Rezension über: |
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Christian Schneider / Cordelia Stillke / Bernd Leineweber: Das Erbe der Napola. Versuch einer Generationengeschichte des Nationalsozialismus. 2. Auflage. Hamburger Edition, Hamburg 1997, 394 Seiten, ISBN 3-930908-25-5, EUR 30,00. |
Die Nationalsozialisten waren überzeugt, dass mit der Machtübernahme durch Hitler eine neue welthistorische Epoche begonnen hatte. Gerade die Jugend sollte daher früh auf Führungsaufgaben im „Tausendjährigen Reich“ vorbereitet werden. Diesem Ziel dienten vor allem die sogenannten „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten“, kurz „Napola“. Auf ihnen sollte eine ausgewählte Zahl von Schülern zur künftigen Elite für Verwaltung, Partei und Militär im nationalsozialistischen Führerstaat herangebildet werden. Obwohl an den Napolas auch der übliche allgemeinbildende Schulstoff unterrichtet wurde, nahmen weltanschauliche Erziehung, sportliche und vormilitärische Ausbildung einen breiteren Raum ein. Bereits 1933 wurden in Plön, Potsdam und Köslin die ersten dieser Napolas gegründet, 1942 waren es im ganzen Reich 33 Schulen mit insgesamt rund 6.000 Schülern. Aufnahmebedingung war neben arischer Abstammung, nachgewiesener Erbgesundheit auch körperliche Leistungsfähigkeit und überdurchschnittliche Begabung. Söhne von Parteiaktivisten und sogenannten alten Frontkämpfern wurden bei der Aufnahme bevorzugt. Der Schulalltag war kasernenartig organisiert, militärische Rituale und Regeln wie Morgenappelle und die strikte Orientierung des Zusammenlebens am Prinzip von Befehl und Gehorsam prägten den Schulalltag. Die Schüler sollten so zur unbedingten Gefolgschaft gegenüber ihren Führern gedrillt werden. Nur dieses, so die NS-Ideologie, qualifiziere dazu, später selbst eine Führungsposition im NS-Staat einzunehmen.
Im Mittelpunkt dieses in der Edition des „Hamburger Instituts für Sozialforschung“ herausgegebenen Bandes stehen Erfahrungen und Erlebnisse der Angehörigen dieser Schulen. Im Sinne eines generationenübergreifenden Ansatzes wird auch nach dem Weiterwirken der Napolaschulung auf die Kinder und Enkel gefragt. Die Autoren haben dazu eine Reihe von ehemaligen Schülern in ausführlichen Interviews befragt, deren Zusammenfassungen und Bewertungen den Hauptteil des Buches ausmachen. Beinahe übereinstimmend erklären dabei die ehemaligen Napolaschüler, dass sie die ideologische Schulung als weniger prägend für ihr späteres Leben empfinden als die Organisation des Schulalltags. Die Reglementierung des Schulablaufs, der Zwang zur Unterordnung und die ständige Verpflichtung zu Höchstleistung und Bewährung vor der Gruppe hinterließen dagegen bleibende Eindrücke. Bemerkenswert: Vor allem der Zwang zum Zusammenleben innerhalb der Gruppe bleibt vielen Napolaschülern als Gemeinschaftsleben positiv in Erinnerung. Beinahe ebenso positiv beurteilen viele der Ehemaligen die Ausrichtung der Erziehung an ein Ideal. Auch wenn der Nationalsozialismus selbst verurteilt wird, schätzen sie noch immer die Unterordnung des Individuums unter ein höheres Ziel als einen Wert an sich. Tatsächlich waren diese Eigenschaften auch in Industrie und Verwaltung der bundesdeutschen Wirtschaftswunderzeit gefragt. So haben auch mehrere der Interviewten in der Nachkriegsgesellschaft, etwa in Führungspositionen in der Wirtschaft Karriere gemacht. Insgesamt zeigen die Interviews dennoch das Bild einer zerrissenen Generation, die einerseits mit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus die Welt verlor, an die sie als Kinder und Jugendlichen vielfach glaubten. Andererseits konnten sie sich nicht von dem Ideal der Unterordnung der eigenen Bedürfnisse unter die einer Gemeinschaft lösen und sehen sich noch immer unter dem Druck sich bewähren zu müssen – nach Ansicht der Autoren ein unmittelbares Ergebnis der Napola-Erziehung.
Aufschlussreich sind auch die Interviews mit den Söhnen und Töchtern der ehemaligen Napola-Schüler. Selbst in der zweiten Generation wirken die Napola-Ideale der Auslese und des Bewährungskampfes weiter. Viele der Kinder, inzwischen selbst längst erwachsen, berichten, wie sie unter Erwartungs- und Leistungsdruck der Eltern standen. Auch wenn man die streng psychoanalytische Perspektive der Autoren nicht teilt und die Interpretationen der Interviews im Einzelfall nicht immer transparent sind, anregend ist diese Studie in jedem Fall. Der Frage, wie weit Verhaltensnormen und Ideale, die während der NS-Diktatur eingeübt wurden, auch in der Nachkriegsrepublik weiterwirkten – jenseits politischer Bekenntnisse – sollte in jedem Fall noch mehr nachgegangen werden.
Autor (Rezensent): Dr. Bernd Kleinhans M.A.