
Nahostkonflikt – Kriege und Aufstände von 1947 bis 2021 (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Jeder Konflikt gebiert seine Schlagworte: „Nakba“, „Okkupation“, „Widerstand“, „Terror“. Wir jonglieren damit in Kommentarspalten, Talkshows und Schulhöfen, als ließen sich Jahrhunderte mit einem Etikett bändigen. Die schmerzhafteste Vokabel aber lautet seit jeher Schuld. Wer trägt sie – die Juden? die Araber? die Großmächte? Das Bedürfnis nach einem eindeutigen Schuldigen ist zutiefst menschlich; es verspricht moralische Entlastung, lenkt den Blick nach außen und macht Hoffnung auf schnelle Gerechtigkeit. Doch dieses Bedürfnis kollidiert ständig mit der Wirklichkeit eines Landes, in dem jede Entscheidung auf Schichten älterer Entscheidungen trifft wie eine Schaufel auf versteinerten Lehmboden.
Dieser Text versucht, genau dort anzusetzen: nicht noch ein Urteil zu fällen, sondern die Knotenpunkte sichtbar zu machen, an denen Menschen echte Alternativen hatten – und warum sie sich dennoch für Gewalt, Verdrängung oder Zögerlichkeit entschieden. Um diese Wendestellen freizulegen, gliedert die Reportage zwei Jahrtausende Geschichte in zwölf großen Epochenabschnitte. Am Ende jedes Abschnitts steht ein „Schuld-Stop“. Er fasst in wenigen Sätzen zusammen, wo Verantwortung damals tatsächlich lag und warum sie nicht dauerhaft an Ethnien oder Religionen vererbt werden kann.
So wird ein Muster erkennbar: Schuld wandert. Sie haftet mal an römischen Kaisern, mal an imperialen Kolonialbeamten, mal an zionistischen Siedlungsplanern oder palästinensischen Milizenführern. Sie ist keine unveränderliche Eigenschaft, sondern eine Folge verpasster oder missbrauchter Handlungsspielräume. Wer die Gegenwart begreifen will, muss also lernen, Schuld nicht wie Eigentum zu inventarisieren, sondern wie Energie zu verfolgen – wo fließt sie hin, wann entlädt sie sich, wer hätte den Strom unterbrechen können?
Der Text bietet keine einfachen Antworten, aber er lädt ein zu einem Reflexionsprozess, in dem die Frage „Wer ist schuld?“ nicht länger Endpunkt der Debatte bleibt, sondern ihr Ausgang. Wenn wir verstehen, wie Verantwortung gewandert ist, erkennen wir vielleicht auch, wo sie heute wieder Halt machen könnte – und wie viel Gestaltungsmacht in den Händen der Lebenden liegt.
1. Rom, Exil und die Entstehung einer Sehnsucht (70 n. Chr. – 19. Jahrhundert)
1.1 Titus – der Funke der Vertreibung
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70 n. Chr.: Nach vierjährigem Aufstand gegen Rom stürmen Legionen des Feldherrn Titus Jerusalem. Der Tempelberg brennt; im Triumphzug schmückt der Menora-Reliefbogen in Rom den Sieg. Etwa 97 000 Judäerwerden laut Josephus versklavt oder nach Italien verschleppt.
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Archäologische Spuren zeigen, dass eine Restgemeinde in Galiläa weiterlebt: Münzserien mit hebräischen Sprüchen „Für die Erlösung Zions“ datieren bis ins 3. Jahrhundert, Synagogen in Naaran oder Sepphoris entstehen auf alten Bauernhöfen.
1.2 Hadrian – das Verbot der Erinnerung
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132–135 n. Chr.: Simon Bar-Kochba sammelt Veteranen des ersten Aufstands sowie Diaspora-Freiwillige aus Ägypten und Zypern. Roms Gegenreaktion ist radikal: Die Legio X Fretensis schleift 50 Ortschaften, pflügt Jerusalems Tempelplateau mit Schweineblut um.
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Hadrian verbietet Juden den Zutritt zur Stadt, errichtet darüber Aelia Capitolina und tauft die gesamte Provinz in „Syria Palaestina“ um – ein symbolischer Schnitt, der den geografischen Namen „Palästina“ in offizielle Urkunden katapultiert.
1.3 Diaspora-Fächer: Fünf Wanderachsen
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Mesopotamien – Akademien in Nehardea & Sura gebären den Babylonischen Talmud; Euphrathändler verknüpfen jüdische Gemeinden bis nach Indien.
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Arabische Halbinsel – Spuren in Medina (Banu Qaynuqa), Jemenitische Hymnen (Nashid-Dellal) und Hebräische Kupferminen in Timna.
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Nordafrika & Andalusien – Der Geograf Al-Idrisi (1154) erwähnt jüdische Weinhändler in Almería, die die Steuerpacht für Karfunkelstein-Exporte halten.
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Mitteleuropa – Erste Schutzbriefe Karls des Großen, später Kreuzfahrerpogrome am Rhein (1096) und Pest-Massaker (1348/49).
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Osteuropa – Polen-Litauen lädt „Leute Moses’“ als Steuerpächter; um 1760 entsteht die Chassidische Bewegung im Gebiet Podolien.
1.4 Liturgie als Geografie
Dreimal täglich enthält das Amida-Gebet den Passus „Bring uns in Frieden nach Zion“. Die Liturgie konserviert Jerusalem mental; Silberschmiede in Krakau gravieren auf Kiddusch-Becher „Wenn ich dich, Jerusalem, je vergesse …“. Theologisch wird Zion zum Sehnsuchtsvektor, politisch bleibt er Fiktion – bis ins 19. Jahrhundert.
Schuld-Stop 1
Rom stößt die Diaspora an. Spätere Herrscher – Byzantiner, Kalifen, Kreuzfahrer, Osmanen, Fürsten Europas – nutzen jüdische Mobilität oder Verletzbarkeit für Steuern, Sündenbock-Politik oder kulturelle Blüte; doch der moderne Territorial-Konflikt entsteht erst, als Nationalbewegungen im 19. Jahrhundert politische Programme aus Sehnsucht formen.
2. Pogrome, Herzl und die ersten Einwanderungswellen (1882 – 1917)
2.1 Die Pogromschock-Welle
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1881/82: Zaristische Behörden lassen Pogrome in Odessa und Jelisawetgrad zu. Jüdische Selbsthilfe-Kassen finanzieren Schiffspassagen nach Jaffa. Die Erste Alija (≈ 25 000 Menschen) gründet Petach Tikwa und Rischon LeZion; Land wird von Effendi-Familien in Beirut gekauft.
2.2 Herzl und politischer Zionismus
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1896: Theodor Herzl publiziert Der Judenstaat – ein Flucht-Plan, kein Messianismus.
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1897: Welt-Zionistenkongress in Basel verabschiedet das Programm, „für das jüdische Volk eine öffentlich-rechtlich gesicherte Heimstätte in Palästina zu errichten“. Uganda-Ersatzplan (1903) scheitert am liturgischen Herzargument „Ohne Zion, kein Sinn“.
2.3 Fünf Alijot / Einwanderungswellen im Detail
| Alija | Jahre | Hauptursache | Zahl | Konfliktspur | |
|---|---|---|---|---|---|
| 1. | 1882-1903 | Pogrome, Hoveve-Zion | 25 000 | legale Käufe, Arabische Pächter verlieren Land | |
| 2. | 1904-1914 | Russ. Repressalien, US-Quote | 35 000 | Lohnkonflikte mit arabischen Tagelöhnern | |
| 3. | 1919-1923 | Bürgerkrieg, Pogrome | 40 000 | Hafen Haifa & Eisenbahn | |
| 4. | 1924-1929 | Poln. Wirtschaftskrise | 80 000 | Arabischer Generalstreik 1936 | |
| 5. | 1932-1939 | NS-Verfolgung | 250 000 | Weißbuch-Quota, Arab. Aufstand |
2.4 Sozial-Ökonomie der Reibung
Jüdische Fonds (JNF, PICA) kaufen Land mit Grundbucheintrag; arabische Pächter erhalten Abfindung, aber verlieren Lebensgrundlage. „Hebräische Arbeit“ wird ideologischer Imperativ; arabische Tagelöhner sehen Lohndumping. Arabische Presseorgane Filastin (Jaffa) und Al-Carmel (Haifa) warnen vor „Landraub“.
Schuld-Stop 2
Juristisch ist der Landkauf sauber, sozial jedoch ruinös. Verantwortung verteilt sich: jüdische Käufer ignorieren Pächterschicksal, arabische Verkäufer priorisieren Profit, osmanische Verwaltung versagt beim Pächterschutz. Keine Seite trägt Monopol-Schuld – die Saat für Misstrauen wird jedoch gelegt.
3. Das britische Doppelversprechen (1917 – 1947)
3.1 Balfour & die Logik imperialer Mehrfach-Optionen
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1917: Außenminister Arthur Balfour verspricht eine „nationale Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina“ – unklare Grenzen, doppelte Absicherung arabischer Rechte. Motivmix: protestantische Bibelromantik, Annahme jüdischen Welt-Einflusses, strategische Sicherung des Suez-Korridors.
3.2 Mandatsarchitektur und administratives Schlingern
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1920–22: Hochkommissar Herbert Samuel (selbst Jude) fördert Einwanderung, lässt aber den Husseini-Clan in religiöse Schlüsselpositionen; britische Polizeiberichte belegen steigendes interkommunales Misstrauen.
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Peel-Kommission 1937 empfiehlt erste Teilung: 80 % des Ackerlandes für arabischen Staat, 20 % für jüdischen. Zionisten akzeptieren zähneknirschend, Araber lehnen ab.
3.3 Gewaltrunden und Weißbuch
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Nabi-Musa-Unruhen 1920/21 – 48 Tote; britische Militärgerichte verurteilen Husseini, begnadigen ihn, um Ruhe zu erkaufen.
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Hebron 1929 – 67 ermordete Juden; arabische Nachbarn verstecken 435 – Ambivalenz.
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Arabischer Aufstand 1936-39 – Generalstreik, Sprengungen, 5 000 Araber und 400 Briten/Juden sterben; RAF bombardiert Nablus.
Resultat: Weißbuch 1939 limitiert jüdische Einwanderung auf 75 000 in fünf Jahren – just als europäische Juden vor der Shoah fliehen.
Schuld-Stop 3
London verspricht Unvereinbares und verzögert Entscheidung. Zionisten nutzen Spielraum für Aufbau, arabische Eliten oscillieren zwischen Opposition und Landverkauf. primäre Verantwortung: britische Kolonialverwaltung.
4. Shoah, DP-Lager und UN-Teilung (1942 – 1949)
4.1 Eine Welt katapultiert den Zionismus ins Zentrum
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1942: In New York tagt der Biltmore-Kongress. Erstmals fordert der Zionistische Weltverband nicht mehr nur „Heimstätte“, sondern explizit einen jüdischen Staat. Begründung: Die Nachrichten aus Chełmno, später Auschwitz, lassen keinen Zweifel, dass europäischer Antisemitismus tödlich kulminiert.
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1945 – 47: Rund 250 000 Shoah-Überlebende vegetieren in deutschen DP-Lagern. Truman drängt London, wenigstens 100 000 Zertifikate zu vergeben. Die Labour-Regierung zögert: arabische Öllieferungen erscheinen strategisch wichtiger als jüdische Not.
4.2 Exodus und der Medienkrieg
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Juli 1947 : Das Schiff Exodus 1947 wird vor Haifa von der Royal Navy gerammt, hunderte Verletzte, drei Tote. Kameras westlicher Agenturen filmen junge Knochenbündel, die gegen britische Matrosen kämpfen. Weltpresse druckt die Bilder: „Sie fahren von Hitler zu Halifax.“
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Der moralische Hebel wirkt: Die UN-Sonderkommission UNSCOP reist in DP-Lager, besucht arabische Notabeln, inspiziert jüdische Kibbuzim. Am 31. August 1947 empfiehlt sie Teilung – nur Jugoslawien, Iran und Indien stimmen dagegen.
4.3 Resolution 181 und Bürgerkrieg
29. November 1947: UN-Vollversammlung nimmt mit Zwei-Drittel-Mehrheit den Teilungsplan an.
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Jüdisches Lager: Haganah beginnt Planungen zur Evakuierung isolierter Dörfer, ruft aber Bevölkerung zur Annahme des Plans auf.
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Arabisches Hochkomitee: lehnt ab, erklärt Resolution für illegal. Einen Tag später brechen Schusswechsel in Jerusalem aus.
4.4 Plan D und die Grauzone der Kriegslogik
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April 1948: Haganah verabschiedet Plan Dalet – primär militärische Kontrolle von Verkehrsachsen, aber mit Klauseln, ganze Dörfer „räumen“ zu dürfen, wenn sie als feindlich gelten. Einige Kommandeure (z. B. in Lod/Ramla) nutzen die Klausel aggressiv; andere stimmen Evakuierungen zu.
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Israels spätere Historiker-Debatte (Morris, Pappé, Karsh) ringt bis heute um die Frage, ob Plan D Genozidabsicht oder Frontlogistik war.
4.5 Mai 1948 bis Januar 1949 – Vom Bürger- zum Staatenkrieg
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14. Mai 1948: David Ben-Gurion ruft Israel aus. Sofort greifen Ägypten, Syrien, Irak, Transjordanien, Libanon an.
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Israel hat 96 Artilleriegeschütze, 116 Panzerfahrzeuge und sechs einsatzbereite Flugzeuge. Es improvisiert Luftwaffe (tschechische Me-109-Lizenz), wendet Taktik der inneren Linien an, gewinnt.
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Waffenstillstandsabkommen 1949 zementieren neue Linien.
4.6 Die doppelte Flüchtlingskatastrophe
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700 000 Palästinenser verlassen oder werden aus 400 Dörfern vertrieben (Nakba).
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1949 – 56 fliehen ≈ 850 000 Juden aus arabischen Staaten (Irak, Jemen, Libyen, Marokko) – teils Pogrome (Schweinemarkt-Bagdad 1941), teils antizionistische Repressalien nach 1948.
Schuld-Stop 4
Politische Verantwortung: Arabische Regierungen entscheiden für Krieg gegen die UN-Ordnung.
Operative Schuld: einzelne israelische Verbände, die Plan D als Vertreibungsmandat interpretieren.
Strukturelle Schuld: Großmächte, die Sieg oder Niederlage über Flüchtlingsrechte stellen.
5. Waffenstillstand, Fedajin, Suez (1949 – 1967)
5.1 Flüchtlingslager und Waffenstillstandslinien
Umm-el-Fahm, Khan Yunis, Deheishe – Zeltstädte werden dauerhaft. Israel erklärt Rückkehrrecht für Palästinenser „kein Verhandlungsgegenstand“, bietet aber Kompensation an. Die Arabische Liga verbietet Normalisierung – Furcht vor De-Palästinisierung.
5.2 Fedajin: Zwischen Guerilla und Revanche
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1951–55: Überfälle aus Gaza (ägyptisches Protektorat). Israel antwortet mit sogenannten Vergeltungsoperationen(Unit 101 unter Ariel Sharon). Der Spiraleffekt verfestigt sich.
5.3 Suez-Dreieck 1956
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26. Juli 1956: Gamal Abd an-Nasser verstaatlicht den Suezkanal. London und Paris planen Rückeroberung, Israel sieht Chance, Sinai zu räumen und Fedajinnester zu zerschlagen.
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Oktober 1956: Israel marschiert; RAF bombardiert Kanalzone; US-Präsident Eisenhower zwingt Rückzug. Nasser gewinnt Prestige, Israel Sicherheit für Schifffahrt in Eilat.
Schuld-Stop 5
Imperialer Nachbrenner (GB/FR) trifft arabischen Nationalstolz (Nasser) und israelische Sicherheitslogik. Religion marginal; Machtpolitik zentral.
6. Sechstagekrieg und Besatzungslogik (1967 – 1973)
6.1 Vorkrise
Mai 1967: Falsche sowjetische Geheimdienstmeldung – Israel massiere Truppen an syrischer Grenze. Nasser fordert UN-Truppenabzug aus Sinai, schließt Straße von Tiran. Israel sieht Öl-Blockade, Mobilmachung ist teuer, Innenpolitik nervös.
6.2 Die Blitzwoche
5.–10. Juni 1967: Israel zerstört an Tag 1 70 % arabische Luftwaffen. Westjordanland fällt am Tag 3; Golan am Tag 5; Sinai bis Suez am Tag 6.
6.3 Neue Landkarte – neue Moralfrage
► Ost-Jerusalem unter israelischer Souveränität; Jubel um Klagemauer.
► Flüchtlingsbewegung (300 000 Westbank-Araber).
► UN-Resolution 242: Land gegen Frieden.
► Arabischer Gipfel Khartum (Sept 1967): „Nein zu Verhandlungen, Nein zu Anerkennung, Nein zu Frieden.“
6.4 Geburt der Siedlungsbewegung
Religiös-nationalistische Gusch-Emunim interpretiert Sieg als göttliche Lizenz: Kfar Etzion (Westbank) wird 1968 neu gegründet; später Ariel, Maale Adumim, Elkana.
Schuld-Stop 6
Ägypten setzt Kausus Belli (Blockade), Israel beendet alten Konflikt, schafft neuen (Besatzung). Beide Seiten verweigern 242-Umsetzung; Verantwortung geteilt.
7. Jom-Kippur-Schock, Camp-David-Frieden und die erste Intifada (1973 – 1987)
7.1 Der Gegenschlag: 6. Oktober 1973
Um 14 Uhr am höchsten jüdischen Feiertag greifen Ägypten und Syrien gleichzeitig an. Israelische Soldaten fasten, Reservisten sind zu Hause. Binnen 48 Stunden verlieren israelische Truppen den Bar-Lev-Wall am Sueskanal und wichtige Golan-Höhen. Die psychologische Erschütterung ist tiefer als der territoriale Verlust. US-Luftbrücke (Operation Nickel Grass) kippt den Frontverlauf; nach drei Wochen stehen israelische Verbände 100 km vor Kairo.
7.2 Ölpreis, Entfremdung, Diplomatie
Der OAPEC verhängt als „Waffe“ ein Ölembargo gegen westliche Unterstützer Israels. Die Weltwirtschaft taumelt in Rezession. Henry Kissinger vermittelt Sinai- und Golan-Truppenentflechtungsabkommen (1974).
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Für Israel ist das ein Minimalversprechen von Ruhe.
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Für Ägypten symbolisiert es Revanche für 1967.
7.3 Sadats Jerusalem-Rede und Camp-David
19. November 1977: Ägyptens Präsident Anwar as-Sadat spricht im israelischen Parlament – ein Tabubruch. Die politische Überraschung zwingt die arabische Liga, zwischen „Arabischer Einheit“ und pragmatischem Land-für-Frieden zu wählen.
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17.–19. September 1978: Camp-David-Verträge; Jimmy Carter moderiert. Israel verpflichtet sich, den Sinai komplett zu räumen; Ägypten erkennt Israel an. 1982 ist der letzte israelische Soldat aus Sharm el-Sheikh abgezogen.
7.4 Likud-Sieg und Siedlungsexpansion
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1977: Menachem Begins Likud gewinnt erstmals Wahlen, bricht die Vorherrschaft der Arbeiterpartei. Begin genehmigt Siedlungsblöcke jenseits der „grünen Linie“ aus Sicherheit und Ideologie.
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1981: Begin annektiert Golan. Internationale Staaten verurteilen, aber UN-Sanktionen bleiben schwach.
7.5 Libanonkrieg und die PLO im Exil
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Juni 1982: Israel marschiert in den Südlibanon, will PLO-Raketennester vertreiben, gerät aber bis Beirut.
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September 1982: Massaker von Sabra und Schatila durch christliche Libanonmiliz, israelische Armee umstellt das Gebiet. Die Kahan-Kommission spricht Verteidigungsminister Ariel Sharon „indirekte Verantwortung“ zu. Sharon tritt zurück.
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PLO zieht nach Tunis – geographisch weiter weg, emotional nicht.
7.6 Erste Intifada (Dez 1987)
Ein israelischer Lastwagen rammt einen palästinensischen Kleinbus in Gaza, vier Tote. In Jabalia bricht Massenprotest aus: Steine, Molotowcocktails, Boykotte. Israelische Armee reagiert mit „Eiserne Faust“-Dekreten, Gummigeschossen, Tausenden Verhaftungen. Bilder von Kindern mit Steinen gegen Panzer erschüttern internationale Sympathien für Israel.
Schuld-Stop 7
Israelische Verantwortung: Siedlungs-Expansion, harte Armeepraxis, Golan-Annexion.
Arabische Verantwortung: Staaten boykottieren Sadat, PLO nutzt Zivilprotest für politische Bühne, radikale Elemente attackieren Zivilisten.
Ergebnis: Ein Jahrzehnt versäumter Chancen, das Palästinenser und Israelis in neue Traumata treibt.
8. Das Oslo-Fenster und der zweite Bruch (1993 – 2000)
8.1 Geheimkanal nach Norwegen
Norwegische Sozialwissenschaftler arrangieren 14 heimliche Treffen zwischen israelischen und PLO-Abgesandten. Der Durchbruch: 13. September 1993, White-House-Rasen, Händedruck zwischen Jitzchak Rabin und Jassir Arafat. Oslo I etabliert die Palästinensische Autonomiebehörde (PA); Israel behält Sicherheitskontrolle in Zone C (60 % der Westbank).
8.2 Euphorie, aber vier Brandfaktoren
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Hamas: 1994–96 verübt zwölf Bus- und Cafébomben; will „Oslo in Blut ertränken“.
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Jüdische Extremisten: 1994 tötet Baruch Goldstein 29 Muslime in Hebron; 4. November 1995 ermordet Jigal Amir Premier Rabin.
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Siedlungswachstum: Zwischen 1993 und 2000 steigt die Zahl der Siedler von 116 000 auf 198 000.
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PA-Korruption: In Ramallah mehren sich Beschwerden über Vetternwirtschaft; Fatah verliert moralische Oberhand.
8.3 Camp-David II (Juli 2000)
US-Präsident Clinton, Ehud Barak und Jassir Arafat verhandeln 14 Tage. Barak bietet: 90 % Westbank, Landtausch, geteiltes Jerusalem, Sonderregime heiliger Stätten, befristetes Rückkehrrecht. Arafat fürchtet Aufruhr, sagt Nein, macht aber keinen Gegenvorschlag. Clinton notiert enttäuscht: „Selbst der Koran verlangt, eine Alternative aufzuzeigen.“
8.4 Zweite Intifada
Ariel Sharons Besuch auf dem Tempelberg (28. September 2000) löst Massenproteste aus; Al-Aqsa-Intifada wird bewaffnet: Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, Hamas-Sprenggürtel, israelische Luftschläge auf Gaza-Polizeihauptquartier.
Schuld-Stop 8
Hamas-Gewalt untergräbt Oslo, Siedlungsausbau untergräbt palästinensisches Vertrauen, Fatah-Korruption entwertet eigene Regierung, Arafats Verweigerung killt Camp-David-Chance. Verantwortung kreuzt sich, kein Monopol-Täter.
9. Sperrmauer, Gaza-Rückzug und das Entstehen des Hamas-Regimes (2000 – 2007)
9.1 Die Barriere
2002 beschließt Israel eine 700 km lange Sperranlage. Figueres-Studie zeigt: Selbstmordanschläge fallen um 90 %, doch 15 % der Mauer verlaufen östlich der grünen Linie – Palästinenser sehen Landraub. Internationale Gerichte (Haager Gutachten 2004) erklären Mauerverlauf im Westjordanland völkerrechtswidrig.
9.2 Gaza-Disengagement 2005
Premier Ariel Sharon räumt 21 Siedlungen samt Soldaten. TV-Bilder zeigen Siedlerfamilien in Tränen, aber auch jubelnde Gazaner, die Treibhäuser plündern. Hoffnung: Gaza könnte „Singapur am Mittelmeer“ werden; Realität: Rivalität zwischen Fatah-Polizei und Hamas-Milizen eskaliert.
9.3 Wahl 2006, Putsch 2007
Hamas gewinnt die Legislativwahl mit Slogan „Korruptionsfrei und standhaft“. Westliche Geldgeber frieren PA-Zahlungen ein; Well of tension: Juni 2007 stürmt Hamas Fatah-Hauptquartiere, wirft Rivalen von Häuserdächern. Gaza wird Blockadestreifen: Israel kontrolliert Luftraum, Seeweg, Grenzübergänge; Ägypten schließt zeitweise Rafah.
9.4 Geburtsstunde der Tunnelindustrie
An Rafah entstehen 1 000 Schmuggeltunnel – Kapern von Zementräumen, Dieselkanistern, später Waffenröhren. Hamas besteuert Tunnelschmuggel (14 %), finanziert Administration und Aufrüstung.
Schuld-Stop 9
Israel verlässt Gaza ohne politischen Rahmen; Fatah verliert an Legitimität, Hamas militarisiert Vakuum; internationale Geber setzen Finanzblockade statt Reformanreiz. Verantwortung verteilt, Resultat: ein hermetisch belagerter, militärisch aufgerüsteter Küstenstreifen.
10. Raketenkriege, Tunnelwelt und iranische Patronage (2008 – 2023)
10.1 „Cast Lead“ – Die Feuertaufe des Raketenkriegs
Dezember 2008 – Januar 2009
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Nach Monaten steigender Qassam-Beschüsse aus Gaza (bis zu 80 Raketen pro Woche) kündigt Israel eine sechstägige Luftoffensive an. Die ersten 45 Minuten vernichten 100 Hamas-Polizei- und Waffenlagerziele.
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Bodentruppen folgen: Panzereinheiten umfahren Gaza-Stadt, Infanterie riegelt das Tunnelviertel in Rafah ab.
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Bilanz der UN: 1 166 palästinensische Todesopfer (davon etwa 300 Kämpfer), 13 israelische Tote (davon 10 Soldaten, 3 Zivilisten).
10.2 Die Geburt des Iron Dome
Im März 2011 interceptiert erstmals eine Iron-Dome-Batterie ungelenkte Kurzstreckenraketen über Ashkelon. Innerhalb von drei Jahren sinkt die israelische Zivilopferzahl trotz verdoppeltem Raketenvolumen. Hamas wiederum verlagert Infrastruktur in Wohnblöcke und erprobt simultane Salven, um das System zu sättigen.
10.3 „Protective Edge“ (2014) – Tunnelrealität
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Israel entdeckt 32 Haupttunnel, einige reichen 1,5 km auf israelisches Gebiet. Eine Kompanie Givati-Soldaten findet in Shejaiya einen Kommandobunker mit Wifi, Kühlschränken und 2 000 Schuss.
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50 Tage Krieg: 4 800 Luftangriffe, 14 000 Raketen/Granaten aus Gaza, 2 251 palästinensische Tote (UN-OCHA), 73 Israelis (67 Soldaten).
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Operation endet ohne politischen Deal; Tunnel-Beton fließt nach Waffenruhe sofort auf neue Baustellen.
10.4 Iranische Lieferketten – Von Khartum bis Tartus
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2012 bombardiert Israel bei Khartum eine Fabrik, die iranische Fajr-5-Komponenten montiert.
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2018 – 20: Quds-Brigaden verlegen GPS-Upgrade-Kits über den syrischen Hafen Tartus an Hisbollah. Drohnen vom Typ Shahed-136 tauchen bei Gaza-Übungen auf.
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Der Iran investiert weniger in eine Bombe als in Asymmetrische Abschreckung: Zehntausende Kurz- und Mittelstreckenraketen verteilen sich in Libanon, Syrien, Irak, Jemen.
10.5 Abraham-Abkommen – Palästina wird Randthema
2020 erkennen VAE, Bahrain, Marokko und Sudan Israel an. Handelsvolumen Tel Aviv–Dubai erreicht binnen eines Jahres 1 Mrd. USD. Für Hamas und Iran ist dies „Dolchstoß“; für Ramallah ein Zeichen eigener Marginalisierung.
Schuld-Stop 10
• Hamas entscheidet für Dauerterror als Hauptstrategie, vergräbt Waffen in Wohngebieten und Schulen.
• Israel wählt Blockade und massive Luftschläge; humanitäre Kosten werden als Sicherheitsdividende kalkuliert.
• Iran instrumentalisiert palästinensischen Schmerz als Vorfeldverteidigung.
• Internationale Diplomatie verschiebt Fokus auf Golf-Normalisierung und lässt Kernkonflikt veröden.
11. Siebter Oktober 2023 – Pogrom und Gaza-Krieg 2023 – 2025
11.1 Strategische Überraschung
06:29 Uhr: 3 000 Hamas-Kämpfer brechen an 29 Punkten den Grenzzaun auf, kombinieren Drohnen (DJI-Matrice 300) zum Ausschalten von Beobachtungstürmen, Paragleiter und Motorräder für Kibbuz-Durchbrüche. Innerhalb von drei Stunden sind 1 139 Menschen ermordet, darunter Babys, Rentner, Festivalbesucher. 240 Geiseln werden nach Gaza verschleppt.
11.2 Der israelische Gegenschlag – „Operation Iron Swords“
Phase I – Luft: 5 000 Präzisionsbomben in zehn Tagen, 15 der 24 Hamas-Brigadekommandeure eliminiert.
Phase II – Boden Nord: 162. Panzerdivision umzingelt Gaza-Stadt, 36. Division riegelt Beit Hanoun.
Phase III – Boden Süd: Januar 2024: 98. Fallschirmjägerdivision nimmt Khan Yunis, entdeckt „Metro 3“ – 70 km Tunnelsystem in 30 m Tiefe mit Krankenhauseingängen.
Phase IV – Rafah: Mai 2025: Internationaler Druck, Evakuierungszonen, Teilsturm auf Tunnelknoten Rafah, Grenzübergang unter ägyptisch-VAE-Schirm.
11.3 Humanitäres Inferno
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2,2 Mio. Menschen im Küstenstreifen, davon 1,8 Mio. Binnenvertriebene.
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Ab November 2023 wird täglich durchschnittlich 1 Mio. Liter Treibstoff für Entsalzungsanlagen benötigt; Blockaden lassen Vorräte schwanken.
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WHO zählt bis April 2025 knapp 34 000 palästinensische Todesopfer, UNRWA differenziert 11 000 Kombattanten, 23 000 Zivilisten.
11.4 Nordfront und iranische Eskalationsleiter
Hisbollah feuert ab 12. Oktober tägliche Katjuscha-Salven, hält Präzisionsraketen öffentlich zurück. Houthis attackieren Eilat mit Marschflugkörpern (Quds 4), US-Zerstörer fangen ab, Rotes-Meer-Handel kollabiert zeitweise um 30 %. Iran dementiert Steuerung, prahlt aber mit „strategischer Tiefe ab Mittelmeer“.
11.5 Diplomatische und juristische Front
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Südafrika klagt Israel im Januar 2024 vor dem IGH wegen „genozidaler Absicht“. Vorläufiger Beschluss: Israel soll alles tun, um Zivilisten zu schützen; gleiches gilt für Hamas, deren Vertreter fernbleiben.
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USA, Katar, Ägypten vermitteln intermittierende Feuerpausen, 112 Geiseln frei, 3 650 palästinensische Gefangene entlassen.
Schuld-Stop 11
• Hamas begeht Pogrom und verschleppt Zivilisten – unverrückbare Täter-Schuld.
• Israel wählt maximale Feuerkraft in dicht besiedeltem Gebiet – Sekundärverantwortung für humanitäre Katastrophe.
• Iran & Proxies verlängern Krieg über Nord- und Seeachsen – Mitverantwortung für Eskalation.
• UN & Großmächte verfügen über normative Instrumente, aber keinen Mechanismus, Terrorakteure zu zwingen – strukturelle Verantwortungslücke.
Epilog – Schuld, Sehnsucht nach Klarheit – und was Frieden trotzdem möglich macht
Wer sich in öffentliche Nahost-Debatten begibt, spürt schnell eine tiefe Ungeduld. Menschen – ganz gleich ob sie in Tel Aviv, Ramallah, Berlin oder Buenos Aires leben – möchten endlich wissen, wer an diesem Drama eigentlich schuld ist. Hinter der Frage steckt ein begreiflicher Reflex: Wenn es einen eindeutig Schuldigen gibt, ergibt sich daraus scheinbar automatisch ein Rezept für Gerechtigkeit und vielleicht sogar für Frieden. Doch gerade die Geschichte dieses Landstrichs zeigt, dass Schuld nicht wie Eigentum vererbt wird. Sie entsteht in bestimmten Momenten und klebt an Entscheidungen, nicht an Geburtsurkunden.
Römer, die Judäa in Syria Palaestina umtaufen, britische Kolonialbeamte, die zwei unvereinbare Versprechen verschenken, arabische Regierungschefs, die eine UN-Abstimmung mit Panzerdivisionen beantworten, zionistische Milizführer, die im Nebel des Kriegs ganze Dörfer räumen, Siedlerregierungen, die jede freie Anhöhe in der Westbank bebauen, Terrorzellen, die sich an Schulbussen in die Luft sprengen, Iranische Strategen, die den Schmerz der Palästinenser in Raketen umrechnen – alle wirken an einem Knoten mit. Wer einen Faden herausreißt, hält noch lange nicht den ganzen Knotenkern in der Hand.
Gerade deshalb ist die Sehnsucht nach eindeutigen Schuldsprüchen so verständlich: Sie verspricht moralische Entlastung. Aber sie birgt eine tödliche Versuchung. Wenn Schuld immer schon die anderen trifft, braucht man selbst weder Spiegel noch Kompass. Genau das verhindert seit Jahrzehnten jeden nachhaltigen Fortschritt: Die Palästinenser leiden unter der Besatzung, dürfen aber nicht laut über Hamas-Pogrome sprechen, weil das die „große Erzählung“ stört. Viele Israelis fürchten sich vor Raketen, ignorieren aber die dauerhafte Enteignungserfahrung ihrer Nachbarn, weil sie keine Mitschuld spüren möchten.
Was könnte ein anderer Weg sein? Nicht der naive Traum, Vergangenheit auszuradieren, sondern der nüchterne Versuch, künftige Schuld gar nicht erst entstehen zu lassen. Dafür braucht es weniger heroische Versöhnungsrituale als Alltagspflaster, die verhindern, dass Wunden ständig neu aufreißen.
Erstens braucht es Führungen, die das Machbare über das Triumphale stellen. Begin und Sadat unterzeichneten 1978 kein Liebesbündnis, sie unterschrieben einen nüchternen Vertrag: Sinai gegen Frieden. Wer heute auf israelischer oder palästinensischer Seite Karriere machen will, bezahlt politisch für Konzessionen – ein Zustand, den nur breit abgestützte Bündnisse verändern können.
Zweitens braucht es Zeit, und Zeit ist eine ökonomische Größe. Sechs Oslo-Jahre reichten nicht, um neue Lehrbücher zu drucken oder Wohnviertel zusammenzuwachsen zu lassen. Zehn, zwölf ruhigere Jahre würden wahrscheinlich genügen, um ein gemeinsames Wasser- und Stromnetz betriebsnotwendig zu machen. Danach würde jeder Raketenangriff buchstäblich das eigene Licht ausschalten.
Drittens braucht es außenpolitische Scharniere, die Anreize setzen statt Rezepte zu diktieren. Ein multilateraler Fonds, gespeist von USA, EU und Golfstaaten, könnte milliardenschwere Tranchen nur dann ausschütten, wenn konkrete Indikatoren stimmen: weniger Checkpoint-Zeit, weniger Tunnel-Kilometer, mehr Joint Ventures. Geld kann Angst nicht heilen, aber es kann sie verteuern.
Viertens braucht es eine wechselseitige Geschichtskompetenz. Shoah-Gedenken ohne Nakba-Kenntnis wird in Ramallah immer als hegemoniales Projekt wirken, Nakba-Erzählung ohne Wissen um Pogrome oder das 7.-Oktober-Massaker bleibt in Tel Aviv blanke Beschuldigung. Es geht nicht darum, Narrative zu vereinen, sondern darum, dass beide im selben öffentlichen Raum existieren dürfen.
Nichts davon verlangt, dass Juden ihre Verbindung zu Zion aufgeben, oder Araber ihre jahrhundertealte Bindung an das Land. Frieden würde lediglich bedeuten, dass die Kosten für Gewalt höher liegen als die Mühen für Kooperation. Und hier liegt eine fast banale Hoffnung: Menschen lieben am Ende den verlässlichen Strom im Kinderzimmer, den morgendlichen Bus zur Arbeit, das Online-Shopping mehr, als sie langwierige Siegesparaden lieben.
Realistisch? Vielleicht nur in Etappen. Utopisch? Sicher – aber weniger utopisch als die Annahme, man könne seelische Sicherheit aus dem dauerhaften Triumph über den anderen ziehen. Das 7. Oktober-Pogrom hat Israel gelehrt, dass militärische Überlegenheit allein keine Unversehrtheit garantiert. Die Trümmerfelder von Gaza haben Palästinensern gezeigt, dass maximale Zerstörung nicht zur Freiheit führt.
Ein Friedensprozess der Zukunft wird also nicht mit Trompeten beginnen, sondern mit sehr leisen Noten: einer Kontrollstelle, an der Lastwagen nach Minuten und nicht nach Stunden abgefertigt werden; einer Synagoge in Haifa, in der Schüler aus Jenin eine Führung absolvieren, weil ihre Lehrer einen Geschichtsaustausch wagten; einem Innovations-Campus irgendwo zwischen Beer Sheva und Hebron, in dem ein Startup aus Nazareth mit einem Forscher aus Gaza an Solar-Entsalzung tüftelt, weil der Markt das verlangt. Wenn solche Gewohnheiten zehn Jahre durchhalten, werden sie schwerer zu sprengen sein als jede Mauer.
Vielleicht klingt das klein für eine Region so voller Pathos. Aber im Nahen Osten ist das unspektakulär Normal-Gewordene seit jeher die eigentliche Revolution. In diesem Sinne: Nächstes Jahr eine ruhigere Grenze – und übernächstes Jahr vielleicht schon ein gemeinsamer Messepavillon auf der Weltklimakonferenz.
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Special Nahost der Bundeszentrale für politische Bildung