Jud Süß und Der ewige Jude sind berüchtigt. Großes Kino als großes Propagandawerkzeug. Diese Hintergedanken und seine bekannte, explizite Vorliebe für Filme und ihre Darstellerinnen waren es nicht zuletzt, die Reichspropagandaminister Joseph Goebbels dazu inspirierten, der Kunst endgültig ihre Freiheit zu nehmen. Ausgerechnet das Kriegsjahr 1940 sollte gleich zwei Filme aus seiner unheiligen Taufe heben: „Jud Süß“ von Veit Harlan und „Der ewige Jude“ von Fritz Hippler und Eberhard Taubert. Die Handlungen beider Filme verfolgten nur einen einzigen Zweck: Den Antisemitismus in aller Deutlichkeit zu verherrlichen und auch jenen Menschen in der Bevölkerung als Gebot der Stunde zu vermitteln, die bis dato noch wenig bis gar keine Berührungspunkte mit der Rassenideologie des Dritten Reiches aufoktroyiert bekommen hatten. Kino als Massenmedium: In diabolischer Genialität hatte die Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten eine neue Art von Film, eine neue Dimension von PR geschaffen. Die Filmindustrie hat sich bis heute nicht von diesem Missbrauch erholt. Umso lobenswerter erscheint die Auseinandersetzung mit diesem Thema aus historischer Sicht.
Die Publikation hatte ihre Auflage 1998 in der filmwissenschaftlichen Reihe des Kölner Teiresias Verlages. Nach dessen Einstellung war das Buch lange nicht erhältlich. Nun ist es in einer leicht veränderten Neuauflage erschienen.
Der Autor nähert sich den beiden Filmen, die den Mittelpunkt seiner Betrachtungen bilden, zuerst getrennt voneinander. Nach einer übersichtlichen Einleitung, die die Rolle des Films als Propagandainstrument im Dritten Reich beleuchtet, arbeitet er mit gebotener Präzision die antisemitischen Sequenzen heraus. Jeder Film wird im Hinblick auf seine historische Einordnung und seine Entstehungsgeschichte beleuchtet. Abschließend folgt eine punktgenaue, handlungschronologische Analyse. Spätestens hier wird klar, dass der Autor sich selbst im Zuge der Recherchen nicht geschont hat. Beide Filme verlangen uns auch aus heutiger Sicht noch einiges an Überwindung ab, Jahrzehnte nach ihrer Veröffentlichung. Folgt man Stefan Mannes Ausführungen, wird auch historisch weniger beschlagenen Leser*innen klar, warum eine öffentliche Aufführung beider Filme bis heute verboten ist. Die Sprache ist zu hetzerisch, und weder Dramaturgie noch Dialoge sparen mit Vorurteilen und Klischees. Im fünften Teil des Buches werden beide Propagandafilme miteinander verglichen. Besonders bemerkenswert erscheint in diesem Kontext das Herausarbeiten der deutlichen Schwächen, die beide Machwerke aus heutiger Sicht sehr wohl aufzeigen. So mussten beide Filme ganz nebenbei auch noch kommerziell einigermaßen erfolgreich werden, was die angedachte Botschaft zugunsten eines gewissen Unterhaltungswertes doch schmälerte. Außerdem sorgten die explizit brutalen Szenen in „Jud Süß“ für einen ungewollten Bumerang-Effekt. Doch im Vordergrund steht, was im Vordergrund stehen soll: Die Juden und ihre minderwertigen arischen Helfer kommen in beiden Werken naturgemäß nicht gut weg. Ihnen widerwärtige, kriminelle Handlungen als Tagesgeschäft anzudichten, war den Ausführenden dabei ebenso recht, wie das immer wieder vorkommende Stilmittel der Ausweglosigkeit als dramaturgisches Ultimatum.
Mit Sicherheit der schwierigste Teil dieser kritischen Auseinandersetzung ist jener, der die Durchschlagskraft und den Effekt der beiden Filme im Hinblick auf ihren propagandistischen Selbstzweck beleuchten soll. Die Zuschauer*innenzahlen sind zwar ungefähr bekannt, wie sehr die beiden Leinwand-Epen jedoch wirklich die Volksmeinung beeinflussen konnten und somit indirekt auch den weiteren Verlauf des Krieges, kann nur vorsichtig gemutmaßt werden. Der Autor lässt sich hier auch nicht zu Spekulationen hinreißen. Klar abgegrenzt jedoch werden die Veröffentlichung von „Jud Süß“ und der „Ewige Jude“, was die Umsetzung der „Endlösung“ und das Anläuten des Holocaust in all seinen bestialischen Formen betrifft. Diese Schuld kann man selbst großem Kino, auch wenn es minutiös instrumentalisiert und für die damaligen Verhältnisse aus rein cineastischer Sicht großartig umgesetzt wurde, wirklich nicht aufbürden.
Ein paar Vorkenntnisse schaden sicher nicht, wenn man sich das Buch zu Gemüte führen will. Der Autor taucht recht unvermittelt in das zentrale Thema ein und folgt dem roten Faden konsequent. Allerdings punktet „Antisemitismus im nationalsozialistischen Film“ mit einer klaren Gliederung und einer Sprache, die die teils schwere Kost leichter genießbar macht. Ein Abkürzungs- und Personenverzeichnis sind bei historischen Fachbüchern ebenso gern gesehene, wie unverzichtbare Bestandteile, wie ausführliche Literatur- und Quellenangaben. Sie wissen all jene zu schätzen, die das Thema vertiefen möchten. Eine tabellarische Faktenbox erleichtert das Behalten des Überblicks.
Glücklicherweise konnte die Publikation dem Reiz erfolgreich widerstehen, in Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen. Es repräsentiert – im Gegenteil – ein gutes Beispiel dafür, wie man sich einem äußerst schwierigen historischen Thema nähert, ohne sich davon verschlingen zu lassen. Die Abgründe, die dem Überbegriff „NS-Propaganda“ anhaften, sind wahrhaft tief und bis heute nicht zufriedenstellend überwunden. Jedes Buch wie dieses, das sich diesem ausufernden Sujet objektiv und unaufgeregt zu nähern versteht, ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. An echte, schonungslos ehrliche Aufarbeitung ist ohnehin – wie jüngste politische Entwicklungen zeigen – noch lange nicht zu denken.
Autorin: Hannah Fischer
Mannes, Stefan: Antisemitismus im nationalsozialistischen Film – Jud Süß und Der ewige Jude, 2. überarbeitete Auflage, Norderstedt 2021.