Humanist, Gelehrter und Diplomat
„Wer die Welt verändern will, der muss bei der Sprache anfangen“

Johannes Reuchlin. Holzschnittdarstellung aus einem Einblattdruck von 1516. anonym, Johannes-Reuchlin-1516, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons.
Als Johannes Reuchlin (1455-1522) vor 500 Jahren in Stuttgart starb, hinterließ er nicht nur eine große Bibliothek, er hinterließ ein epochales Werk. Aus dieser Quelle des Geistes schöpfen wir bis auf den heutigen Tag.
Da ist die „Einführung in die hebräische Sprache“, „De rudimentis hebraicis“ zu nennen. Inspiriert vom Geist der Zeit und dem Aufruf: Ad fontes – „zu den Quellen“ , widmete er sich in seinen Studien mit großem Eifer der Liebe zur Heiligen Schrift. Er suchte sich unter jüdischen Gelehrten Lehrer, die ihn in die Grammatik des Hebräischen einführten. Nach intensiven Studien und harter Arbeit erschien das dreibändige Buch 1506 in einer Auflage von 1500 Exemplaren in lateinischer Sprache. Als begnadeter Forscher und Lehrer begründete er damit neben den klassischen Sprachen auch den Unterricht im Hebräischen im akademischen Raum. An der Wittenberger Universität war es Melanchthon, der von Kurfürst Friedrich dem Weise sehr bald damit beauftragt wurde.
Zu seinem größten Verdienst gehört es, dass er dem Streit um das jüdische Schrifttum nicht aus dem Wege ging, obwohl er am liebsten ein ruhiges Leben als Gelehrter geführt hätte. Mit viel Energie und Geduld vertrat er seine „billige“ Meinung vom Recht der Juden auf ihre Religion und ihr Schrifttum vor Kaiser und Papst.
Ein vom Judentum ins Christentum Konvertierter, Johannes Pfefferkorn, hatte sich von Kaiser Maximilian I. 1508 eine Erlaubnis eingeholt, dass alle jüdischen Schriften konfisziert und verbrannt werden sollten. Juden sollte es verboten werden, den Talmud weiter zu studieren und ihre Kinder in diesem Sinne zu erziehen. Ausgenommen war das Alte Testament, da es auch zur christlichen Bibel gehört.
Auf starke Proteste von Seiten der jüdischen Gemeinde hin gebot der Kaiser diesem Wüten Einhalt und forderte, dass christliche Gelehrte an den Universitäten zunächst über die Bedeutung der besagten Heiligen Schriften ein Gutachten erstellen sollten. Auch Johannes Reuchlin wurde in dieser Angelegenheit in Anspruch genommen, obwohl er von Hause aus Jurist war.
Damit nahm ein erbitterter Streit seinen Anfang, der erst viele Jahre später entschieden werden sollte. Die Gutachten der Professoren verharrten in ihrem antijüdischen Urteil. Allein das Gutachten Reuchlins argumentierte mit dem biblischen Recht und wies auf die Selbständigkeit des Judentums hin. Ein erweiterter Text seines Gutachtens von 1510 erschien später als eine selbständige Schrift unter dem Titel: „Augenspiegel“. Diese Schrift atmet einen anderen Geist und zeugt von seiner hohen Meinung über das Volk der Erwählung.
Der anfängliche Widerspruch, von den Kölner Dominikanern unterstützt, steigerte sich ins Maßlose. Die Dominikaner erwirkten eine Anklage gegen Reuchlin wegen Ketzerei.
Von jetzt ab war die gebildete Welt in zwei Lager gespalten:
in die Verteidiger Reuchlins und seine Gegner.
Der Streit wurde in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Er wurde zum ersten großen Medien ereignis in Europa. Die Humanisten reagierten mit der Waffe der legendär gewordenen „Dunkelmännerbriefen“. Mit viel Spott machten sie die Haltung der Scholastiker lächerlich. Denn sie kämpfen vergeblich gegen den Geist des Humanismus und die Sympathie derer, die den Wert der Bildung erkannt hatten.
Johannes Reuchlin berief sich in seiner Verteidigung sowohl auf das römisch-kaiserliche Recht, das kanonische und das geistlich-biblische Recht. Er argumentiert in alle Richtungen heldenhaft und dennoch gelassen.
Man müsse den Juden nicht erst erklären, was es heißt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch des Herrn Mund geht“ (5. Mose 8,3). „Denn sie sind nicht von ihrem Glauben abgefallen!“
Und zum Talmud sagt er: Dieses große Auslegungswerk ist ein schöner und guter Baum, auch wenn sich darin manches Unverständliche, vielleicht sogar Anstößige finden mag. Der Talmud ist ein außerordentlich wertvolles Dokument, das erhalten bleiben muss. Wer die Rechte studiert wird feststellen, dass den Juden das bürgerliche Recht in vollem Maße eingeräumt wird.
Nun ufert der Streit noch weiter aus, die Akte kommt bis nach Rom vor den Papst, Leo X. Dieser zeigt jedoch wenig Interesse. Erst die Unruhen um den Thesenanschlag Luthers veranlassen ihn zum Handeln und er beendet kurzerhand den Prozess. Reuchlin wird 1520 zum „ewigen Stillschweigen“ und zur Übernahme der Prozesskosten verurteilt.
Reuchlin ist es eine Genugtuung gewesen, den Weg zum Studium der heiligen Schrift im Urtext für künftige Generationen geebnet zu haben.
Der Reformator Martin Luther schrieb seinem verehrten Lehrer Reuchlin einen überschwäng lichen Dankesbrief. Denn er lernte die Sprache daraus und nutze die Grammatik und die Kommentare zum Hebräischen für die authentische Übersetzung der Bibel Alten Testaments ins Deutsche.
Josel von Rosheim (1476-1554), Rabbiner und Fürsprecher der Juden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation notierte in seinen Memoiren: „Johannes Reuchlin war einer der Weisen der Völker, durch ihn hat Gott gewirkt, ein Wunder im Wunder.“
Autorin: Beate Barwich