Im Krieg gewinnt letztendlich niemand: „Mutter Courage und ihre Kinder“
Bertolt Brecht (1898 – 1956) war nicht nur einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, sondern auch ein erbitterter Feind der Nazis, der aus dem Exil heraus das Regime mit immer neuen kritischen Schriften und Theaterstücken bombardierte. Die SA hatte bereits vor der Machtergreifung viele von Brechts Stücken gestört und gewaltsam den Abbruch von Aufführungen herbeigeführt. Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 sah Brecht sich endgültig gezwungen, zu fliehen. Dass Brecht der vielleicht erbittertste Gegner der Nazis aus der Riege der Künstler war, erklärt sich mit seinem Weltbild: Brecht war überzeugter Marxist und auf die marxistische Philosophie begründete sich auch Brechts Dramentheorie: das epische Theater. Wie Karl Marx (1818 – 1883) war Brecht Materialist und somit der Ansicht, dass der Mensch im Grunde gut ist und moralisch richtig handeln will, aber aufgrund äußerer Umstände zu eigennützigem Handeln gebracht wird. Der Grundsatz des Materialismus lautet: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Davon ausgehend stellt Brecht die Frage der Moral ins Zentrum seiner Stücke und gibt diese Frage ans Publikum ab. Das Publikum wird nicht zur Identifikation mit den Bühnenfiguren eingeladen, sondern wird zum bloßen Betrachter, der das Geschehen auf der Bühne beurteilen soll. Dieses kommt auch nicht zu einer zufriedenstellenden Auflösung, die eine Katharsis ermöglichen würde. Der Betrachter soll den Konflikt mit sich tragen, wenn er das Theater verlässt. Die Konflikte und Probleme, die Brecht neben dem Faschismus in seinen Stücken problematisiert, sind meist der Kapitalismus, den er als Kommunist natürlich ablehnte, Krieg und Gewissensfragen. Ein Thema, das Brecht bereits im kaukasischen Kreidekreis thematisierte.
In „Mutter Courage und ihre Kinder“ verlegt Brecht die Handlung in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648), zielt aber auf Krieg im Allgemeinen ab und richtet sich natürlich besonders an die Menschen seiner Zeit, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert sahen. Die Titelfigur des Dramas ist Anna Fierling, genannt Mutter Courage, eine Marketenderin, also eine Händlerin, die mit ihren Waren den in diesem Fall protestantischen Truppen hinterher reist und Geschäfte mit den Soldaten und Offizieren macht. Den Namen Mutter Courage erhielt sie, weil sie bei ständigem Geschützfeuer mit fünfzig Brotlaiben in das belagerte Riga gefahren ist, um die Brote dort, ehe sie verschimmelten, zu verkaufen. Sie ist also eine geschäftstüchtige Frau, aber auch eine Kriegsprofiteurin. Mutter Courage hat drei Kinder von unterschiedlichen Vätern: die stumme Tochter Kattrin und die Söhne Eilif (der ältere) und Schweizerkas (der jüngere).
1624 im schwedischen Dalarna: Mutter Courage ist dem 2. finnischen Regiment hinterher gereist. Ein Werber und ein Feldwebel, die neue Soldaten anwerben sollen, sehen die Söhne der Courage und freuen sich über zwei potenzielle neue Soldaten.
„DER FELDWEBEL Was hast du gegen den Heeresdienst? War sein Vater nicht Soldat? Und ist anständig gefallen? Das hast du selber gesagt.
MUTTER COURAGE Er ist ein ganzes Kind. Ihr wollt ihn zur Schlachtbank führen, ich kenn euch. Ihr kriegt fünf Gulden für ihn.“
Als die Courage die Absicht der Männer erkennt, verteidigt sie die Söhne mit einem Messer. Schweizerkas sagt, die Mutter habe das zweite Gesicht und sie lässt die Männer und Eilif Lose ziehen, die ihnen allen den Tod vorhersagen. Eilif, der durchaus Soldat werden will, zögert. Da lenkt der Feldwebel Mutter Courage mit einem Handel ab und der Werber nimmt Eilif mit.
Als Mutter Courage Eilif 1626 wiedersieht, wird der vom Feldhauptmann für seine Kühnheit ausgezeichnet. Aus Angst ohrfeigt die Mutter ihren Sohn, weil er sich nicht ergeben hat.
Es vergehen drei Jahre, 1629: Schweizerkas ist Zahlmeister des finnischen Regiments geworden, die Mutter reist stets mit den Truppen mit. Die Lagerhure Yvette Pottier, die wegen ihrer Geschlechtskrankheit jedoch von den Soldaten nicht aufgesucht wird, erzählt Mutter Courage ihre Lebensgeschichte und begründet ihren Abstieg damit, dass ihre erste große Liebe, ein Koch sie verlassen habe. Kattrin spielt mit dem Hut und den Schuhen Yvettes, sehnt sie sich doch trotz aller Warnungen davor, sich mit einem Soldaten einzulassen, nach einem Mann.
Koch und Feldprediger treten auf.
„DER FELDPREDIGER Werden Sie nicht gerührt, Koch. In dem Krieg fallen ist eine Gnad und keine Ungelegenheit, warum? Es ist ein Glaubenskrieg. Kein gewöhnlicher, sondern ein besonderer, wo für den Glauben geführt wird, und also Gott wohlgefällig.
DER KOCH Das ist richtig. In einer Weis ist es ein Krieg, indem daß gebrandschatzt, gestochen und geplündert wird, bissel schänden nicht zu vergessen, aber unterschieden von alle andern Kriege dadurch, daß es ein Glaubenskrieg ist, das ist klar.“
Weiterhin führt der Koch aus, der Krieg unterscheide sich schon insofern nicht von anderen Kriegen, da er Armut, Unheil und Tod für die betroffene Bevölkerung bedeute und nur die Mächtigen davon profitieren würden. Plötzlich greifen die Katholiken das Lager an. Mutter Courage will Kattrin schützen, indem sie ihr Gesicht mit Asche beschmiert, was sie unansehnlich machen soll. Um Schweizerkas zu retten, sagte sie ihm, er solle die Regimentskasse wegwerfen, doch der will sie retten und am Fluss in einem Maulwurfloch verstecken. Dem Feldprediger gewährt Mutter Courage Unterschlupf, ehe sie gerade noch rechtzeitig die Regimentsfahne an ihrem Wagen einholt. Schweizerkas wird von polnischen Spionen, die Kattrin zwar gesehen hat, vor denen sie ihren Bruder aber nicht warnen konnte, denunziert, verhaftet und gefoltert. Zwar gesteht er, die Kasse versteckt zu haben, aber nicht wo. Courage will den Wagen verpfänden, um Schweizerkas freizukaufen, hofft aber insgeheim auf das Geld aus der Regimentskasse. Yvette möchte den Wagen eigentlich kaufen. Die beiden verhandeln zu lange und Schweizerkas wird von den Katholiken hingerichtet. Als man Courage die Leiche bringt, verleugnet sie ihren Sohn.
Mutter Courage möchte sich beim Rittmeister über Soldaten beschweren, die auf der Suche nach der Regimentskasse Waren in ihrem Wagen zerstört haben. Als sich auch ein Landsknecht beschweren will, resigniert Mutter Courage.
Zwei Jahre später, 1631, nach der Durchquerung Polens, Bayerns und Italiens steht Mutter Courage nun in einem zerschossenen Dorf beim von Johann T’Serclaes von Tilly (1559 – 1632) besiegten Magdeburg und schenkt Schnaps aus. Der Feldprediger und Kattrin zwingen die widerwillige Courage, Leinen zum Verbinden verwundeter Bauern herauszugeben.
1632 vor Ingolstadt, Begräbnis von Feldhauptmann Tilly, der nun gefallen ist: Mutter Courage bewirtet Soldaten und äußert gegenüber dem Feldprediger ihre Befürchtungen, der Krieg könne bald enden und fragt sich, ob es sich lohne, neue Ware anzukaufen. Der Prediger versichert ihr, der Krieg werde anhalten, und so wird Kattrin in die Stadt geschickt, um neue Ware zu kaufen, kehrt aber mit einer schweren Verletzung an der Stirn zurück. Obwohl sie überfallen und vergewaltigt wurde, hat sie die Waren nicht hergegeben. Nun, da sie entstellt ist, weigert sich Kattrin auch Yvettes Schuhe, die die Mutter ihr schenken will, anzunehmen, da sie glaubt, nun erst recht keinen Mann mehr abzubekommen. In einem von Kattrin belauschten Gespräch zwischen Mutter und Feldprediger räumt auch die Courage ein, dass Kattrin nicht mehr auf das Kriegsende, bei dem – so das Versprechen der Mutter – Kattrin Mann und Kinder haben werde, hoffen müsse und ihr Zukunftsaussichten zunichtegemacht worden seien.
Bild 6 endet mit dem Satz „Der Krieg soll verflucht sein“, den Mutter Courage gleich zu Beginn von Bild 7 mit „Ich laß mir den Krieg von euch nicht madig machen“ widerruft. Sie ist nämlich „auf dem Höhepunkt ihrer geschäftlichen Laufbahn“.
Der schwedische König Gustav II. Adolf (1594 – 1632) ist in der Schlacht bei Lützen gefallen und es heißt, es gäbe nun Frieden. Als der Koch im Lager erscheint, jammert Mutter Courage, weil sie auf Rat des Feldpredigers noch einmal Waren eingekauft hätte. Weil die nun keinen Wert mehr hätten, wäre sie ruiniert. Als sie den Frieden offen verflucht, beschimpft der Feldprediger sie als „Hyäne des Schlachtfeldes“. Auch Yvette, nun Witwe eines adeligen Obristen, taucht ebenfalls im Lager auf und erkennt den Koch als ihren verflossenen wieder, weshalb sie ihn als böswilligen Verführer brandmarkt. Yvette begleitet Mutter Courage dann auch in die Stadt, um die Waren noch vor dem kompletten Werteverfall zu verkaufen. Als sie weg sind, wird Eilif von Soldaten vorgeführt, weil er die Möglichkeit haben soll, ein letztes Mal mit seiner Mutter zu sprechen. Eilif hat, obwohl indirekt Frieden herrscht, weiterhin geraubt und gemordet, was nun – anders als während des Krieges – geahndet wird, und zwar mit der Todesstrafe. Da die Courage jedoch nicht angetroffen wird, verfällt Eilifs Gelegenheit. Kurz nach dem Abgang der Soldaten, Eilifs und des ihn nun begleitenden Feldpredigers kehrt Mutter Courage mit ihren Waren zurück, die sie nicht verkauft hat, weil es heißt, es käme wieder zu Kampfhandlungen. Mit dem Koch anstelle des Feldpredigers als Gehilfen zieht Mutter Courage weiter, ohne zu wissen, was mit ihren Sohn geschehen soll.
Das Fichtelgebirge im Herbst 1634: Der Krieg hält seit nun mehr 16 Jahren an, die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist an dessen Folgen oder Seuchen gestorben. Mutter Courage und der Koch versuchen, etwas Essbares zu erbetteln. Dabei erzählt der Koch von seiner kürzlich in Utrecht an Cholera verstorbenen Mutter und deren Wirtschaft, die er geerbt habe. Die Courage ist zunächst angetan, als der Koch vorschlägt, mit ihr die Wirtschaft zu führen, entscheidet sich aber um, als der Koch klar macht, die Wirtschaft könne zwei, aber nicht drei Leute ernähren und die verunstaltete Kattrin vergraule ihm überdies die Gäste. Kattrin hat das Gespräch mitangehört und kann gerade noch von der Mutter, mit der sie nun allein weiterziehen wird, davon abgehalten werden, sich heimlich davon zu stehlen.
Im Jahr 1635 ziehen Mutter Courage und Kattrin auf den mitteldeutschen Landstraßen umher.
Januar 1636 bei Halle: Kaiserliche Truppen stehen vor der Stadt, wurden von deren Bewohnern aber noch nicht bemerkt. Mutter Courage ist in der Stadt, weil sie dort einkaufen will, während ihr Planwagen in einem Bauernhof untergestellt ist. Kattrin ist dort allein mit dem Bauern, als zwei Landsknechte eindringen und den Landwirt zwingen, ihnen zu zeigen, wie sie unbemerkt in die Stadt gelangen können. Kattrin bekommt all dies mit und klettert daraufhin mit einer Trommel auf das Dach des Bauernhofes. Sie zieht die Leiter hoch und trommelt jeder Warnung der Soldaten zum Trotze, um die Stadt zu warnen. Auch wenn Kattrins Plan aufgeht, bezahlt sie ihn mit dem Leben, als die Soldaten sie erschießen.
Der nächste Morgen: Die Schweden ziehen ab. Mutter Courage findet bei ihrer Rückkehr Kattrin vor und glaubt zunächst, jene würde schlafen. Als sie die Wahrheit begreift, gibt sie den Bauern Geld für eine Beisetzung. In dem falschen Glauben, Eilif sei noch am Leben, zieht sie weiter dem Heer hinterher.
Am Ende hat die ständig feilschende und schachernde Kriegsgewinnlerin also ihre drei Kinder an eben den Krieg verloren, aus dem sie Profit schlagen wollte. Für Brechts Zeitgenossen sollte dies zur Warnung gereichen, dass der Versuch, vom NS-Regime oder dem Krieg zu profitieren, sich am Ende des Tages rächen sollte.