella schlicht akzeptieren, dass Wagner Moura ihm seine subjektive Sichtweise auferlegt hat. Er tut dies zumindest so deutlich und unverkennbar, dass kritische Zuschauer die Simplifizierung erkennen können – um nach dem Anschauen genau darüber zu diskutieren und sich tiefer und differenzierter mit dem Thema zu beschäftigen.
Marighella
Regie: Wagner Moura
Brasilien 2019, Portugiesisch
155 Min · Farbe
Berlinale – Wettbewerb – außer Konkurrenz