Hans Sarkowicz (Hrsg.): Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus (Nach einer Sendereihe des Hessischen Rundfunks). Frankfurt am Main/Leipzig 2004.
Die Aussagen von Kunstschaffenden nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes gleichen sich. Argumente wie „Davon habe ich erst jetzt erfahren“ oder „Ich bin unpolitisch“ mussten herhalten, um ihre herausragende Rolle im Kunstbetrieb der letzten zwölf Jahre zu rechtfertigen. „Nicht als Ergebnis jahrelangen Terrors, wie die Lebenslüge einer Generation nach dem Zusammenbruch des ‚Dritten Reiches’ den Nachgeborenen glauben machen wollte, sondern freudig wurden Ideologie und Herrschaft des Nationalismus angenommen. Nicht von allen, aber von einer so großen Mehrheit, dass die Machthaber sich bequem etablieren konnten“ (S. 16).
Beweggründe, warum so viele Künstler, überzeugte Parteigänger oder innerlich Distanzierte, sich gegenüber der 1933 errichteten faschistischen Diktatur wohlgefällig verhielten, versucht der Sammelband über „Hitlers Künstler“ zu erhellen, auch, welche persönlichen Sichtweisen Antrieb der Anpassung waren. Herausgeber Hans Sarkowicz, der die in Deutschland gebliebenen Schriftsteller unter die Lupe nimmt, bietet in ihm ein breit gefächertes Panorama. Die elf Beiträge widmen sich der Rolle der Propaganda, der Kulturpolitik und des Künstlers als Funktionär in der Gesellschaft, beschreiben die einzelnen Kunstgattungen und Künstler auf einem weiten Feld zwischen Architektur, Design, Film, Literatur, Malerei und Plastik, Musik, Theater sowie populärer Unterhaltung.
Mit verblüffender Ehrlichkeit verkündet im März 1933 der eben an die Schalthebel der Macht gelangte Joseph Goebbels vor den Intendanten und Direktoren der Rundfunkanstalten: „Ich verwahre mich dagegen, dass die Propaganda etwas Minderwertiges sei, denn wir säßen heute nicht in den Ministersesseln, wenn wir nicht die großen Künstler der Propaganda gewesen wären“ (S. 14). Aggressivität, Primitivität und die Inhalte dieser weltanschaulichen Werbung während der Weimarer Republik hatten frühzeitig angesehene Künstler und Schriftsteller ins Ausland fliehen lassen. Wer blieb nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933? Unentschlossene, denen intuitiv bewusst war, dass es stets eines Maßes an Opportunismus bedurfte, um in einem Staatswesen Karriere zu machen. Angepasste, welche die neuen Möglichkeiten nutzen und Lücken schließen wollten, die durch die Emigranten entstanden waren. Und – die wenigen moralisch Ehrlichen, die ihre hervorragende Position gebrauchten, um Verfolgten oder in Not Geratenen zu helfen. Dass Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zur Ausübung des Berufes nur ein Mitglied der Reichskulturkammer erlangen konnte, war vielen Künstlern nicht bewusst. „Und über Aufnahme oder Ausschluss entschied der Propagandaminister persönlich“ (S. 9). Über dessen Rolle und Auftreten im Kreis der ihm genehmen und ihm huldigenden Kunstschaffenden, über deren Beweggründe des Angepasstseins referiert Wolfgang Benz in seinem Beitrag „Über die Rolle der Propaganda“. Neben persönlicher Anerkennung erlangt die Honorarhöhe eine wesentliche Bedeutung. Die Vergünstigungen gehen jetzt vor allem an früher zu kurz Gekommene aus der zweiten Reihe. „Hitler hatte sogar einen persönlichen Fonds, aus dem er steuerfreie Dotationen in beträchtlicher Höhe“ (S. 10) verteilte. Während des Zweiten Weltkrieges plagten alte und neue Stars vor allem Sorgen um Gagenhöhen und Steuererklärungen. In den Krieg ziehen musste sowieso keiner von ihnen. „Unersetzliche Künstler“, der Volksmund nannte sie „Gottbegnadete“, sind eben nicht von der „Heimatfront“ abkömmlich.
Individuellen Schicksalen und Begebenheiten von Schriftstellern wendet sich Hans Sarkowizc zu. Im März 1933 bekamen Mitglieder der Sektion Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste eine Erklärung zur Unterschrift vorgelegt, in der sie sich zur loyalen Mitarbeit verpflichten sollten. Zu diesem Zeitpunkt waren renommierte Autoren wie Thomas Mann und Alfred Döblin schon ausgetreten, der Vorsitzende der Sektion, Heinrich Mann, bereits zum Rücktritt gezwungen worden. Die als national geltende Ricarda Huch hielt couragiert dagegen: „Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt, ist nicht mein Deutschtum. Die Zentralisierung, den Zwang, die brutalen Methoden, die Diffamierung Andersdenkender, das prahlerische Selbstlob halte ich für undeutsch und unheilvoll“ (S.177). Gern hätten die NS-Kulturbonzen sie in ihren Reihen gesehen. Doch Huch verweigerte sich. Umgekehrt gestaltete sich das Verhältnis zwischen den braunen Machthabern und dem national-konservativen Gerhart Hauptmann. Er versuchte sich anzudienen, obwohl ihn das Regime ignorierte. In ihrer Sicht verkörperte der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1912 das weltoffene und sozial engagierte Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Wenn der als moralische Instanz geltende Hauptmann das Wort für die Entscheidungen der NS-Führung ergriff, zeigte das Wirkung bei denjenigen, welche keine Faschisten waren.
Dieser Sammelband ist ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg, endlich eine repräsentative Kulturgeschichte der NS-Zeit zu schreiben. Jan-Pieter Barbian unternimmt in seiner Kultur- Politik-Betrachtung den Versuch, auf wenigen Zeilen den Gegensatz zwischen propagierter Einheitlichkeit ideologischer Leitlinien, die praktisch nur auf dem Papier stand, und der Wirklichkeit nachzuweisen. Als Protestbewegung gegen die Weimarer Republik war die NSDAP zunehmend Sammelbecken verschiedener, auch auf kulturellem Gebiet unzufriedener Wählerschichten geworden. 1928 rief Parteiideologe Alfred Rosenberg den „Kampfbund für deutsche Kultur“ ins Leben, der „gegen die in der Weimarer Republik etablierte kulturelle Moderne angetreten“ (S. 48) war. Dieser Gründung des späteren „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ (1934) war wenig öffentlicher Erfolg beschieden, polarisierte aber schon vor der Machtergreifung Künstler und Kunstinteressierte und nutzte der 1933 per Reichsgesetz errichteten Reichskulturkammer. Das Regime investiert in der Folgezeit enorme Finanzmittel in Unterhaltung und Kultur. Sie dienten unter anderem dem Ausbau des Bibliothekswesens, zahlreicher kultureller Großereignisse für Repräsentationszwecke (Woche des Deutschen Buches; Wagner-Festspiele) und inflationär gehandhabter Verleihung von Auszeichnungen und Preisen. Unterhaltungsangebote zwischen Film und Schlager, dem Rückzug aus der Wirklichkeit, nahm die Bevölkerung gern an. Sie lenkte anfangs von den wirtschaftlichen Alltagssorgen und innenpolitischen Schattenseiten des Regimes ab, später von der Deportation der jüdischen Nachbarn und während des Zweiten Weltkrieges von den stetig steigenden Gefallenenmeldungen und der sich rapide verschlechterten Versorgungslage.
Autor: Uwe Ullrich. Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft; Nummer 01/2006, Seite 84/86
Hans Sarkowicz (Hrsg.): Hitlers Künstler. Die Kultur im Dienst des Nationalsozialismus (Nach einer Sendereihe des Hessischen Rundfunks). Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 2004, 453 S.