Angesichts der Ukraine-Krise und den Olympischen Spielen in China wird wieder viel über Menschen- und Völkerrechte diskutiert. Der deutsch-französische Spielfilm „Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush“ erinnert nun daran, dass hinsichtlich der Einhaltung dieser wichtigen Rechte auch in der westlichen Hemisphäre nicht immer alles rund läuft.
Das Drama von Regisseur Andreas Dresen und Autorin Laila Stieler erzählt den Leidensweg von Murat Kurnaz (Abdullah Emre Öztürk) aus der Sicht seiner Mutter Rabiye (Meltem Kaptan). Sie ist davon überzeugt, dass ihr Sohn zu Unrecht von den US-Streitkräften im Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba festgehalten wird. Wie eine Löwin kämpft die leidenschaftliche Hausfrau für die Freilassung ihres Sprösslings. Sie schließt sich sogar einer Sammelklage gegen den amerikanischen Präsidenten an.
In den 2000er Jahren erregte der „Fall Kurnaz“ viel Aufmerksamkeit. Murat Kurnaz wurde im November 2001 bei einer Routinekontrolle von Polizeikräften in Karatschi festgenommen. Offenbar hielten sie ihn für einen islamischen Terroristen. Presseberichten zu Folge übergab das pakistanische Militär den Gefangenen Ende November gegen ein Kopfgeld von 3000 Dollar an die US-Streitkräfte in Afghanistan. Nach Angaben von Kurnaz verbrachten ihn die Amerikaner zunächst auf die US-Air Force Base im Kriegsgebiet bei Kandahar. Dort habe er in einem provisorischen Gefangenenlager unter offenem Himmel ausharren müssen. Schließlich sei er als „feindlicher Kämpfer“ eingestuft und im Januar 2002 zum Gefangenenlager Guantanamo verlegt worden.
In seiner Autobiografie „Fünf Jahre meines Lebens“ beschreibt der gebürtige Bremer, wie er in Afghanistan und Guantanamo durch US-Streitkräfte mehrfach gefoltert wurde, beispielsweise durch Schlafentzug, Waterboarding und ständige Schläge. Kurnaz behauptet auch, Ende 2001 von Spezialkräften der Bundeswehr in Afghanistan misshandelt worden zu sein.
Erst 2006 kam Kurnaz wieder frei. Nach einem Urteil des US-Supreme-Courts, der die Inhaftierung der Gefangenen ohne Gerichtsverfahren für rechtswidrig hielt, war der öffentliche Druck auch auf die deutsche Politik schließlich so groß geworden, dass die Merkel-Regierung ihn zurück nach Deutschland holte.
Im Jahr 2011 veröffentlichte „Wikileaks“ unverschlüsselt US-Botschaftsdepeschen, die den damaligen Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, in Erklärungsnot brachten. Der „stern“ berichtete, dass Oppermann laut den Dokumenten den gefangen gehaltenen Murat Kurnaz 2002 für „sozusagen unschuldig“ hielt, obwohl Oppermann im BND-Untersuchungsausschuss 2007 das Gegenteil behauptet hatte. 2007 verteidigte Oppermann mit seiner Aussage den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Letzterer soll 20002 als Kanzleramtschef das Angebot der Amerikaner abgelehnt haben, Kurnaz zurück nach Deutschland zu bringen. Akten dazu verschwanden während des Untersuchungsausschusses auf ungeklärte Weise.
Tatsächlich fing der angehende Schiffsbauer im Herbst 2001 damit an, sich für den Islam zu interessieren. Der damals 19-Jährige besuchte die Bremer Abu-Bakr-Moschee, ließ sich einen Bart wachsen und nahm Kontakt zur „Tablighi Jamaat“-Organisation auf. Dabei handelt es sich um eine sunnitische Missionsbewegung, die ihre Mitglieder zu einem streng an Koran und Sunna ausgerichteten Leben animieren will. Weil Kurnaz kurz nach dem 11. September 2001 von Frankfurt nach Karatschi flog, um dort an Koran-Schulungen der Bewegung teilzunehmen, machte ihn das allein schon verdächtig.
In „Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush“ spielen diese Hintergründe eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht die liebende Mutter, der das Herz bricht, dass ihrem Sohn Unrecht getan wird. Kaum hat sie den ersten Brief aus dem Gefängnis erhalten, sucht sie den Juristen Bernhard Docke (Alexander Scheer) auf. „Ein humorvolles Energiebündel trifft auf asketischen Anwalt“, wie es Regisseur Dresen beschreibt. Dabei fokussiert sich der Film nicht auf rechtliche oder politische Fragen, sondern dokumentiert die Hartnäckigkeit einer Frau mit dem Herz auf dem richtigen Fleck. Sie schafft es schließlich durch ihre Leidenschaft, die Aufmerksamkeit des Falles „Kurnaz“ in der Öffentlichkeit präsent zu halten, einen Erfolg vor dem US-Surpreme-Court einzufahren und so zur Freilassung ihres Sohnes entscheidend beizutragen. Und das alles, obwohl sie noch einen Alltag mit weiteren Kindern zu bewältigen hat. „Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush“ ist ein Mutmacher-Film für die Zivilgesellschaft. Das Drama räumte auf der Berlinale zwei Goldene Bären ab. Laila Stieler erhielt einen für das „Beste Drehbuch“, Meltem Kaptan den anderen für die „Beste Hauptdarstellerin“. Verdient!
Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush
Regie: Andreas Dresen
Berlinale – Sektion Wettbewerb