Er war ein Rundfunkmann mit Mission: Der US-Kontrolloffizier Lewis C. Heinzman machte nach dem Krieg Radio Frankfurt zu seinem Baby, nur ungern ließ er den Sender 1946 in Deutschland zurück. Doch der Oberleutnant nahm etwas mit, das den amerikanischen Rundfunk revolutionieren sollte.
„Der Rundfunk gehört uns. Niemandem sonst!“, ordnete Reichspropagandaminister Joseph Goebbels vor 75 Jahren an und machte den deutschen Rundfunk ab 1933 zum Instrument nationalsozialistischer Propaganda. Als zwölf Jahre später die Alliierten in Deutschland einmarschierten, waren die meisten Sendeanlagen und Funkhäuser im Bombenhagel zerstört oder von den eigenen Truppen in die Luft gesprengt worden. Amerikaner, Briten, Franzosen und Sowjets besetzten die Funkhäuser oder das, was davon noch übrig war, krempelten die Ärmel hoch und schickten sich an, aus den Trümmern ein neues Rundfunksystem aufzubauen, das anderen Regeln gehorchen sollte.
Die Amerikaner folgten einem Drei-Stufen-Plan: Sendeverbot, Einrichtung kontrollierter Rundfunkstationen, und schließlich Lizenzierung. Leichter gesagt als getan, merkte schnell US-Rundfunkoffizier Oberleutnant Lewis C. Heinzman, der sich nach Kriegsende bei der US-Informationskontrollbehörde ICD beworben hatte, um beim Wiederaufbau des ehemaligen Reichssenders Radio München mit anzupacken.
Im November 1945 wurde Heinzman von der ICD nach Frankfurt beordert, wo die US-Besatzungstruppen bei ihrem Einmarsch das zerbombte Funkhaus des ehemaligen Reichssenders in der Eschersheimer Landstraße gespenstisch leer vorgefunden hatten. Noch zu Kriegszeiten hatten die Nazis stattdessen in einer kleinen Pension im nahegelegenen Bad Nauheim ein Notstudio eingerichtet und von dort gesendet. Der neue Chefingenieur Heinzman, sturmerprobter Allround-Rundfunktechniker aus Kalifornien, stürzte sich in seine neue Aufgabe.
Der Sound der Stunde Null
Stimme aus der Vergangenheit
Genau ein Jahr zuvor, als seine Mutter ihn noch in Sicherheit auf Manöver in den USA wähnte, hatte Heinzmans Truppentransporter „Wakefield“ im kalten Liverpool angelegt. Erst im Mai 1945, als der Krieg vorbei war und sein Pionierbataillon noch in Wesel am Rhein lag, hatte er seine Mutter über seinen wahren Aufenthaltsort aufgeklärt. Wie Mütter so sind, wollte sie nun alles ganz genau wissen und schickte ihm Briefe voller Fragen.
So setzte sich Heinzman im Dezember 1945 in ein behelfsmäßiges Studio in Bad Nauheim, und später, im Mai und Juni 1946, in den ausgedienten Sattelschlepper einer mobilen US-Rundfunkeinheit, und beplauderte ein gutes Dutzend schwarzer Presto-Platten, die er im Frühsommer 1946 in einer Holzkiste an seine Mutter nach Kalifornien schickte. Als Jessie V. Heinzman die alte, zugenagelte Holzkiste mit der Adresse ihrer Schwiegermutter im Herbst 2003 in ihrer Garage in Elk Grove, Kalifornien, auf einem Regal zwischen Farbdosen und Werkzeug fand, ahnte sie nicht, dass sie die vor kurzem für immer verstummte Stimme ihres Mannes Lewis noch einmal hören würde.
Der US-Brigadegeneral Robert McClure hatte 1945 das US-Personal der Abteilung für psychologische Kriegsführung in der neuen Informationskontrollbehörde ICD zusammengefasst und sich in Bad Homburg eingerichtet. Die Information Control Division war nicht nur der heiße Draht zwischen der US-Besatzungsmacht und der deutschen Bevölkerung, sondern überwachte in der amerikanischen Besatzungszone Rundfunk und Presse, Theater, Film und Kabarett. Die Amerikaner ließen in jedem Bundesland eine eigene Rundfunkstation entstehen, „Radio München“ in Bayern, „Radio Frankfurt“ in Hessen, „Radio Stuttgart“ in Baden-Württemberg, „Radio Bremen“ und den „Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS) Berlin“.
Fasziniert vom „Magnetophon“
Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Demokratisierung und Umerziehung prägten die amerikanische Medienpolitik der ICD-Offiziere, die ganz überwiegend aus den Reihen von Exilanten rekrutiert waren: Im deutschsprachigen Raum aufgewachsen, aus Nazi-Deutschland nach USA geflohen, waren diese als „Remigranten“ im Heer der Amerikaner nach Deutschland zurückgekehrt. Zum Teil noch sehr jung und für ihren wichtigen Job manchmal nicht hinreichend qualifiziert, hatten die Kulturoffiziere nicht nur den Einheimischen gegenüber eine privilegierte Stellung, sondern besaßen auch die weitest reichenden Kompetenzen innerhalb der Militärregierung.
Lewis C. Heinzman war kein Remigrant. Dass die Wurzeln seiner Vorfahren jedoch, nicht weit von Frankfurt, im Schwarzwald lagen, wusste er zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. Mit dem Remigranten Golo Mann, dem Sohn von Thomas Mann, der bei Radio Frankfurt für die Programmgestaltung und Personalauswahl zuständig war, schloss Heinzman Freundschaft, und ist sicherlich auch Robert Lochner über den Weg gelaufen, der als leitender Netzwerk-Nachrichtenredakteur Golo Mann zur Seite stand (bevor er sehr viel später, 1963, während des Aufenthaltes von Präsident Kennedy in Deutschland Kennedys Ankunftsrede übersetzte und mit ihm dessen berühmten Satz „Ich bin ein Berliner“ übte).
Während seiner Arbeit als „Supervising Studio Engineer“ im schwer beschädigten Riemerschmied-Bau von Radio München stieß Heinzman auf ihm unbekannte Geräte, deren Tonaufzeichnungsqualität ihn beeindruckte. Heinzman ließ sich von den deutschen Technikern die Funktionsweise dieser in den dreißiger Jahren von AEG entwickelten „Bandmaschinen“ oder „Magnetophone“ erklären, fertigte Fotos und Zeichnungen an, und schickte diese zusammen mit einer Probe Bandmaterial nach Sacramento an seinen Chef bei KFBK, einer Radiostation des McClatchy-Imperiums, wo er vor dem Krieg gearbeitet hatte.
Organisieren, Improvisieren, Perfektionieren
Heinzman war nicht der Einzige, der nach dem Krieg von dieser Technik begeistert war. Der Erfindergeist deutscher Ingenieure hatte, wenn auch unter dem Druck der Nazi-Diktatur, ein Aufzeichnungsmedium hervorgebracht, das den in den Staaten verwendeten, knisternden Schallplatten weit voraus war. Die Tonaufnahmen auf Magnetbändern waren um vieles reiner, und, was noch wichtiger war: Misslungene Aufnahmen konnten herausgeschnitten und ersetzt werden. Alliierte Geheimdiensteinheiten konfiszierten zahlreiche deutsche Geräte und Tonbänder, und Anfang 1946 kannten sich schließlich etwa ein Dutzend Amerikaner mit dieser Technik aus. Würde KFBK mit Heinzmans Zeichnungen etwas anfangen können?
Doch jetzt bestand seine Aufgabe darin, gleichzeitig für den laufenden Sendebetrieb aus Bad Nauheim und den Wiederaufbau der Anlagen in Frankfurt zu sorgen, bis der Sender am 15. Februar 1946 wieder in der Eschersheimer Landstraße einziehen konnte. Sechs Studios waren errichtet und eingerichtet worden, größtenteils mit Geräten, die bis zur letzten Minute in Bad Nauheim benötigt wurden. Doch die Arbeit war noch nicht beendet. Ein 100-Kilowatt-Sender, der in mehrere große Eisenbahnwaggons verfrachtet und während des Krieges von der Wehrmacht als Propagandainstrument verwendet worden war, wurde zur Senderanlage Frankfurt transportiert.
Von der gesamten Vorrichtung wurden vollständige Funktionszeichnungen angefertigt, der Sender zerlegt und im Sendegebäude wieder aufgebaut. Auch eine neue, 120 Meter hohe Antenne wurde errichtet. Heinzman lernte Deutsch, um sich mit der wachsenden Zahl deutscher Mitarbeiter verständigen zu können, kämpfte sich durch Papierkram, fuhr mit einem Lastwagen quer durch Deutschland und flog mit einer kleinen Maschine ins unsichere Berlin, um dringend benötigtes technisches Material aus den Depots der anderen Rundfunkanstalten zu beschaffen. Er organisierte, improvisierte und perfektionierte.
Ein großer Schritt
Heinzman verzweifelte fast am Personalmangel, bedingt durch den forcierten Truppenabzug aus Europa. Er zögerte aber nicht, zwei seiner neuen deutschen Techniker, die die Amerikaner beim Screening über ihre politische Vergangenheit getäuscht hatten, kurzerhand ins Gefängnis zu werfen. Als die Amerikaner am Stichtag 1. Juni 1946 Eberhard Beckmann zum ersten deutschen Nachkriegsintendanten von Radio Frankfurt ernannten, saß Heinzman auf gepackten Kisten, doch er hatte noch keinen deutschen Mitarbeiter gefunden, der seine Aufgaben hätte übernehmen können.
So stand Heinzman im September 1946, als US-Außenminister James F. Byrnes in Stuttgart seine vielbeachtete Grundsatzrede zur US-Außenpolitik hielt, angespannt hinter der Bühne und managte die Übertragung der Rede über den Sender von Radio Stuttgart. Krönender Abschluss seiner Arbeit war schließlich bei Radio Frankfurt das Richtfest und die Sekttaufe der neuen, mit einem Weihnachtsbäumchen geschmückten Antenne, bevor er im November 1946 die Heimreise antrat.
Im Juni hatte Heinzman ein Telegramm von Stam Scronce, seinem Kollegen bei KFBK in Sacramento, erhalten, der sich ungeduldig nach Heinzmans Rückkehr in die Vereinigten Staaten erkundigt hatte. Als Heinzman im Januar 1947 wieder seine gute alte Rundfunkstation in Kalifornien betrat, staunte er nicht schlecht: Seine Kollegen waren dabei, aus vorhandenen Bauteilen anderer Geräte nach Fotos und Schaltplänen, die er ihnen aus München geschickt hatte, ihren eigenen Magnetophon-Prototyp zu bauen und warteten gespannt darauf, dass er seine in Deutschland mit dieser Technik gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen mit ihnen teilte. Es wurde das erste im US-amerikanischen Rundfunk eingesetzte Magnetophon, noch bevor 1947/48 die ersten Ampex-Bandmaschinen in USA auf den Markt kamen. Ampex wurde später Hauptlieferant für die Tonbandgeräteausstattung von McClatchy – und Heinzman Leiter des Aufnahmestudios der kompletten McClatchy-Programmabteilung, wo er die Tonaufzeichnung mittels Magnetbandtechnik weiter perfektionierte.
Es sollte noch bis Januar 1949 dauern, bis General Lucius D. Clay Eberhard Beckmann die Sendelizenz für den Hessischen Rundfunk mit den Worten übergab: „Sie machen einen großen Schritt, indem Sie nun eine freies Radio haben. Es liegt in Ihren Händen, dass es so bleibt!“
Autorin: Bettina Mikhail. Erstveröffentlichung auf Einestages.