Hannah Brinkmann: Gegen mein Gewissen, Berlin: Avant-Verlag 2020
„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Diese eigentlich unmissverständliche Bestimmung gehörte seit Gründung der Bundeswehr 1955 bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts zu den meistdiskutierten Artikeln des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Denn so eindeutig der Wortlaut klingt, so schwierig war es für junge Männer, dieses Grundrecht zurzeit des Kalten Krieges wahrzunehmen. Wer in Zeiten der allgemeinen Wehrpflicht den Wehrdienst verweigern wollte, musste sich einer nicht selten schikanösen Befragung unterwerfen, in der er seine Gewissensgründe ‚überzeugend‘ darzulegen hatte. Und das hieß in der Regel, er musste Befürworter von Bundeswehr und Wehrdienst davon überzeugen, dass ihr Denken und Handeln ethisch fragwürdig war. Nur ca. 50% aller Antragsteller wurden daher als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Die anderen unterwarfen sich, emigrierten oder zerbrachen an dem ihnen aufgezwungenen Gewissenskonflikt – wie der Pazifist Hermann Brinkmann, der 1974 Selbstmord beging. In Gegen mein Gewissen schildert die Autorin anschaulich und berührend die Geschichte ihres Onkels. Dabei beschränkt sich die Darstellung nicht auf die Biografie von Hermann Brinkmann, sondern beleuchtet auch die politische Situation in der Bundesrepublik vor allem in den 60er und 70er Jahren. Gerade hier zeigt sich, wie genau Hannah Brinkmann recherchiert hat, wenn es ihr sowohl in den Bildern wie der Sprache ihrer Graphic Novel gelingt, diese Zeit und ihre Stimmung eindrucksvoll wachzurufen. Gekonnt variiert sie die Größe der Panels, um so Abläufe zu verdeutlichen. Ebenso gezielt setzt die Autorin die Sprache ein, um Hermann Brinkmanns bedrückende Entwicklung bis zum Suizid, der nur noch sprachlos macht, zu zeigen. Überzeugend schließlich, wenn die realistischen Abbildungen wiederholt durch surreale Panels abgelöst werden, um die Ängste und Gewissensnöte Hermann Brinkmanns zu veranschaulichen. – Ein überaus lesenswertes Geschichtsbuch, das den unbedingten Respekt vor Gewissensentscheidungen auch für die heutige Zeit nachdrücklich anmahnt.
Autor: Tomas Unglaube
Hannah Brinkmann: Gegen mein Gewissen, Berlin: Avant-Verlag 2020, 232 S., ISBN 978-3-96445-040-1