Ähnlichkeit mit der Kunst der Mörder?
Linke Kritik am Berliner Holocaustmahnmal
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas – meist kurz als Holocaust-Mahnmal bezeichnet – ist mittlerweile zur touristischen Normalität geworden. Tausende besuchen das Monument täglich, viele zeigen sich bewegt und beeindruckt.
Angesichts von soviel normativer Kraft des Faktischen wirkt es fast querulantenhaft, eine Streitschrift „Gegen das Holocaustdenkmal der Berliner Republik“ zu publizieren: Ein schmales, schlichtes Bändchen, erschienen im altlinken Berliner Karin-Kramer-Verlag. Der Verfasser Hans-Ernst Mittig kommt aus dem ideologiekritischen linken Spektrum der Kunstgeschichtsschreibung und war Teilnehmer jener drei Expertenkolloquien, die im Frühjahr 1997 von den Wettbewerbsauslobern des Holocaust-Mahnmals organisiert worden waren, um die damalige Krise des Projektes zu meistern.
Mittig stellt auf plausible Weise fest, daß es eine Konkurrenz der Erinnerungsmedien und Geschichtsrelikte um die Ressource ‚öffentliche Aufmerksamkeit’ gibt. Eine Schulklasse wird sich nicht die Mühe machen, zur KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen zu fahren, wenn sie das zentral gelegene Holocaust-Mahnmal ins straff geplante Berliner Sightseeing-Programm einbauen kann. Die Konfrontation mit den Sachzeugnissen des NS-Systems sei eben „nicht dazu geeignet, eine emotionale Bindung an den Staat zu entwickeln“. Anders ein Denkmal: Neben der innenpolitischen Funktion ‚Büßen für Deutschland’ dient es der Reputation der Berliner Republik im Ausland.
Der Autor provoziert mit dem Satz, Eisenmans Denkmal könnte „bei anderer sprachlicher Zusatzinformation dem Untergang der 6. Armee bei Stalingrad gewidmet sein“. Er kann jedoch schlüssig nachweisen, daß das Holocaust-Mahnmal sowohl in der künstlerischen Form als auch in der Gebrauchsanleitung den Traditionen von konventionellen Kriegerdenkmälern der Weltkriege folgt: Die Betonblöcke schreiben die Motivgeschichte des Grabsteins fort, das ganze Areal imitiert einen Friedhof. Das Monument setze auf zeitgemäße Weise ein Gestaltungsprinzip des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge um: „Der Besucher soll zur Einkehr bei sich selbst geführt werden, nicht zu der kollektiven Kriegsgegnerschaft.“ Wie Mittig richtig beobachtet, knüpft die häufige Interpretation des Eisenmanschen Entwurfs als wogendes Kornfeld an die schwelgerische Saat- und Fruchtmetaphorik des Gefallenenkultes des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik an. Somit stehe das Denkmal in der Tradition der „Kunst der Mörder“, folgert er, Reichswehr, Wehrmacht und NS-Täter polemisch über einen Kamm scherend. Wie eine Krypta liegt der ‚Ort der Information’ unter dem Denkmal; auch hier werde der Besucher in meditativer Atmosphäre zur Einkehr animiert. Der Autor verspürt in nachvollziehbarer Weise den „peinlichen Eindruck, daß die toten Juden als Stimulans deutscher Innerlichkeit“ dienen sollen.
Mittigs Kritik legt den Schluss nahe, das Denkmalsprojekt sei mißlungen und die Erinnerungskultur entwickle sich mit ihm in eine falsche Richtung. Er verstärkt mit seinem Buch die Zweifel, ob sich zeitgenössische Kunst in Form skulpturaler Architektur bzw. architektonischer Denkmäler überhaupt zur Erinnerung an den Holocaust eignet. Mit dem Bau staatlicher Denkmäler für Opfer des Nationalsozialismus wurde ein Konzept des 19. Jahrhunderts wiederbelebt: Denkmäler mit pädagogischem Anspruch sollen die Raumkontrolle und die Diskursherrschaft des Staates oder maßgeblicher politischer Kräfte dokumentieren. Während die politische Funktion des Denkmals konstant geblieben ist, hat sich die Formensprache radikal geändert. Figurative Darstellungen in naturalistischer oder expressiver Tradition sind nahezu verschwunden; nur im ummauerten Raum der DDR hielt sich die figürliche Kunst bis 1989, weil sie Staatsdoktrin war. Neuere Denkmäler, die den Prozeß des Erinnerns thematisieren und ästhetisieren, nutzen vor allem das Raumgefühl als Bedeutungsträger. Eisenmans Denkmal für die ermordeten Juden Europas stellt dafür ein extremes Beispiel dar: Die gerasterte Anlage mit ihren schiefen Ebenen zielt auf das Körpergefühl des Besuchers; er soll desorientiert und verunsichert werden und sich damit in die Situation der NS-Opfer einfühlen können – ein sehr fragwürdiger Anspruch.
Denkmäler sollen etwas leisten, was die empirische und archivierende Wissenschaft in der Regel nicht leisten kann und will: Geschichte veranschaulichen und ein indifferentes, tendenziell wissenschaftsfeindliches Publikum damit geistig bewegen. Das Dilemma besteht darin, daß heutige Denkmäler ihren politischen Bildungsanspruch mit Hilfe einer diskursgestählten, selbstreferentiellen Formensprache artikulieren müssen, die vielen Betrachtern unverständlich bleibt und den verfälschenden oder konträren Deutungen zukünftiger Regimes wenig entgegensetzen kann.
Autor: Christian Saehrendt
Hans-Ernst Mittig: Gegen das Holocaustdenkmal der Berliner Republik, Karin-Kramer-Verlag, Berlin 2005. 128 Seiten ISBN 3-87956-302-0,12,80 €