Mit dem Untergang der Österreichisch-Ungarischen Monarchie im Jahre 1918 war das „alte Österreich“ gestorben. Dr. Karl Renner, erster Staatskanzler, mußte bei den Friedensverhandlungen in St. Germain das „Friedensdiktat“ unterzeichnen. Auf der Rampe des Wiener Parlaments rief er am 12. November 1918 die „Republik Deutsch – Österreich“ aus. Der Anschluß an Deutschland schien zweckmäßig, zumal niemand an dieses „der Rest ist Österreich“ glaubte.
Die weitere politische Entwicklung in Österreich verlief turbulent, – niemand glaubte an diesen Staat: Hunger, Not, Armut, Inflation. 1933: Auflösung des Parlamentes und Ausrufung des „Ständestaates“. („Im Namen Gottes …“). In Österreich herrschten bereits vor dem „Anschluß“ keine demokratischen Verhältnisse: Verbot aller politischen Parteien. 1934: „Februaraufstand“ der Sozialdemokraten. 1934: Putschversuch der Nationalsozialisten, – der autoritär und diktatorisch regierende Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß wird von österreichischen Nationalsozialisten ermordet. In der Folge übernahm Dr. Kurt von Schuschnigg die Regierung. Auch er regierte autoritär. Ein klerikal geprägter „Austrofaschismus“ beherrschte die Menschen, mancherorts wurden Menschen, die ihren Kirchenaustritt erklärten, in psychiatrische Anstalten zwangsweise eingewiesen.
Nach der Zusammenkunft in Berchtesgaden (Abkommen von Berchtesgaden mit Adolf Hitler) plante Bundeskanzler Dr. Schuschnigg eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs. Dies nahm Hitler zum Anlaß zur Okkupation. Der Einmarsch der deutschen Truppen verlief reibungslos, hunderttausende Menschen jubelten dem „Führer“ zu, viele, besonders jüdische Mitbürger, begingen Selbstmord.
Bereits am 12. März abends landeten Reichsführer-SS Himmler und der Chef des SD, Heydrich, in Wien. Listen der österreichischen Oppositionellen (Sozialdemokraten, Kommunisten, Christlichsoziale) waren vorhanden. Auch die Exekutive und das Österreichische Bundesheer waren zu diesem Zeitpunkt bereits von nationalsozialistischen Kräften durchsetzt. Gegner des Regimes wurden in Schutzhaft genommen. Die Führung der NSDAP – Österreich stellte sich diesen „Anschluß“ so nicht vor. Dr. Arthur Seyss-Inquart und der provisorische Gauleiter Klausner hatten eine Art von Teilsouveränität angestrebt. Erst das frenetische Jubeln der Österreicher veranlaßte den „Führer“, den kompletten Anschluß an das Deutsche Reich zu vollziehen. Gauleiter Bürckel wurde beauftragt, die „Abstimmung“ am 20. April zu organisieren. Das Resultat: Über 99 % für Hitler. Tausende politische Gegner wurden bereits vorher verhaftet, dies unter tatkräftiger Beteiligung der österreichischen Exekutive.
Die Folgen für Österreich: 90.000 kg an gemünztem und ungemünztem Gold im damaligen Wert von rund 540 Millionen Schilling wurde an die Reichsbank Berlin transferiert, zuzüglich Valuten und Devisen im Werte von etwa 60 Millionen Schilling. Der Nationalbankausweis vom 23. Februar 1938 wies einen Bestand von etwa 250 Millionen Schilling aus. Das Deckungsverhältnis war seit dem 31. Dezember 1934, an dem es 32,3 % betrug, auf etwa 45 % gestiegen. – Österreich wäre wirtschaftlich lebensfähig gewesen, politisch nicht. Unter anderem erhielt das Deutsche Reich 1.909 Lokomotiven, 249 elektrische Triebfahrzeuge, u.a. die gesamten österreichischen staatlichen Betriebe (Erzberg, sämtliche Rechte an staatlichen Betrieben und deren Nutzungsrechte). Hermann Göring äußerte sich mehrmals, daß die deutsche Aufrüstung ohne den Anschluß Österreichs nicht so reibungslos vonstatten gegangen wäre.
Mehrmals intervenierten die Führer der Österreichischen NSDAP bei Adolf Hitler, die Eigenständigkeit Österreichs zu bewahren. Aufgrund der Antipathie Hitlers gegenüber seiner alten Heimat und aufgrund der Empfehlung des Reichsaußenministers Joachim von Ribbentrop wurde den Wünschen der Österr. NSDAP nicht stattgegeben. Hitler, der im Grunde Österreich haßte, löschte auch den Namen aus. Aus Österreich wurde „Ostmark“, dann „Alpen- und Donau – Reichsgaue“.
Aufgrund der Nürnberger Rassengesetze wußten die österreichischen Juden, was sie erwartete. Viele österreichische jüdische Mitbürger verließen daher ihre Heimat. Folgend eine unvollständige Aufzählung der prominentesten Vertriebenen und auch teilweise ermordeten Österreicher (großteils jüdische Mitbürger).
Abraham Paul, Operettenkomponist
Adamovich Ludwig, Univ.-Prof. für Staats- und Verwaltungsrecht
Bauer Otto, Dr., Sozialdemokratischer Parteiführer
Benatzky Ralph, Dr., Komponist (Im weißen Rößl)
Csokor Franz Theodor, Prof., Präsident des österr. PEN-Clubs
Coudenhove-Kalergi Richard Nikolaus, Univ.-Prof., Dr. phil. (Begründer des Europa-Gedankens)
Dobretsberger Josef, Univ.-Prof. für Nationalökonomie
Eysler Edmund, Operettenkomponist
Farkas Karl, Prof., Kabarettist
Hochwäler Fritz, Schriftsteller (Das heilige Experiment)
Holzmeister Clemens, Prof., Architekt
Horvath Ödön von, Schriftsteller
Jungnickel Ludwig Heinrich, Maler
Kelsen Hans, Univ.-Prof, Dr. jur., Schöpfer des Österreichischen Verfassungsrechtes (nach 1945 von bedeutenden österreichischen Juristen als „Der Jude Kelsen“ bezeichnet.)
Kreisler Fritz, Violinvirtuose und Komponist
Krips Josef, Prof., Dirigent
Landsteiner Karl, Univ.-Prof. Dr. med., Nobelpreisträger 1930. Entdecker der Blutgruppen und des Rhesusfaktors
Leopoldi Hermann, Kabarettist
Loewi Otto, Univ.-Prof. Dr. med., Nobelpreis für die wissenschaftliche Entdeckung der chemischen Übertragung der Nervenimpulse
Musil Robert, Schriftsteller (Der Mann ohne Eigenschaften)
Reinhardt Max (eigentlich Goldmann), Regisseur
Roda Roda Alexander (eigentlich Rosenfeld), Schriftsteller
Schönberg Arnold, Komponist
Schrödinger Erwin, Dr. phil., Physiker (Wellenmechanik), Nobelpreis 1933
Schumpeter Josef Alois, Professor für Volkswirtschaft
Stolz Robert, Prof., Operetten- und Schlagerkomponist
Tauber Richard, Staatsopernsänger
Thimig Helene, Schauspielerin (Gattin Max Reinhardts)
Walter Bruno, Dirigent
Weigel Hans, Schriftsteller
Werfel Franz, Schriftsteller (das Lied von Bernadette)
Wotruba Fritz, Prof., Bildhauer
Zuckmayer Carl, Schriftsteller
Zweig Stefan, Schriftsteller
Autor: Ingo Mirsch
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Brook-Shepherd, Gordon. Der Anschluß. (Graz, Wien, Köln 1963).
Chorherr, Thomas (Hrsg.). 1938 – Anatomie eines Jahres. (Wien 1987).
Danimann, Franz (Hrsg.). Finis Austriae. Österreich, März 1938. […] Wien, München, Zürich. (1978).
Jochmann, Rosa. Ein Kampf, der nie zu Ende geht. Reden und Aufsätze. Herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung von Hans Waschek. (Wien 1994).
Klusacek, Christine. Österreichs Wissenschaftler und Künstler unter dem NS-Regime. Wien, Frankfurt, Zürich. 1966. (=Monographien zur Zeitgeschichte. Schriftenreihe des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes.)
Kreisky, Bruno. So kam es zum 13. März. Mit dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler sprachen Michael Frank und Wilhelm Saekel. Bericht aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 19. Februar 1988. [Sonderdruck]
Malina, Peter – Spann, Gustav. Bibliographie zur österreichischen Zeitgeschichte 1918 . 1978. Eine Auswahl. Wien 1978. (=Politische Bildung Heft 28/29/30)
Pauly, Bruce F. Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich. (Wien 1988).
Pelinka, Anton – Weinzierl, Erika. (Hrsg.). Das Große Tabu. Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit. (Wien 1987).
Romanik, Felix. Österreichs wirtschaftliche Ausbeutung 1938 – 1945. Wien, Frankfurt, Zürich. 1966. (=Monographien zur Zeitgeschichte. Schriftenreihe des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes.)
Safran, Hans – Witek, Hans. Und keiner war dabei. Dokumente des alltäglichen Antisemitismus in Wien 1938. Mit einem Vorwort von Erika Weinzierl. (Wien 1988).
Taos, Emmerich – Hanisch, Ernst – Neugebauer, Wolfgang. (Hrsg.). NS – Herrschaft in Österreich 1938 – 1945. (Wien 1988).
Weissensteiner, Friedrich. Der ungeliebte Staat. Österreich zwischen 1918 und 1938. (Wien 1990.)
1938. (Textzusammenstellung und Konzeption: Dr. Brigitte Pellar, Karin Jahn.) (Wien 1987.)