Seit 1986 wird auf den Filmfestspielen in Berlin der Alfred-Bauer-Preis überreicht. Benannt ist der Preis nach dem ersten Direktor der Berlinale. Jetzt erst wird bekannt, dass Alfred Bauer eine braune Vergangenheit hat. Das ist ein veritabler Skandal.
Gesicht des kulturellen Neuanfangs
Alfred Bauer war der erste Direktor der Berlinale. 25 Jahre lang leitete er die Filmfestspiele und prägte sie als „Schaufenster der freien Welt“. Nun stellt sich heraus, dass in der Filmbranche – wie in quasi allen anderen Berufssparten auch – mit Alfred Bauer ein ehemals hochrangiger Nazi nach Zusammenbruch des Regimes wieder zu Rang und Namen kam.
Zwischen 1951 und 1976 war Alfred Bauer eines der Gesichter des kulturellen Neuanfangs in Berlin. Er machte die Berlinale zu einem der wichtigsten internationalen Filmfestivals, indem er Stars wie Burt Lancaster, Sophia Loren und Gina Lollobrigida nach Berlin holte. Nach seinem Tod 1986 wurde dem Silbernen Bären für neue Perspektiven in der Filmkunst Alfred Bauers Name gegeben.
Ein „eifriger SA-Mann“
Alfred Bauer war nicht nur Mitglied bei SA und NSDAP, sondern auch im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund, im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund und in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. In einem 1942 von der Reichsfilmintendanz angeforderten Gesinnungszeugnis wird Bauer als „eifriger SA-Mann“ beschrieben, der auch fleißig Versammlungen besuche.
Bauer entschied über Fronteinsatz mit
Nach dreijährigem Soldatentum war Bauer von 1942 bis zum Zusammenbruch des Regimes 1945 Referent der Reichsfilmintendanz – das belegen Unterlagen des Bundesarchivs eindeutig. Neben Korrespondenzen, Listen und Sitzungsprotokollen liegen dort auch Gehaltsnachweise Alfred Bauers. Die Aufgaben der Reichsfilmintendanz beschrieb Joseph Goebbels in einer 1942 gehaltenen Rede so: „Dem Reichsfilmintendanten obliegt die allgemeine Produktionsplanung, die Ausrichtung der künstlerischen und geistigen Gesamthaltung der Produktion und die Überwachung des künstlerischen Personaleinsatzes sowie der Nachwuchserziehung.“ Aus den Akten geht auch hervor, welch zentrale Position Alfred Bauer in der Reichsfilmintendanz wahrnahm: Er überwachte das Personal bei Neuproduktionen. Seine Kontrolle umfasste nicht nur die Schauspieler, sondern auch Kameraleute, Regisseure und das gesamte weitere Filmpersonal. Dabei war er auch in Entscheidungen darüber eingebunden, welches Personal als für die nationalsozialistische Filmproduktion unabkömmlich und damit von Kriegsdienst freizustellen sei. Damit lag es auch in Bauers Verantwortung, wer an die Front musste und wer nicht. Als dritter bzw. zeitweilig zweiter Mann der Reichsfilmintendanz hat Bauer die der faschistischen Ideologie untergeordnete Filmpolitik der Nazis in maßgeblicher Position mitgetragen.
Verschleierungsversuche in Berlinale-Publikationen
In Veröffentlichungen der Berlinale zum 60. Geburtstag Bauers und zur 50. Berlinale wurde Bauers NS-Vergangenheit als „Tätigkeit in der Reichsfilmkammer“ verschleiert. Die Reichsfilmkammer ist als Berufsverband der Filmschaffenden des Dritten Reichs zu verstehen. Eine Mitgliedschaft in der Reichsfilmkammer war unbedingte Voraussetzung, um im Filmgeschäft tätig werden zu können. Die Umschreibung als „Tätigkeit in der Reichsfilmkammer“ wird der Relevanz der von Bauer tatsächlich ausgeübten Position mit sehr wesentlichen Aufgaben nicht annähernd gerecht.
Unter Druck gerät damit auch der Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen, Autor des 2000 erschienenen Buches „50 Jahre Berlinale“, das als große Jubiläumspublikation angelegt ist. Als die Vorwürfe gegen Alfred Bauer laut wurden, äußerte Jacobsen, er habe Erkenntnisse über Bauers SA-Mitgliedschaft zum 60. Geburtstag der Berlinale mit mehreren Journalisten geteilt. Es bleibt bislang ungeklärt, warum diese Erkenntnisse nicht früher publik gemacht wurden. Jacobsen selbst erklärt dies damit, dass die Öffentlichkeit heute sensibler auf solche Informationen reagiere als dies in den vergangen Jahren und Jahrzehnten der Fall war.
Lügen im Entnazifizierungsverfahren
Während der letzte Leiter der Reichsfilmintendanz, der SS-Gruppenführer Hans Hinkel, nach Ende des Zweiten Weltkriegs für mehrere Jahre inhaftiert war, konnte Bauer nur sechs Jahre später Direktor der Filmfestspiele werden. Aus den Unterlagen zu seinem Entnazifizierungsverfahren geht hervor, dass er systematisch gelogen hat. Seine SA- und NSDAP-Mitgliedschaften versuchte er zu leugnen bzw. zu bagatellisieren. Die Entnazifizierungsbehörde ermittelte nicht selbst, sondern entschied nach Aktenlage. Bauer stilisierte sich gar zum Antifaschisten innerhalb der Behörde, der aus innerem Widerstand heraus gehandelt habe und nur widerwillig Mitglied von SA und NSDAP geworden sei. Zu diesem Zwecke brachte er mehrere so genannte „Persilscheine“ bei, also Aussagen Bekannter über seine Gesinnung. Die Mitgliedschaft im Nationalsozialistischen Studentenbund verheimlichte er völlig, denn ein so früher Eintritt in eine der nationalsozialistischen Organisationen wäre mit seiner Theorie vom inneren Antifaschisten vollends unvereinbar gewesen. Bauers Strategie hatte Erfolg: Mehr als einige wenige Jahre Berufsverbot hatte Alfred Bauer nicht zu erdulden.
Wissenschaftliche Aufarbeitung erforderlich
Aufgedeckt wurde Bauers braune Vergangenheit von dem Hobby-Filmwissenschaftler Ulrich Hähnel, der sich mit den Ergebnissen seiner bereits umfangreichen und unmissverständlichen Recherchen an die Wochenzeitung DIE ZEIT gewandt hatte. Gemeinsam mit Journalisten der ZEIT wurden die Erkenntnisse in verschiedenen Archiven verifiziert und vertieft.
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Alfred Bauer Ende Januar 2020 reagierte das Filmfestival mit Aussetzung des Alfred-Bauer-Preises. Die herausgehobene Position Bauers innerhalb der Filmwirtschaft des Nationalsozialismus sei dem Festival nicht bekannt gewesen. Die Sachlage soll nun mit Hilfe externer wissenschaftlicher Expertise aufgearbeitet werden.