Seit seinem Tode am 2. Februar 1738 sind über die Person Joseph Süß Oppenheimers in verschiedenster Form die gegensätzlichsten Darstellungen veröffentlicht worden. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts zählten, neben der leicht antisemitischen Fortsetzungsnovelle Wilhelm Hauffs aus dem 19. Jahrhundert, Lion Feuchtwangers Roman `Jud Süß´ wohl zu den bekanntesten Rezeptionen. Dies änderte sich mit der Produktion des Films `Jud Süß´ unter der Regie von Veit Harlan.
Für unbedarfte ZuschauerInnen beschreibt der Ende September 1940 in den deutschen Kinos angelaufene Film, ein an das bürgerliche Trauerspiel angelehntes Liebesdrama, das nach dem Tod der Heldin mit der tödlichen Abstrafung des Bösewichts endet.
Wesentlicher erscheint jedoch das antisemitisch-propagandistische Motiv der damals Verantwortlichen zu sein. Als deutsches Remake des angloamerikanischen Films `Jew Süss´ von Lothar Mendes aus dem Jahre 1934 ist er, im Gegensatz zu der von Hitler favorisierten Form der direkten Propaganda (vgl. Der ewige Jude), ein Beispiel für die von Goebbels bevorzugte indirekte Form der Propaganda. Harlan konstruiert anhand der Protagonisten und unter Aufsicht des Propagandaministers eine jüdische Kultur mit explizit negativen Eigenschaften, die höchstens mit den unmoralischen Elementen einer dem gegenübergestellten moralisch guten und aufrichtigen deutschen Kultur harmonieren könne.
Zu Beginn wird allein durch Schnitt und Montage des Tons dem Publikum das Thema des Films nahe gebracht. Auf den Gesang eines Rabbiners, folgt eine Tonsequenz aus einem Volkslied und diese werden dann übereinander gemischt. Der auf hebräisch vorgetragene und somit für die meisten ZuschauerInnen unverständliche Gesang aus der Anfangssequenz steht für die jüdische Kultur. Diese trifft auf die reine deutsche Volkskultur, symbolisiert durch das Motiv der Dorothea. Sie singt das alte Volkslied `All meine Gedanken die ich hab´. Durch das Mischen der Tonspuren und den daraus folgenden dissonanten Klang wird angedeutet, das auch die beiden Kulturen nicht zusammen passen. Über die auditive Disharmonie wird gleichzeitig die gesamte Dramaturgie des Filmes entwickelt und im weiteren Verlauf bestätigt. Höhepunkt ist die von Süss begangene „Rassenschande“, die Vergewaltigung Dorotheas, die am Ende des Films den Grund für Oppenheimers Tod liefert.
Auf der Bildebene folgt ein achtarmiger Leuchter, der vor einem Davidstern gezeigt wird und die am Film Mitwirkenden werden vorgestellt. Mit dem zusätzlich eingeblendeten und irreführendem Satz: „Die im Film geschilderten Ereignisse beruhen auf geschichtlichen Tatsachen“ wird das Publikum auf die folgenden eineinhalb Stunden eingestimmt. Geschickt verwebt der Film die Kategorien Religion, Kultur und Nation, um sie mit dem Konstrukt der Rasse zu synthetisieren, deren Reinhaltung, wie die Nürnberger Gesetze zeigen, oberstes Gebot nationalsozialistischer Ideologie war. Um dieser Priorität zu entsprechen unterliegen die Charaktere keiner Entwicklung, sondern haben ihre festen Eigenschaften, die im weiteren Verlaufe nur expliziter zum Vorschein treten. Innerhalb der angeblich fremden Gruppe der Juden macht der Film weitere Differenzierungen, um eine ausgewogene Darstellung zu simulieren. Juden werden entweder als orthodoxe Juden, als Rabbiner, Schächter oder arme, zerlumpte Personen dargestellt, welche mit Hilfe von Joseph Süß in die judenfreie Stadt Stuttgart einströmen. Sie sprechen jiddisch, kleiden sich rituell mit Kaftan und Pejeslocken. Vier dieser Rollen werden von Werner Krauss dargestellt und zielen auf die Bestätigung des Vorurteils des `rastlosen Juden´ der keine Heimat hat und, in Anspielung an die biblische Gestalt des Teufels, in vielerlei Gestalt auftauchen kann.
Joseph Süß wird nicht wie in Lothar Mendes‘ Film als intellektueller Kaufmann jüdischen Glaubens geschildert, der daran scheitert seinen Platz in der christlich-frühneuzeitlichen Gesellschaft zu finden, ohne seinen Glauben aufgeben zu müssen. Oppenheimer wird als chamäleonartiger Jude dargestellt, der aufgrund von Gier und Machtstreben seine `wahre´ Identität verleugnet, um den eigenen Einflußbereich auszudehnen. Um Eintritt in die Regentenstadt zu gelangen, stellt er dem unter Geldmangel leidenden Herzog eine teure Perlenkette auf Ratenkauf zur Verfügung mit der Bedingung, das Schmuckstück persönlich überbringen zu dürfen. Weil er um den für die Stadt bestehenden Judenbann zu umgehen sein Äußeres verändern und mit gefälschten Papieren reisen muß, erklärt er seinem darüber mehr als überraschten Sekretär Levy Folgendes: „Ich mach die Tür auf für Euch alle. In Samt und Seide werdet ihr gehen, es kann sein morgen, es kann sein übermorgen. Aber sein wird es!“ Und so legt er ohne lange nachzudenken seine jüdisch-orthodoxe Identität ab und wird in der nächsten Szene als eleganter Weltenbürger präsentiert, der sprachgewandt große Bewunderung von der Bürgerstochter Dorothea Sturm erfährt, die ihn nach einem Unfall mit in die Stadt nimmt. Im Dialog zwischen Dorothea und Süß wird auf die Heimatlosigkeit des Kaufmanns verwiesen, die den Preis seiner Unternehmungen wiedergibt. Die von Oppenheimer vollzogene Wandlung hat jedoch keinen Bestand. Süß wird während der Gerichtsverhandlung am Ende des Films wieder als `Urjude´ dargestellt, der ebenso jiddisch spricht, wie er wieder in traditionellen Kleidern vor seinen Richtern erscheint.
Dass Joseph Süß während des Films nicht nur als falscher und geldgieriger Dämon auftritt, sondern sich durchaus positiv als intelligente und charmante Person von seinem plumpen höfischen Umfeld abhebt, verdeutlicht nur mehr die Gefahr, die angeblich von den Juden für die ausschweifenden und schwachen Arier ausgeht. Diese Gruppe wird vom Herzog und seinem Sekretär von Remchingen personifiziert und erlebt das Ende des Films nicht. Sie müssen aufgrund der Tatsache sterben, dass sie den, angeblich allein von Oppenheimer initiierten, umstürzlerischen und dem Volkswillen zuwider laufenden Plänen gefolgt sind. Auch hier wurden die historischen Tatsachen von Harlan umgeschrieben, um der inneren Logik des Films zu entsprechen und dem Publikum gleichzeitig als moralische Lehre dienen zu können.
Dazu zählt ebenso der Freitod der Hauptdarstellerin Dorothea im Neckar. Das der Grund für Dorotheas Entscheidung in der erfolgten „Rassenschande“ liegt wird durch die Verurteilung Oppenheimers deutlich. Denn der vorsitzende Richter gibt als Grund nicht die Vergewaltigung an, sondern zitiert auf Anraten Sturms das alte Reichskriminalgesetz: „So aber ein Jude mit einer Christin sich fleischlich vermenget, soll er mit dem Strang vom Leben zum Tode gebracht werden.“ Dass das Gesetz auch den Tod der Frau vorsieht, wird durch die Filmhandlung geschickt gelöst. Ebenso entgeht Dorothea als Arierin selbstlos der `Schande´ der Geburt eines „Judenkindes“ (Sturm). Gleichzeitig werden dem Zuschauer so noch einmal eindringlich die Konsequenzen verdeutlicht, die die Duldung und das Eindringen von Juden in die deutsche Gesellschaft und im besonderen auf das traute Zusammenleben einer württembergischen Kleinfamilie haben kann. Denn laut Filmaussage führt falsche Toleranz auf der persönlichen wie auf der politischen Ebene zu einer Tragödie, wenn das Volk nicht wachsam ist.
Der junge Faber, als Symbol der Hitlerjugend, merkt zu Beginn intuitiv, das Joseph Süß ein Jude ist und rät ihm vergeblich die Stadt zu verlassen. Während Faber und Sturm in ihrer kargen Stube für das Wohl Stuttgarts arbeiten, verhandelt Joseph Süß unterwürfig im Schloss mit dem Herzog über die Finanzierung dessen überzogener Projekte. Faber und Sturm sind in ihrem Handeln für das Wohl des Landes als geradlinig, aufrecht und tugendhaft dargestellt und agieren im Film als Vorbild für den Bürger im Umgang mit Juden. Als Legitimierung der Rassegesetze spricht Sturm als Identifikationsfigur für den Zuschauer zu den Landständen, wenn es um das gefährliche Handeln gegen den Einfluß von Juden am Hofe geht: „Besser wir verbrennen uns unser Maul als unser Blut! Das Maul ist unser eigen, doch das Blut ist unserer Kinder und Kindeskinder.“ und vor dem Herzog zitiert er Luther mit den Worten: „Darum wisse, du lieber Christ, daß du nebst dem Teufel keinen giftigeren Feind hast denn einen rechten Juden.“ Diese Szene wird visuell unterstützt indem Süß und sein Sekretär Levi gezeigt werden, wie sie sich vor dem Gespräch auf der Rückseite einer Teufelsfratze im Arbeitszimmer des Herzogs postieren und durch das Loch im Mund eben jenes Gespräch belauschen. An einer anderen Stelle arbeitet der Film auf ähnliche Weise, dadurch dass er ein, nach nationalsozialistischer Ideologie, bedrohliches Element erst emotional über die Musik andeutet und später in Worte kleidet. Mit der Metapher „Wie die Heuschrecken kommen sie über unser Land!“ fasst Sturm vor den Landständen den zuvor gezeigten Einzug der Juden in die Stadt Stuttgart zusammen und es werden Konsequenzen gefordert. In Anbetracht der beiden perspektivischen Lesarten von Antisemitismus, Ablehnung oder Vernichtung, kommt hier insbesondere mit Blick auf die Hinrichtung Oppenheimers, unzweifelhaft letztere zum Tragen. Der Film endet mit dem Tode Joseph Süß Oppenheimers und der Verlesung des erneuten Judenbannes für die Stadt Stuttgart durch den Vater von Dorothea.
Auch wenn nicht eindeutig geklärt werden kann wie der Film auf die damaligen Zuschauer gewirkt haben mag, muß er als ein weiteres Mittel gewertet werden, mit dem die Führung des NS-Staates sich bei der Bevölkerung auf subtile Art und Weise Akzeptanz für ihre Maßnahmen gegen jüdische Mitbürger verschaffen wollte. Nicht zuletzt wurden antijüdische Maßnahmen, wie die Einführung des Judensterns, oder Deportationen aus den jüdischen Ghettos mit Vorführungen einer der beiden bekanntesten antisemitischen Hetzfilmen `Jud Süß´ und `Der ewige Jude´ begleitet.
Für die Herstellung und Produktion des seit 1945 mit einem öffentlichen Aufführungsverbot belegten Films `Jud Süß´ wurde niemals ein Beteiligter zur Rechenschaft gezogen. Zwei Prozesse gegen Regisseur Veit Harlan endeten mit einem Freispruch.
Autor: Volker Verhoff
Literatur
Gerber, Barbara: Jud Süß. Ein Beitrag zur historischen Antisemitismus- und Rezeptionsforschung, Hamburg 1990.
Haasis, Hellmut G.: Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer, Hamburg 1998.
Hollstein, Dorothea: Antisemitische Filmpropaganda. Die Darstellung des Juden im nationalsozialistischen Spielfilm, Pullach b. München 1971.
Knilli, Friedrich, Zielinski, Siegfried, u.a.: „Jud Süss“. Filmprotokoll, Programmheft und Einzelanalysen, Berlin 1983.
Kugelmann, Cilly, Backhaus, Fritz (Hrsg): Jüdische Figuren in Film und Karikatur, Sigmaringen 1995.
Mannes, Stefan: Antisemitismus im nationalsozialistischen Film – Jud Süß und Der ewige Jude, Köln 1999.
Bilder
Bilder sind entnommen aus dem Film Jud Süß mit freundlicher Genehmigung der Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung