Wolfgang Kraushaar, „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“, München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus, Hamburg 2013.
Der Kampf gegen die heilige Kuh
„Und da die internationale Staatengemeinschaft bisher auch nicht in der Lage oder gewillt war, sich mit Israel ernsthaft anzulegen bzw. wirksamen Druck aufzubauen, konnte kein Fortschritt erzielt werden.“ sagt Peter Strutynski am 27.07.2013 in der linken Tageszeitung Junge Welt. Sich mit Israel und den Juden hingegen ernsthaft angelegt haben sich nach dem Politikwissenschaftler und Autoren Wolfgang Kraushaar die deutschen Radikal-Linken in Verbindung mit palästinensischen Terrorgruppierungen. Bereits mit seinem Buchtitel „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“ verdeutlicht Kraushaar die Druckentladung der deutschen Linken in antisemitische Gewalt. Denn der Wortlaut des Titels stammt von Dieter Kunzelmann, Gründer der radikallinken Tupamaros West-Berlin, in einem Aufruf aus Amman. Im Schlaglicht von Kraushaars mitreißender Detaildarstellung steht eine 12-tägige Anschlagserie gegen Juden und Israelis im Frühjahr 1970, die einen Brückenkopf zum Olympiaattentat der Gruppe „Schwarzer September“ von 1972 und der RAF bildet. Kraushaar arbeitet die antisemitische Terrorschuld der radikalen Linken an einer Indizienkette auf, da die Fakten teilweise bis heute nicht eindeutig geklärt sind.
München als Terrorzelle
Wieder ist der Ausgangspunkt des dunklen zweiten Terrors, der insgesamt 55 Todesopfer fordert, München, wo am 10. Februar 1970 auf dem Flughafen München-Riem arabische Terroristen versuchen, ein Flugzeug der El-Al in ihre Gewalt zu bekommen. Drei Tage später ist das Anschlagsziel die israelische Kultusgemeinde in München. Der vorsätzlich gelegte Brand fordert zahlreiche Menschenleben. Am 21. Februar 1970 geht eine Bombe an Bord einer Swissair Maschine auf ihrem Weg nach Israel hoch. Die Attentate im Bereich der Luftfahrt werden von palästinensischen Terrororganisationen durchgeführt. Der Auftraggeber soll Dr. el-Sartawi, Gründer der Aktionsorganisation für die Befreiung Palästinas (AOLP), gewesen sein. Die AOLP ordnet sich später der El Fatah zu. Zu der El Fatah haben auch die radikalen Stadtguerillas Tupamaros West-Berlin um Kunzelmann und die Tupamaros München um Fritz Teufel Kontakt. Zum einen über die Generalunion palästinensischer Studenten, die für die El Fatah nicht nur Mitglieder anheuert, sondern vernetzte Stützpunktbasen in der BRD ausbaut. Zum anderen reist Dieter Kunzelmann im Herbst 1969 mit einer Gruppe nach Jordanien in ein terroristisches Ausbildungscamp. Es folgen Treffen mit Yassir Arafat und Farouk Kaddoumi von der El Fatah, der an der Luftpiraterie beteiligt gewesen ist. Kunzelmanns Freundin Ingrid Siepmann bleibt als Anlaufstelle in Amman zurück.
Befreiung vom „Judenknax“
Aus Amman ruft Kunzelmann die linke Szene über Textpamphlete zum gewaltbereiten Kampf gegen den faschistischen Zionismus auf. Er propagiert die Befreiung vom „Judenknax“ und fordert die Solidarität mit der El Fatah ein. Sein Statement „<Amis raus aus Vietnam> ist nie transformiert worden in die Parole <Raus aus Deutschland>‘‘ gleicht Goebbels‘ Parole „Juden raus aus Berlin“. Der Brandanschlag auf die israelische Kultusgemeinde weckt Assoziationen zu den antijüdischen Pogromen, insbesondere bei den Holocaustüberlebenden. Das einzig sichergestellte Beweisstück, ein Aralkanister, führt zu einem Mitglied der Aktion Südfront, einer Gruppe, die sich mit den Tupamaros München teilweise verbunden hat. Trotz vielfacher Spuren und erkennbarer Verflechtungen ist der Fall bis heute nicht geklärt. Die terroristischen Luftpiraten hingegen sind einer Verurteilung durch ihre Abschiebung entgangen. Vorausgegangen sind weitere Flugzeugentführungen durch palästinensische Gruppen mit der Aufforderung der Freilassung der Inhaftierten.
Schwarzer September
Der nach außen gelagerte Nahost-Konflikt zeigt sein weiteres blutiges Gesicht am 5. September 1972 mit dem Überfall der El Fatah zugeordneten Gruppe „Schwarzer September“ auf die israelische Mannschaft im olympischen Dorf. Insgesamt kommen elf israelische Sportler und Betreuer ums Leben. Die fünf toten Terroristen werden im arabischen Raum als Märtyrer gefeiert und Ulrike Meinhof spricht bei der Aktion „Schwarzer September“ von Menschlichkeit. Die normative Basis und Weltanschauung ist mit dieser Aussage antisemitisch gesetzt. Wolfgang Kraushaars Untertitel „München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus“ greift hier zu kurz. Denn die Wurzeln sitzen tiefer, nämlich in der Elterngeneration. Der latent vorhandene Antisemitismus entwickelt sich in den 1970er Jahren nicht erst, sondern er wird vielmehr unter dem Deckmantel eines Antiimperialismus und Antizionismus sichtbar. Der Sechs-Tage-Krieg von 1967 bietet eine willkommene Rechtfertigung, um nicht nur den Staat Israel zu negieren, sondern mit Gewalt gegen ihn vorzugehen. Es sind nicht nur die fundamentalen linken Kräfte, die sich mit dem Schutzschild Antiimperialismus gegen den Staat Israel stellen, ihn mit Nazideutschland gleichsetzen. Vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund bis zur außerparlamentarischen Opposition wird sich eindeutig in der Verantwortlichkeit für den Nahostkonflikt positioniert, Israel als imperialistischer und rassistischer Staat gebrandmarkt. Sichtbar anhand der Demonstrationen zum Besuch des israelischen Außenministers Eban. Betrachtet man das Verhalten der SPD, so ist es nicht einmal die Neuordnung ihrer Nahostpolitik in Richtung arabischer Staaten, die das parteiliche Gebaren in Frage stellt, sondern das rechtsstaatliche – vom moralischen ganz zu schweigen – Verhalten gegenüber den Terroristen. Bombenattentate, Entführung, Mord. Vollstreckte Strafverfolgungsmaßnahmen: Abschiebung. Dieses mit Normalisierung zu den arabischen Staaten oder Schutz der deutschen Bevölkerung zu erklären, ist grotesk. Noch grotesker mutet es an, dass der international gesuchte Terrorist Dr. el-Sartawi von der höchsten politischen Ebene der SPD in Bonn empfangen wird und in Österreich sogar für seinen verdienten – terroristischen – Einsatz für Menschenrechte mit dem Bruno Kreisky Preis geehrt wird. Allein die Wandlung zu einem „Anwalt der Mäßigung“ wie Brandt es in der Pressemitteilung der SPD zum Tod von Dr. el-Sartawi mitteilt, verwirft die Strafbarkeit des Terrorismus, entlastet von der Schuld und reicht für einen Freispruch? Der Terrorismus agiert ungehindert weiter. Wo sind, wie auch Kraushaar zu Recht fragt, die Sicherheitsvorkehrungen für die israelische Olympiamannschaft vor dem Hintergrund des bisherigen Geschehens. Hatten nicht die Tupamaros unter Teufel schon lange zuvor angekündigt, dass während der Olympiade etwas passieren wird. Was passieren wird, ist natürlich immer spekulativ. Nicht spekulativ ist jedoch der Umstand, dass nicht nur „etwas“ passiert ist, sondern dass die palästinensische Terrororganisation „Schwarzer September“ ungehindert auf deutschem Boden elf israelische Sportler ermorden kann. Kraushaar geht sogar so weit, dass er die Möglichkeit in Betracht zieht, dass Kunzelmann die Palästinenser zu dieser Tat ermutigt hat. Zu beweisen ist es nicht. Aber merkwürdig mutet schon die vehemente Verteidigung des Deutschen Bundestages an, dass die deutsche radikale Linke nichts mit der Aktion „Schwarzen September“ zu tun hätte. Die politische Verantwortung ist in diesem Fall nicht übernommen worden. Akten sind jahrzehntelang unter Verschluss gehalten, Verfehlungen sind vertuscht worden, man gibt am Ende den Israelis die Schuld. Auch die bundesdeutsche Presse entlastet die Verantwortlichen. Was ist mit den Opfern? „The games must go on“ – der Symbolik wegen. Und wenn es sich nicht um israelische Sportler gehandelt hätte? Vielfach hat die israelische Regierung nicht nur an die Bundesregierung appelliert, gemeinsam gegen die unterstützenden Staaten des Terrorismus und gegen den Terrorismus selbst vorzugehen. Der Appell ist widerstandslos verhallt. Terroristen wie Arafat sind stattdessen mit militärischer Pose vor der internationalen Staatengemeinschaft aufgetreten, sind von Moskau hofiert worden und haben geschickt für sich den Slogan „Antiimperialismus“ gepaart mit antisemitischem Antizionismus genutzt.
Antiimperialismus als Mätresse des antisemitischen Antizionismus
Kraushaar hat die Verbindungen zwischen der radikalen Linken am Beispiel der linken Stadtguerilla Tupamaros West-Berlin und Tupamaros München zu den palästinensischen Terrorgruppen aufgezeigt. Es handelt sich nicht unbedingt um eindeutige Beweise, aber die Spuren lassen Rückschlüsse zu. Ein verbindendes Element ist der Antiimperialismus, der in der aggressiven Form im antisemitischen Antizionismus gipfelt. Und das nicht nur bei den deutschen Stadtguerillas. Diese moralische Schuld ist Bestandteil der Linken, die diesen Umstand bis heute leugnet. Dieter Kunzelmann hat von „bauernschlaue Lüge der Galinskis und Springerknechte“ gesprochen, die heutigen sozialen Akteure sprechen vom Apartheidregime Israels, von palästinensischen Ghettos, vom nationalsozialistischen Israel, von der Opfer-Täter-Umkehrung, vom Völkermord an den Palästinensern, von Israel als Aggressor und Friedensblockierer. Sie leugnen indirekt das Existenzrecht Israels, rufen zu Boykottmaßnahmen auf. In seinem Artikel in der Jungen Welt vom 27.07.2013 sieht Peter Strutynski die terroristische libanesische Hisbollah durch die EU für Israel sogar „Zum Abschuß freigegeben“. Wieder ist Israel das Problem und mit Heinrich von Treitschke „Die Juden sind unser Unglück“, im übertragenen Sinne, „die Juden sind unser Problem“. Wolfgang Kraushaar hat mit seinem facettenreichen Buch zwar keine eindeutige Beweiskette erbringen können. Aber er hat die Diskussion und Reflexion über diejenigen Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland entfacht, die sich stets als Generation nach dem Faschismus bezeichnet hat. Antifaschismus schließt Antisemitismus jedoch nicht aus. Vielmehr lebt er weiter als transformierte Erbfolge einer Gesellschaft. Der moralische Freispruch für diejenigen, die sich links vom System positioniert haben, ist gescheitert. Kraushaars Buch gibt zudem einen guten Überblick über die Bildung und Zusammensetzung der palästinensischen Terrorgruppierungen. Verknüpft mit dem deutschen linken und dem palästinensischen Terror ist die politische Ebene im nationalen und internationalen Feld und ihr Verhältnis zu Israel, das Anlass für viele Fragen gibt. Ergänzt wird die inhaltliche Darstellung durch Bildmaterial, einem biografischen und chronologischen Teil sowie einem äußerst umfassenden Anmerkungsapparat. Ein durch und durch aufschlussreiches Buch zur linken antisemitischen Scheinmoral und der Terrormitschuld.
Autorin: Soraya Levin
Wolfgang Kraushaar, „Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?“, München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus, 880 Seiten, gebunden, 2013 by Rowohlt Verlag GmbH Hamburg, 34,95 €, ISBN 978-3-498-03411-5