In Sam Garbarskis Film Der Tango der Rashevskis geht es um nicht weniger als um Liebe, Tradition, Religion und Toleranz in einer jüdischen Familie in Frankreich. Das Drehbuch stammt von Philippe Blasband und basiert auf einer Idee des Regisseurs. Diese französisch-belgische-luxemburgische Koproduktion kommt mit zweijähriger Verspätung im Original mit deutschen Untertiteln in die hiesigen Kinos. Obgleich die thematische Nähe zu dem kürzlich angelaufenen Dani Levy-Film auf der Hand liegt, könnte der stilistische Unterschied kaum größer sein. Sam Garbarski, der sich mit Werbe- und Kurzfilmen einen Namen machte, hat in seinem ersten Spielfilm auf eine ruhige Erzählweise mit langen Einstellungen gesetzt.
Rosa, eine alte Frau und Großmutter, möchte ihren Mann Shmouel wiedersehen, der sie und ihre beiden Söhne vor vielen Jahren in Frankreich zurückgelassen hatte, um fortan als orthodoxer Rabbiner in der Wüste Israels zu leben. Rosa beauftragt Dolfo, Shmouels Bruder, ihn in Israel aufzusuchen und ihm ihren Wunsch zu überbringen. Doch Rosa ist für Shmouel nur noch eine Goj, die das Judentum nicht lebt und er lehnt es ab nach Frankreich zu kommen, denn Israel ist seiner Überzeugung nach der einzig akzeptable Ort auf der Welt für Juden. Bei der Rückkehr Dolfos ist Rosa tot. Sie hat testamentarisch eine Bestattung auf dem jüdischen Friedhof verfügt. Der Tod Rosas wird für die Familie zum Katalysator und ihre Beerdigung dient den sehr unterschiedlichen Charakteren zur Besinnung über ihr Verhältnis zur jüdischen Tradition. Wird nicht alles lächerlich angesichts des Todes, wie es Thomas Bernhardt einmal formulierte? In diesem Sinne lässt Garbarski sein Personal sehr unterschiedliche Entwicklungen durchmachen, die manchmal komisch, tragikkomisch oder auch nur skurril sind, wenn z.B. die einzige Nichtjüdin am Tisch auf die Einhaltung der Pessachzeremonie pocht.
Da ist Antoine, gespielt von Hippolyte Girardot, der in Nina verliebt ist, verkörpert von Tania Garbarski, der Tochter des Regisseurs, die sich danach sehnt, eine traditionell jüdische Familie zu gründen. Ihr Unglück, dass sie selbst – strenggenommen – nicht als Jüdin gilt, da sie nicht von einer jüdischen Mutter stammt und Antoine gleich gar kein Jude ist. Doch Antoines Verlangen nach Nina ist so stark, dass er, um sein Ziel zu erreichen, zur Konversion entschlossen ist, auch wenn er danach jüdischer sei als seine zukünftige Frau, wie ihm ein Rabbi erklärt. Auch eine Beschneidung lässt Antoine über sich ergehen, obwohl alle Söhne und Enkel von Rosa gar nicht mehr beschnitten sind, da Rosa immer Angst vor der Wiederkehr der Nazis hatte.
Der junge Ric, einer von Rosas Enkel, hat seinen Militärdienst in Israel sowie in den besetzten Gebieten absolviert und ist verliebt in die Palästinenserin Khadija. Er möchte sie heiraten und stößt bei ihr aus lauter Angst vor dem Konflikt auf Ablehnung. Was eigentlich zum Scheitern verurteilt ist, kann nach Irrungen und Wirrungen in der Diaspora am Ende eher gelingen.
Die beiden Söhne von Rosa hatten sich immer als sehr säkulare Juden gesehen und spüren nun, dass der Verlust der Mutter und die jüdische Trauerzeremonie an ihrem Selbstverständnis rühren.
Der Film zeigt moderne Juden in Frankreich zwischen völliger Assimilation und Säkularisierung sowie moderater Wahrung jüdischer Traditionen vor dem Hintergrund der Holocausterfahrungen der Generationen ihrer Eltern und Großeltern. Die Shoah hat die Überlebenden gespalten in Juden, die den Glaube an einen Gott völlig verloren haben und wiederum andere, die gerade deshalb zu orthodoxen Juden wurden. Der Film besteht aus vielen dieser paradoxen Geschichten, die nicht aufgelöst werden können, weil auch das Leben keine einfachen Lösungen parat hat. Doch Mensch sein bedeutet auch, den Mut aufzubringen, komplexe Probleme gelassen anzugehen. Dazu gehörte auch Rosas Mittel: ihre Liebe zum Tango, der ihr die Kraft gab, unlösbare Probleme zu meistern. Die Söhne und Enkel von Rosa besinnen sich auf diese überzeugende Kraft von Erotik und Sinnlichkeit und tanzen den Tango.
Sam Garbarski gelingen sehr zarte und anrührende Szenen mit leisem Humor und machen den Film zu einer sehenswerten Hommage an die Liebe in Zeiten von Kälte und Krieg.
Autor: Matthias Reichelt
Der Tango der Rashevskis von Sam Garbarski
Frankreich, Belgien, Luxemburg, 2002
Regie: Sam Garbarski
100 min (OmU)