Deutscher Osten 1939 – 1945. Der Weltanschauungskrieg in Photos und Texten. Hrsg. v. Klaus-Michael Mallmann, Volker Rieß u. Wolfram Pyta. Darmstadt 2003.
Der vorliegende Band eröffnet eine Reihe geplanter Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg, die dem Historischen Institut der Universität Stuttgart angegliedert ist. Diese Institution hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Akten der ehemaligen Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, heute eine Außenstelle des Bundesarchivs, geschichtswissenschaftlich aufzuarbeiten und Forschungsergebnisse in Form von Monographien, Sammelbänden und Quelleneditionen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Der Eroberungs-, Ausbeutungs- und Vernichtungskrieg NS-Deutschlands im Osten, mit dem Russlandfeldzug als Kern, wurde in den letzten Jahrzehnten fachwissenschaftlich weitgehend aufgearbeitet (vgl. den Forschungsbericht von Rolf-Dieter Müller und Gerd R. Ueberschär, Hitlers Krieg im Osten 1941-1945). Nicht so weit gediehen ist die Untersuchung der Mentalitäten im Krieg. Während die jüngste Dissertation von Christoph Rass „Menschenmaterial. Deutsche Soldaten an der Ostfront“ einen komplexen sozialgeschichtlich orientierten analytischen Zugriff am Beispiel der 253. Infanteriedivision wählt, gehen die Herausgeber des anzuzeigenden Werkes anschaulicher und konkreter vor. Und genau dies macht den Band nicht nur für Spezialisten, sondern auch für ein breiteres Publikum sowie unter didaktischen Aspekten interessant. Gruppiert um die drei großen Verbrechenskomplexe der Judenvernichtung, des Massensterbens der sowjetischen Kriegsgefangenen und der Vernichtung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung bieten sie Quellenauszüge aus Briefen, Tagebüchern, Befehlen, Vernehmungen und Zeugenaussagen. Diese sind aufgegliedert in die drei Kategorien Mentalitäten, Tatorte und Einheiten, jeweils mit einer knappen aber fundierten Einleitung versehen und nach der Chronologie des Geschehens geordnet. Als Tatorte im Weltanschauungskrieg werden beleuchtet: Kauen (Kaunas/Kowno), Bialystok, Rozanka, Lemberg, Kamenez-Podolsk, Riga, Gomel, Dubno, Reichshof (Rzeszow), Biala-Podlaska, Krakau und Warschau. Von den im Vernichtungskrieg aktiven Einheiten werden folgende konkreten Fallbeispiele vorgestellt: Einsatzkommando 8, Polizeibataillon 322, SS-Kavalleriebrigade, Einsatzgruppe D, Polizeibataillon 318, Durchgangslager 150, Polizeireiterabteilung III.
Einen besonderen Service bietet der Band durch den Abdruck von 84 vorwiegend aus der Täterperspektive aufgenommenen Photos zum Vernichtungskrieg, die von wenigen Ausnahmen abgesehen zum ersten Mal – so dass sie keinem Gewöhnungseffekt unterliegen – publiziert werden und mit jeweils exakten Kontextualisierungen versehen sind. Im Unterschied zur Praxis der ersten sog. Wehrmachtsausstellung 1995 erhält der Leser die notwendigen Informationen zur Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte. Alle Photos, insbesondere diejenigen die ein Tötungsdelikt abbilden, wurden in der Regel durch Zeugenaussagen vor Ort, Zeit, Photograph, Sujet und Überlieferung oder beweiskräftige Beschriftungen überprüft bzw. verifiziert. Sie sind sämtlich unretuschiert abgedruckt. In der Verbindung von Selbstzeugnissen und anderen Quellen, die – wie Klaus-Michael Mallmann in seiner Einleitung schreibt – nach dem ausschlaggebenden Kriterium ausgewählt wurden „inwieweit ein Text Hinweise auf die innere Verfasstheit, letztlich die Motivation der Täter beinhaltet“ (S.9) und dem Bildnarrativ liegt die Stärke des Bandes. Der Fokus ist auf die Innenansicht der mörderischen Gewalt gerichtet: Haltungen, Einstellungen und Motive der Täter werden offengelegt.
Aus der Sicht des Rezensenten können nach einer entsprechenden Einführung im Geschichtsunterricht die jeweiligen Fallbeispiele zu Tatorten und Einheiten jeweils für sich mit Erfolg, d.h. primär Erkenntnisgewinn, eingesetzt werden und Interesse für weiteres Quellenstudium fördern. So zeigt z.B. das nur sieben Seiten umfassende Teilkapitel „Einheiten / Polizeibataillon 322“ anschaulich und konkret, dass die Ordnungspolizei zu den wichtigsten Tätergruppen des Vernichtungskrieges gehörte. Keinesfalls die Ausnahme, sondern eher typisch waren Aussagen wie die des ehemaligen Angehörigen dieses Polizeibataillons Franz T. in seiner Vernehmung vom 21.3.1966: „Über einen Befehl, Juden allgemein als Plünderer oder Partisanen zu behandeln ist mir nichts bekannt. Juden waren sowieso Freiwild, sie wurden ohne Gnade erschossen, ohne dass dazu eine Begründung gegeben wurde oder notwendig gewesen wäre. Dieses Recht nahmen sich beispielsweise ganz kleine Leute heraus, die nicht vorher die Entscheidung eines Offiziers herbeiführten“ (S.137f.).
Rezensiert von Wigbert Benz
Deutscher Osten 1939 – 1945. Der Weltanschauungskrieg in Photos und Texten. Hrsg. v. Klaus Michael Mallmann, Volker Rieß u. Wolfram Pyta. Ln., 205 S., ISBN 3-534-16023-1, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, 39,90€