Joseph Goebbels zweifelhafte Karriere – ein gescheitertes Experiment
Es ist auffällig, dass fast alle, die sich filmisch mit dem Themenkreis ´Drittes Reich´ heute – 60 Jahre nach Kriegsende – auseinandersetzen, ein kinematografisches Tabu brechen wollen. Doch nur den wenigsten gelingt es. Filmemacher als Tabuzerstörer, die verstören wollen, aufrütteln vielleicht. Die einen, indem sie das jahrelange Schweigen einer Familie über die Greueltaten des Nazi-Vaters brechen (Malte Ludin mit „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“), die anderen, in dem sie homosexuelle Nazis von damals und heute zu Wort kommen lassen, ohne selbst Stellung zu beziehen (Rosa von Praunheim mit „Männer, Helden und schwule Nazis“).
Auch Lutz Hachmeisters Dokumentation „Das Goebbels-Experiment“ verzichtet auf jeden Kommentar. Stattdessen werden ausschließlich die Tagebucheintragungen von Joseph Goebbels zitiert. Bis April 1945 hat der Reichspropagandaminister akribisch, ja manisch fast, Tagebuch geschrieben. Von russischen Truppen beschlagnahmt, wurden sie erst 1990/91 für westliche Historiker zugänglich gemacht und von Lutz Hachmeister, dem ehemaligen Direktor des Adolf-Grimme-Instituts und Michael Kloft, dem Chef-Historiker bei „Spiegel-TV“, nun in Auszügen verfilmt.
Der Film erinnert an das ihm vorangegangene Experiment, das „Himmler-Projekt“ von Romuald Karmakar, in dem er über dreieinhalb Stunden hinweg einen Schauspieler eine Himmler-Rede von 1943 rezitieren lässt. Doch leider gelingt es dem „Goebbels-Experiment“ im Gegensatz zum „Himmler-Projekt“ nicht, die Grausamkeit und innere Logik des NS-Regimes zu transportieren.
Woran liegt das? Schon handwerklich erlaubt sich der Film so einiges: schnell geschnittene Originalaufnahmen, gespickt mit Tagebuchaufzeichnungen Goebbels´ unterlegt mit leichter Hintergrundmusik. Besänftigend möchte man sie kaum nennen, als besäuselnd nicht unbedingt erkennen. In diesem subtilen Konglomerat werden dem Zuschauer die Stationen von Goebbels´ Leben vermittelt – von seiner Kindheit im wohlbehüteten Kleinbürgertum bis zum Selbstmord samt Familie im Führerbunker, vom Geisteswissenschaftler zum jüngsten Minister Europas, dessen Propaganda das Bild des Dritten Reiches wesentlich prägte.
Präsentiert wird im Grunde das Psychogramm eines zerrissenen, kränklich und innerlich vereinsamten, machtbesessenen Mannes, der am Ende intellektuell, politisch wie moralisch scheitert. Präsentiert wird er uns mit gefälligen Bildern und Zitaten aus seinen, in den Jahren 1924-1945 verfassten, rund 7000 Seiten Tagebuch und gänzlich ohne kommentierende oder gar kritische Stimme.
Die ausgewählten Zitate wie z.B. „Ich habe keinen Freund und keine gute Frau. Es ist zum Verzweifeln. Es ist mir, als stände ich in einer großen, geistigen Krise. (…) Ewig Schmerzen und Unannehmlichkeiten. (…)“, könnten für sich genommen fast Mitleid erregen. Sowohl Kenneth Branagh für die englische als auch Udo Samel für die deutsche Fassung – bemühen sich, seine Aufzeichnungen mit Sachlichkeit und Distanz vorzutragen, doch hin und wieder schleichen sich auch hier leise Intonationen ein, fast so als läsen sie Gedichte von Shakespeare oder Goethe.
Klar wird, dass Goebbels als Politiker und Agitator eine filmische, fast theatralische Figur im NS-Regime war. Was übrig bleibt: Joseph Goebbels in permanenter Inszenierung und Selbstinszenierung. Vom Volk wurde ihm der Spitzname „Reichslügenbold“ verliehen, ein Euphemismus, der eher an die lange Nase eines Pinocchio erinnert als daran, dass der manisch-depressive Propagandachef dieses Regimes hingegen zum Synonym für opportunistische, gefährliche Demagogie geworden ist, bekannt für eine unvergleichlich zynische Propaganda. Das geht aus dem „Goebbels Experiment“ leider zu wenig hervor, da es den Reichspropagandaminister vollkommen ungefiltert zu Wort kommen lässt. Autor und Regisseur scheinen darauf zu vertrauen, dass ihre Zuschauer die entsprechend notwendigen historischen Kenntnisse für diese entkontextualisierte Geschichtsdokumentation mitbringen. In jedem Fall liefern sie damit auch Stoff für den medientheoretischen Diskurs über den paternalistischen Umgang mit dem Zuschauer im Kontext des NS-Themas.
In der Konfrontation mit dem modernen Medien-Politiker Joseph Goebbels hat das Medium Film in diesem Fall versagt und dabei nützt es ihm nichts, sich vorab als „Experiment“ mit impliziter Möglichkeit des Scheiterns ausgegeben zu haben. Der Film ist nicht nur nicht experimentell, sondern auch nicht innovativ. Auch den Perspektivenwechsel auf die Täterseite haben neben Karmakar schon einige andere vor ihm gewagt. Und ein Zyniker könnte eben dieses Scheitern deuten als ein 1:O für die faschistische Rhetorik.
Das, was verstörend ist, ist bei Hachmeister gefällig, und damit ist das Verstörende des Films, dass das Verstörende fehlt.
Originaltitel: Das Goebbels-Experiment
Regie: Dr. Lutz Hachmeister
Drehbuch: Michael Kloft / Dr. Lutz Hachmeister
Genre: Dokumentation
Land: Deutschland, 2004
Länge: 107 min
Premiere: 14. April 2005 / Deutschland
FSK: ab 12 Jahren
Verleih: Salzgeber