Shlomo Sand: Die Erfindung des Landes Israel. Mythos und Wahrheit; Berlin 2012.
Das vergangene Jahrhundert in Europa war eine Leidensgeschichte des jüdischen Volkes in der Diaspora und stets begleitet mit der Kritik am Handeln ihrer 1948 gegründeten Heimstatt Israel. Das Land kommt selbst heute nicht zur Ruhe. Immer noch informieren Nachrichten aus Nahost über Gewalt und politisch motivierte Auseinandersetzungen zwischen israelischen und palästinensischen Interessengruppen. Die lauernden Gefahren der Einwanderung ins Heilige Land beschrieb bereits 1930 Albert Einstein als er gegen eine direkte Konfrontation mit den ansässigen Arabern mahnte: „Es betrübt mich weniger, dass die Juden nicht klug genug sind, dies zu erfassen, als dass sie nicht über genug Gerechtigkeitssinn verfügen, um das zu wollen.“ Dessen Einsicht repetierte der israelische Historiker Shlomo Sand bereits in seinem 2009 erschienenen Buch „Die Erfindung des jüdischen Volkes“, um jetzt den „Mythos Israel“ zu entzaubern.
Wie beim Grundlagen-Buch sind seine Kritiker um keine Vorwürfe verlegen. Zentrale These ist die Unterstellung, Sand wolle das Existenzrecht des Staates negieren. Dem ist keineswegs so, denn der Wissenschaftler stellt nicht die Staatsgründung in Frage, sondern wägt Mythen, welche zur Legitimierung aktueller Politik und Entstehung des Judenstaates herangezogen werden. In diesem Sinne entzaubert der Autor den Grundsatz „historischen Anrechts“ auf das Territorium ebenso wie die moralische Rechtfertigung der Landnahme. Er kritisiert nicht nur die etablierte Historiographie, sondern charakterisiert damit zugleich den „revolutionären Paradigmenwechsel, den der Zionismus innerhalb eines zusehends geschwächten Judentums auslöste“. Seine Beschreibung weist nach, dass dieser Religion instrumentalisierte, um den theologischen Kern zu entkräften. Das Resultat ist eine Legitimationsideologie.
In einer zweiten Kernthese untersucht Sand die Legende von der „Rückkehrbewegung“ der Juden. Zur Bestätigung der Aussage konstatiert der Historiker Berichte christlicher Pilger, die zahlenmäßig um ein vielfaches höher sind als die jüdischer Reisender. Im Zug der Entstehung von Nationalstaaten im 19. Jahrhundert waren es puritanische oder evangelikale Christen, die jüdischen Mitbürgern die Heimkehr ins Gelobte Land ermöglichen wollten. Sie und britische Staatsmänner glaubten, dass ein neues Großisrael für die Erlösung der Welt unerlässlich ist.
Autor: Uwe Ullrich
Sand, Shlomo: Die Erfindung des Landes Israel. Mythos und Wahrheit; Berlin 2012, 396 Seiten, 22,99 Euro