Der aktuelle Angriffskrieg der Russischen Föderation auf den Nachbarn Ukraine wirbelt in Deutschland auf mehreren Ebenen viel Staub auf. Da gerät das Verhältnis des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zu seinem „Freund“ Putin natürlich ebenfalls in den Fokus. Die Aussage Schröders, dass Putin ein „lupenreiner Demokrat“ war, klingt vielen Menschen noch in den Ohren. Die Hintergründe der Freundschaft dürften allerdings eher profanerer Art und politischer Natur sein. Ob es wirklich eine beidseitige Freundschaft war, darf getrost in das Reich der Mythen gestellt werden. Denn in der Politik gilt wie immer die Regel, dass Freundschaften so lange opportun sind, bis sich die politischen Ziele nicht mehr decken.
Die Hintergründe und die politische Lage der Vergangenheit
Die Wahl Gerhard Schröders erfolgte vor allem aus dem Unwillen der Deutschen heraus, noch weitere vier Jahre Helmut Kohl zu ertragen. Deutschland war unzufrieden mit der langjährigen Regierung des Helmut Kohl und der Stau an Reformvorhaben war beträchtlich. Gerhard Schröder präsentierte sich als Macher, als innovativer Denker und als Mann vom Volke. Auf russischer Seite war Boris Jelzin stark angezählt. Er galt als alkoholkrank und war aus Sicht der Russen bei vielen Auftritten eine Schande für das Land. Gesucht wurde ein farbloser und zuverlässiger Nachfolger, der der Clique rund um Jelzin nicht gefährlich werden konnte. In Wladimir Putin wurde eine vermeintlich perfekte und ungefährliche Lösung gefunden. Während Deutschland wirtschaftlich erfolgreich war, hatte Russland zu dieser Zeit mit starken innenpolitischen, wirtschaftspolitischen und außenpolitischen Krisen zu kämpfen. Die Kriminalitätsrate in Russland war auf dem höchsten Niveau seit der kommunistischen Revolution vor knapp 100 Jahren, die Wirtschaft lag am Boden und der Tschetschenien-Konflikt entwickelte sich zu einem richtigen Krieg. Demgegenüber war die SPD noch stark von der Politik Willy Brandts, also dem Prinzip „Wandel durch Handel“ beeinflusst und versuchte diese Idee erfolgreich zu einem Ende zu bringen.
Wirtschaftspolitisch war eine engere Anbindung der Bundesrepublik an Russland durchaus sinnvoll. Russland hatte genug Gas, um die Bundesrepublik über Jahre hinweg zu versorgen. Darüber hinaus ergaben sich für deutsche Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten. Das galt natürlich auch für russische Unternehmen, die von einem hochwertigen Wirtschaftsstandort wie Deutschland nur profitieren konnten. Demzufolge war es nur konsequent, wenn Gerhard Schröder dem russischen Präsidenten Putin den roten Teppich ausrollte. Dabei wurde immer über klare Warnzeichen hinweg gesehen, da der wirtschaftliche Erfolg im Fokus stand und eine kurzfristige Veränderung der innenpolitischen Verhältnisse eher als eine Art von „Großreinemachen“ akzeptiert wurde. Russland hatte in der deutschen Politik unter Schröder, aber auch unter der Nachfolgerin Merkel immer viel Kredit und konnte sich vieles leisten. Die Begründung „nie wieder 1991 mit all seinen negativen Folgen für Russland“ war sehr häufig das gewichtigste Argument der Russlandfreunde und in gewisser Weise durchaus berechtigt. Das war die allgemeine politische Lage zu jener Zeit und diese hatte durchaus Einfluss auf die folgenden Reaktionen der beiden Staatsmänner.
Die Persönlichkeiten von Gerhard Schröder und Wladimir Putin
Gerhard Schröder präsentierte sich gerne als Macher, was er auch wahr. Mit seiner „Basta“-Politik war er genau das richtige Gegenstück zur großväterlichen Republik unter Helmut Kohl. Gerhard Schröder stammt aus einfachen Verhältnissen und entwickelte sich schnell zu einem knallharten Machtpolitiker. Er reagierte aus politischer Sicht häufiger mehr mit Herz, als mit Verstand. Das tat seiner Beliebtheit aber keinen Abbruch. Schröders Hang zu Luxus und Repräsentation war eine seiner Achillesfersen und zeugt von seinem persönlichen Charakter. Demgegenüber war Wladimir Putin wie Schröder ein Einzelkind, hatte allerdings ein sehr liebendes Elternhaus. Die wohl prägendste Zeit seines Lebens dürfte die Ausbildung beim KGB, dem sowjetischen Geheimdienst, gewesen sein. Hier lernte er, sich zu verstellen und seine Gegner zu analysieren. Anfangs war Wladimir Putin politisch sehr unerfahren, verschaffte sich durch kompromissloses Handeln und einen gewissen Hang zur Menschenverachtung und mit der Hilfe des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB schnell eine breite Machtbasis. Viele Experten munkeln, dass Wladimir Putin seinen „Freund“ Gerhard Schröder eher als willige und schwache Marionette empfand und ihm deutlich weniger Gefühle entgegenbrachte, als Schröder meinte. Darüber kann man natürlich nur rätseln, aber in ihrer Zeit war eine enge Freundschaft auf jeden Fall politisch und damit persönlich sinnvoll für beide.
Die „Männerfreundschaft“ aus heutiger Sicht
Die Reise Schröders nach Moskau, um Putin zum Frieden zu bewegen, wird häufig belächelt. In Deutschland gilt Schröder als Naivling, der sich von einem gerissenen und vermutlich wahnsinnigen Präsidenten Russlands in die Irre führen ließ. Klar ist, dass die Reise von Schröder mit Sicherheit nett gemeint war. Allerdings hat Putin von Anfang an klargemacht, dass die Interessen Russlands für ihn die höchste Wichtigkeit haben und sich diese immer und zu jeder Zeit mit seiner persönlichen Einstellung decken. Falls Gerhard Schröder wirklich der Meinung war, dass er in Putin einen politischen und persönlichen Freund gefunden hätte, dann war das vermutlich auf der politischen Ebene eine Fehleinschätzung. Das Problem an politischen Freundschaften ist im Allgemeinen, dass die persönliche Ebene darin eigentlich nichts zu suchen hat und umgekehrt.
Autor: Bernd Fischer