Michael Peters: Der Alldeutsche Verband am Vorabend des Ersten Weltkrieges (1908-1914). Ein Beitrag zur Geschichte des völkischen Nationalismus im spätwilhelminischen Deutschland. Frankfurt am Main 1996.
Der von 1890 bis 1939 bestehende Alldeutsche Verband war einer der wichtigsten und einflussreichsten Agitationsverbände, der schon seit seiner Gründung – und dann vor allem im Ersten Weltkrieg – eine erhebliche Ausdehnung des Deutschen Reiches (Mitteleuropapläne, Kolonien) forderte und für eine Zurückdrängung ausländischen bzw. „fremdrassigen“ Einflusses eintrat. Er hatte eine breite Basis im Bürgertum, zumal ihm zahlreiche Lehrer und Hochschullehrer angehörten, deren Bedeutung als Multiplikatoren von politisch und gesellschaftlich relevanten Meinungen nicht unterschätzt werden darf. Verstärkt wurde sein Einfluß in der deutschen Gesellschaft durch zahlreiche Tochtergründungen, wie z.B. der Deutschen Vaterlandspartei (1917/18) und dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund (1919-1922/1924). Die im völkischen Nationalismus virulenten politischen Konzepte wurden von den Alldeutschen am prägnantesten formuliert und sollten am radikalsten, nämlich gewaltsam, durchgesetzt werden. Während im Kaiserreich territoriale Expansionspläne und Forderungen zur Unterdrückung der Sozialdemokraten im Vordergrund standen, konzentrierten sich während der Weimarer Republik ihre Bestrebungen auf die Errichtung einer diktatorischen Herrschaft. Besondere Bedeutung kommt dem Verband dadurch zu, daß schon frühzeitig persönliche Kontakte zur NSDAP bestanden, die zahlreiche seiner Vorstellungen übernahm und im „Dritten Reich“ grausame Wirklichkeit werden ließ*.
In seiner von Bernd Jürgen Wendt betreuten, 1991 angenommen Hamburger Dissertation hat sich Michael Peters aufgrund intensiver Auswertung der überregionalen archivischen und der gedruckten Quellen mit dem Alldeutschen Verband am Vorabend des Ersten Weltkrieges beschäftigt. Er konzentriert sich dabei auf die Jahre 1908 bis 1914, weil seit Mai 1908 „ständiger Verkehr“ zwischen dieser Organisation und dem Auswärtigen Amt bestand. Die bis Ende 1911 andauernde geheime Kooperation mit dem Staatssekretär des Auswärtigen, Alfred von Kiderlen-Wächter (1852-1912), umfaßte politische Absprachen über die Frage der Vertiefung des deutsch-österreichischen Bündnisses, über die Stärkung des Deutschtums im Ausland mit Hilfe der Agitationsverbände sowie über innenpolitische Eingriffe in das Verfassungsrecht, die auf die Abschaffung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Reichstagswahlrechts zielten. Seit dieser Zeit versuchte der Alldeutsche Verband, an dessen Spitze seit 1908 der Rechtsanwalt Heinrich Claß (1868-1953) stand, völkisch-biologistische Denkstrukturen auf Kategorien der Staatspolitik zu übertragen und den Antisemitismus hoffähig zu machen.
Peters untersucht den ideologischen und politischen Kurs des Verbandes in den Vorkriegsjahren, die von einer „Rückorientierung“ der deutschen auswärtigen Politik auf kontinentale Positionen, von Wettrüsten und drohender militärischer Konfrontation gezeichnet waren. Zugleich arbeitet er seinen Stellenwert innerhalb des preußisch-deutschen Regierungssystems heraus. Als Hilfstruppe der Regierung bei Wahlen war der Alldeutsche Verband wichtig geworden, zumal die enge organisatorische Verkettung von Parteien und nationalen Agitationsverbänden seine politischen Einflussmöglichkeiten wesentlich stärkte.
Nach einem viel zu knappen Überblick über den Forschungsstand in der Einleitung schildert Peters die Gründung, Struktur, Ideologie und Agitation des Verbandes von 1891 bis 1902, der sich ein Kapitel über die Alldeutschen auf dem weg zur „nationalen Opposition“ (1903-1908/09) anschließt. Der Hauptteil über die Jahre 1908 bis 1914 ist untergliedert in zwei Kapitel über die wachsende Bedeutung der Organisation innerhalb des Regierungssystems vom Amtsantritt Theobald von Bethmann Hollwegs (1856-1921) zur zweiten Marokkokrise 1911 und die alldeutschen Staatsstreich-Forderungen und Kriegsvorbereitungen 1912 bis 1914. Ein kurzer Überblick auf die Zeit des Ersten Weltkrieges und das alldeutsche Kriegszielprogramm rundet die außenpolitisch akzentuierte Darstellung ab. Peter resümiert: „Rückblickend betrachtet waren in den Jahren 1913/1914 sämtliche weltanschaulichen ‚Konstruktionsrisse’ alldeutscher Politik in weiten Schichten der deutschen Öffentlichkeit gesellschaftsfähig geworden. Dem Kriegszielprogramm Claß’ von September 1914 mit seiner Forderung nach einer ‚ethnischen Flurbereinigung’ stimmten etwa nationalliberale Parlamentarier (Bassermann), Agrarkonservative (Wangenheim) und Industrielle (Friedrichs) zu“ (S. 196).
Die Arbeit von Michael Peters ist sehr positivistisch ohne ein theoretisch-analytisches Konzept angelegt. Sie präsentiert viel Material, dessen Auswertung durch das fehlende Register leider erschwert wird. An manchen Stellen wünscht man sich einen dichteren Nachweis seiner Aussagen und einen stärkeren Rückgriff auf die bereits vorliegenden Studien. Das Schaubild zur Verbandsorganisation (S. 85) wird den wechselseitigen Verflechtungen nicht gerecht; hier wäre ein Erläuterungstext notwendig gewesen. Für die „2. korrigierte Auflage“ 1996 ist es unverständlich, daß die Archivbezeichnung des ehemaligen Zentralen Staatsarchivs der DDR in Potsdam nicht dem heutigen Stand (Bundesarchiv Abteilung III) angepasst worden ist.
Autor: Rainer Hering. Erstveröffentlichung in: Auskunft. Mitteilungsblatt Hamburger Bibliotheken 1996/Heft 4, S. 401-403.
Michael Peters: Der Alldeutsche Verband am Vorabend des Ersten Weltkrieges (1908-1914). Ein Beitrag zur Geschichte des völkischen Nationalismus im spätwilhelminischen Deutschland. 2. korr. Aufl.- Frankfurt am Main u.a.: Lang, 1996 (Europäische Hochschulschriften, reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 501).- 323 S.: DM 89,-
Anmerkungen
* Zum Alldeutschen Verband seien hier folgende Monographien genannt: Roger Chickering: We Men Who Feel Most German. A Cultural Study of the Pan-German League 1886-1914. Boston u. a. 1984; Günter Schödl: Alldeutscher Verband und deutsche Minderheitenpolitik in Ungarn 1890-1914. Zur Geschichte des deutschen „extremen Nationalismus“, Frankfurt/M. u.a. 1978 (Erlanger historische Studien 3); Brewster Searing Chamberlin: The Enemy on the Right. The Alldeutscher Verband in the Weimarer Republic 1918-1926. Diss. Maryland 1972; Edgar Hartwig: Zur Politik und Entwicklung des Alldeutschen Verbandes von seiner Gründung bis zum Beginn des 1. Weltkrieges (1891-1914). Phil. Diss. Masch. Jena 1966; Alfred Kruck: Geschichte des Alldeutschen Verbandes 1890-1939. Wiesbaden 1954 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz 3); Mildred Salz Wertheimer: The Pan-German League 1890-1914. Diss. New York 1924.